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Getty Images/Klaus Vedfelt

In Österreich sind mit Stand Juli über 50.000 Frauen ab 50 arbeitslos. Eine Ausbildung in einem handwerklich-technischen Beruf ist ein Weg für einen beruflichen Neustart. Der Verein Frauen für Frauen unterstützt mit dem Projekt "Punktgenaue Qualifizierung" Frauen im Weinviertel dabei, in diesen Berufen Fuß zu fassen. "Viele Frauen, werden erst mit 65 in Pension gehen, da macht das natürlich Sinn, mit 45 Jahren noch einen neuen Beruf zu erlernen. Die männerdominierten Jobs sind besser bezahlt und oft stark vom Fachkräftemangel betroffen. Es gibt bessere Chancen unterzukommen", sagt Barbara Murero-Holzbauer, Geschäftsführerin des Vereins.

Gearbeitet wird im Auftrag des Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich im Zuge des FIT-Programms (Frauen in Technik und Handwerk). Man verfolgt das gemeinsame Ziel, dass Teilnehmerinnen ab 18 Jahren in maximal zwei Jahren alle erforderlichen Qualifizierungen für einen Lehrabschluss in einem handwerklich-technischen Beruf erwerben. Die Teilnehmerinnen des Progamms sind bis zu 50 Jahre alt, aber durchaus auch älter, sagt Murero-Holzbauer. Ein Wechsel in einen handwerklich-technischen Beruf habe aber nicht nur finanzielle Gründe: Es gibt Frauen, die sich damit einen Jugendtraum erfüllen. Die Betriebe schätzen es, dass die Frauen gereifte Persönlichkeiten sind und wissen, was sie wollen, sagt die Geschäftsführerin. "Wer sich auf dem zweiten Bildungsweg entschließt, Kfz-Mechanikerin zu werden, will das wirklich."

Die Frauen werden während der Ausbildung vom AMS finanziert und vom Verein betreut. Die individuelle Beratung in dieser Zeit sei für Murero-Holzbauer deshalb wichtig, da es eine große Herausforderung sei, einen Lehrberuf in zwei Jahren zu erlernen. "Das ist nur Vollzeit möglich. Da kann es schon zu Problemen im familiären Bereich kommen." Bei vielen liege auch die Schulzeit länger zurück, sie brauchen Hilfe beim Lernen. Manchmal bedürfe es nur Zuspruch, um den Weg konsequent weiterzugehen. Drei Frauen berichten von ihrem Neustart mit einer Lehre.

Gertrude (49), jetzt Lackiererin

"Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen und war immer mit dabei, wenn es zu Hause etwas zu reparieren gab. Mit fünfzehn wollte ich eigentlich Tischlerin lernen, aber das war damals ein Ding der Unmöglichkeit. Die Ausreden der Unternehmen waren immer dieselben: Sie müssten extra Waschräume einrichten. Ich habe dann Restaurantfachfrau gelernt und war in der ganzen Welt unterwegs. In den letzten Jahren war ich als Betriebsleiterin oder Geschäftsführerin tätig. 2015 habe ich umgesattelt. Die Motivation war weg. Bis zur Pension wollte ich den Job nicht mehr machen.

Mein Mann hat eine Lackiererei, und ich habe bei ihm die Lehre begonnen. Bei einem Infotag von Frauen für Frauen habe ich mir alle Informationen dazu geholt – auch wie das mit der finanziellen Unterstützung aussieht. Während der Ausbildung habe ich Arbeitslosengeld bekommen. 2017 habe ich die Gesellenprüfung gemacht. Eine Mimose darfst nicht sein, wenn du nur mit Männern zusammenarbeitest – der Ton ist schon ein anderer. Mit der Akzeptanz hatte ich kein Problem. Je mehr ich gelernt habe, desto beeindruckter waren sie. Von den Kunden gibt es aber hin und wieder unmögliche Kommentare. Zu einem musste ich sagen: ‚Reißen Sie sich zusammen, sonst können Sie sich eine andere Werkstatt suchen.‘ Wäre ich nicht die Frau vom Chef, könnte ich so nicht agieren.

Der Altersunterschied in der Berufsschule war krass. Am ersten Tag haben meine Mitschüler gedacht, dass ich die Lehrerin bin. Zu Beginn waren sie eine Gruppe, ich war auf der anderen Seite. Das hat sich aber schnell gelegt. Sie haben gesehen, dass ich ihnen bei Fragen oder Gesprächen mit den Lehrern helfen konnte. Am letzten Schultag war ich aber froh, dass es vorbei war. Ich würde gern mehr Möbel- und Designlackierung machen, aber die Leute wollen sich das nicht leisten."

