Leander Fischer, ein gebürtiger Oberösterreicher, hat das unmäßigste Romandebüt sein langem vorgelegt: "Die Forelle" erzählt die Geschichte des heimischen Voralpenlandes neu.

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Das Debütwerk des gerade einmal 28-jährigen Leander Fischer steht schon jetzt als Schlüsselroman in den Annalen der Petri-Jünger verzeichnet. Niemals zuvor wurden knapp 800 Seiten erzählerische Prosa auf die Kunst des Fliegenfischens verwendet.

Dem verblüfften Leser von "Die Forelle" ergeht es ein wenig wie dem gleichnamigen Süßwasserfisch. Er fühlt sich geködert. Er wird von den langen, heftig reißenden Sätzen fortgerissen. Schließlich zappelt er nur noch schwach. Man ergibt sich der suggestiven Gewalt bunt schillernder "Goldkopfnymphen", von "Lachmöwenfliegen" und anderer insektoider Gebilde. Sie alle werden von Besessenen geknüpft, um Forellen, Saiblingen, Äschen in den strömungsberuhigten Zonen einheimischer Flüsse eine faire Chance zu bieten: um anzubeißen und dennoch, befreit, davonzukommen.

Gelegentlich stauen sich in Fischers Prosa die Adjektive, die farbverliebten Einschlüsse, die angehäuften Adverbien. Widerstand ist dennoch zwecklos. Das vielleicht wahnwitzigste Prosadebüt deutscher Sprache in den vergangenen Monaten dokumentiert ein Stadium des Irrewerdens. Die Forelle gehört in die Reihe der großen Brocken, mit denen sich Dichter gegen die Entzauberung der Welt verschließen.

Das Buch ist das neueste Glied in jener Kette von Überlebenskunstwerken, in denen sich ein kleiner Spleen zur alles beherrschenden Daseinsform auswächst: wie der Walfang in "Moby Dick", wie Pferdezucht und Biologismus in den Roman-Ungetümen von Hans Henny Jahnn.

Blendende Aussichten

Ein leidlich verkrachter Violinlehrer namens Siegi Heehrmann, Mozarteumsabgänger mit ehemals blendenden Aussichten, strandet irgendwo im Umland von Gmunden. Dort, wo er von nun an fischen geht, prallen "Ober-" und "Unterland" wie einheimische Dunkelzonen aneinander. Man fühlt sich wie er eingereiht in eine Schlange von Landbewohnern, die sich vom angesehensten Fleischer der Gegend bluttriefende Stücke von frisch geschlachteten Tieren einpacken lassen.

Die Landschaft, besetzt von Zeichen der in vielerlei Hinsicht umstürzenden 1980er-Jahre, gleicht einem Dunkelraum. Wie um die Schatten zu vertreiben, stürzt Leander Fischer sein sparsam verteiltes Personal in die Flussläufe.

Siegi, der zugereiste "Fliegenbindepapst", unterhält ein ganzes Netz von konspirativen Kontakten zu ähnlich Gesinnten. Forellenjägern, die teils aus Südtirol stammen, oder die der Krieg aus Frankreich in das Traunviertel hereingespült hat. Die Eleganz des Köderbindens verbindet diese Elite von Fliegenfischern, die sich gegen die Umweltzerstörung zur Wehr setzt. Die wird emsig von "Bierdümpeln" betrieben, die Mensuren fechten, "Volki" heißen und Raben als geflügelte Sendboten verwenden, wie Gott Odin.

Erinnerungen an die Au

Von der Aubesetzung in Hainburg ist mehrmals die Rede. Die Zersiedelung des ländlichen Raums ist Thema, und wenn die Interessen der lokalen Hautevolee betroffen scheinen, klingt ein Klima der Gewaltbereitschaft an. Doch Leander Fischer, selbst Vöcklabrucker, scheut jede Konkretion. Gegen seine magisch klappernde Sprachmühle klingt Thomas Bernhard, der Gottvater der voralpenländischen Stänkerei, manchmal wie ein Krawallbruder.

Viel lieber spannt dieser Frühromantiker das Kabel, das dem Karbonschaft einer Angelrute entspringt. Im Licht der springenden Gewässer löst sich die Gegend, und mit ihr die ganze Welt, in einen Partikelfluss auf. Im Strömungsgeschehen treiben Bildungsgüter, aufgelöst in Anklänge: Tupfer von Faulkner, Witze von Quentin Tarantino (!). Wie dieses Buch nicht nur ein Haupttreffer, sondern überhaupt ein ausgesprochen musikalisches ist. Der Geigenlehrer Heehrmann wird in der Traunseegegend vielleicht seines Lebens nie mehr froh. Seine Gegenspieler wollen den lokal wichtigsten Fluss in das Staubecken eines Kraftwerkbaus verwandeln.

Noch einmal erzeugt das Flossenschlagen der Salmoniden reine (Sprach-)Musik: "Archie und ich ließen die Fische frei im Akkord". Und so könnte dieses Buch unaufhörlich weiterfließen, im Tempo frühromantischer Ironie: heißt der Autor doch allen Ernstes Fischer, und erntete er als Studierender diverser Schulen für Dichtung 2019 beim Klagenfurter Bachmann-Wettlesen den Deutschlandfunk-Preis. Ausgelernt hat Fischer längst. (Ronald Pohl, 22.8.2020)