Irene (56), jetzt Bäckerin

"Ich war während 36 Jahren in vier unterschiedlichen Unternehmen tätig, zuletzt als Geschäftsführerin. Nur: Bis zu meiner Pension 60 bis 70 Stunden die Woche arbeiten, das wollte ich einfach nicht mehr. Ich wäre gerne in den Vertriebsinnendienst gegangen, das ist immer mein Lieblingsgebiet gewesen. Mit 54 wollte mich aber keiner für diesen Bereich anstellen. Mit einer Geschäftsführerposition im Lebenslauf ist es erst recht nicht einfach. Nach 100 Bewerbungen und zwei Vorstellungsgesprächen habe ich eine andere Richtung eingeschlagen.

Ich habe schon immer gern gebacken. Ein frisches Gebäck und ein schönes Tortenstück sind für mich eine Augenweide. Also habe ich mich entschieden, Bäckerin und Konditorin zu werden. Ich wollte das Handwerk von der Pike auf lernen und nicht einfach nur in einer Bäckerei arbeiten. Eine Lehrstelle zu finden war nicht einfach, es gibt nicht viele Bäckereien in meiner Umgebung. Und ich wollte mich auch mit dem Produkt identifizieren und nicht irgendwo arbeiten, wo mir das Brot nicht schmeckt. Gelernt habe ich dann in einer Bäckerei, die ich schon von Kind auf kannte, eine Bio-Dinkelbäckerei in Ernstbrunn. Mein Alter war für meinen damaligen Chef kein Problem. Für meine Kollegen war es zu Beginn eine komische Situation, aber das hat sich schnell gelegt. Es war für mich auch nicht schwierig, die Ausbildung in zwei Jahren zu absolvieren. Ich hatte aber Bammel davor, wie mich die Jungen in der Berufsschule aufnehmen. Wir haben uns super verstanden und hatten unseren Spaß.

Etwas zu kämpfen hatte ich mit den neuen Arbeitszeiten. Ich habe um zwei Uhr morgens begonnen. Mein Chef hat sich vor kurzem zur Ruhe gesetzt. Jetzt arbeite ich in einer Konditorei in Tulln. Es ist auch in diesem Beruf manchmal stressig, aber es ist ein anderer Stress. Wenn ich jetzt mit der Arbeit fertig bin, kann ich abschalten."

Tiina (55), Optikerin in Ausbildung

"Ich war schon immer medizinisch interessiert. Meine Ausbildung zur Optikerin macht mir riesigen Spaß. Ich war lange bei meinem Sohn zu Hause und habe mich um alles gekümmert. Er musste oft zu Therapien ins Spital. Ich habe dann ein paar Jahre halbtags in einem Büro gearbeitet und hatte immer einen guten Job. Dann wurde ich arbeitslos und schlug mich durch: Ich habe Kurse besucht und als Ordinationshilfe gearbeitet. Aus einem Zeitungsartikel erfuhr ich, dass man im Alter noch eine Lehre machen kann. Ich habe dann mehrere Optiker angeschrieben, aber immer eine Absage bekommen. Der Verein Frauen für Frauen hat mir geholfen, eine Lehrstelle zu finden. Es gibt viele ältere Personen, die Unterstützung brauchen und nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Ich hoffe, das Projekt wird weiterhin gefördert.

Meine Familie ist von Anfang an hinter mir gestanden. Bevor man zu Hause herumsitzt und Trübsal bläst, ist es doch gescheiter, etwas Neues zu beginnen. Die Ausbildung ist stressig. Die Tage sind sehr lang, und ich habe nicht viel Zeit zum Lernen. Unser Optiker hat auch eine Lehrwerkstatt, die ich zusätzlich zur Berufsschule besuche. Das erste Jahr in der Berufsschule war nicht einfach. Ich bin in der zweiten Klasse eingestiegen, und die Grundkenntnisse aus der ersten Klasse haben mir gefehlt. Aber es klappt jetzt gut.

Anfang Dezember sollte ich mit meiner Ausbildung fertig sein. Meine Chefin will mich behalten, aber sie kann mir noch keine Zusage geben. Sie weiß noch nicht, wie es mit dem Unternehmen Corona-bedingt weitergeht. Sicherheitshalber schaue ich mich schon nach einer Stelle um. Durch Frauen für Frauen habe ich wieder einen Kontakt bekommen. Ich werde etwas finden. Ich freue auf meine Zukunft und darauf, in meinem neuen Beruf zu arbeiten." (Stefanie Leschnik, 24.8.2020)