Eine der häufigsten Legenden der Verschwörungstheoretiker: Gates wolle mit Impfungen die Weltbevölkerung reduzieren.

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Nein, es wird nicht an einer Impfpflicht mit heimlicher Einpflanzung eines Überwachungsmikrochips gearbeitet. Und das Coronavirus ist auch keine Erfindung der (jüdischen) Eliten zur Unterdrückung der Menschheit. Auch schützen weder Alkohol noch Nikotin vor der Krankheit. Trotzdem kommen Familientreffen oder Stammtischrunden derzeit kaum ohne derartige Theorien aus.

Verschwörungsmythen haben Hochkonjunktur. Die politischen Warnungen der Anfangsphase ("Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist") und die strengen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie haben bei einigen Menschen für Verunsicherung gesorgt. Auch dass der Verfassungsgerichtshof einige Verordnungen für ungesetzlich erklärte, befeuert dieses diffuse Gefühl.

Online-Kanäle als Brutstätten

Laut einer aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts finden 32 Prozent der in Österreich lebenden Menschen, dass an der Aussage etwas dran sei, es gehe bei den Maßnahmen gegen die Corona-Krise um etwas ganz anderes als das, was Politik und Medien vorgeben. 14 Prozent der Befragten glauben, dass "Geheimgesellschaften die Krise nutzen, um eine autoritäre Weltordnung zu errichten".

Laut der Umfrage gelten Online-Kanäle als Brutstätten für derartige Erzählungen. Viele Menschen sind im Netz großen Verschwörungen auf der Spur. Fündig werden sie hauptsächlich auf Facebook (58 Prozent) und Youtube (47 Prozent), aber auch so manche Aussage aus dem Freundes- und Bekanntenkreis hat schon einmal die Skepsis der Befragten geweckt (46 Prozent).

Zusätzlich räumen Boulevardmedien abstrusen Verschwörungserzählungen vergleichsweise viel Platz ein. Soziale Netzwerke wie Facebook und Youtube wieder mussten dem öffentlichen Druck nachgeben. Sie gehen jetzt mit Accountsperren gegen die wildesten Seiten vor. "Unser Colt sitzt nun sehr locker", sagt ein Facebook-Manager zum STANDARD.

Antisemitische Codes

In der Kronen Zeitung und auf oe24.tv durfte hingegen eine Politikerin des Teams Strache ausführlich darlegen, warum sie bei einer Demo gegen die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie "Soros muss weg", "Rothschild muss weg" oder "Rockefeller muss weg" skandierte.

Die Journalisten gaben sich mit der Antwort zufrieden, es habe sich dabei einzig um Kritik an "neoliberalen und großkapitalistischen Interessen" gehandelt. Ihr Arbeitgeber, die Fluglinie AUA, sah dies nicht so. Kurz nachdem das Video auf Twitter für Empörung sorgte, wurde die Flugbegleiterin entlassen. Austrian Airlines sahen in den Parolen antisemitische Codes.

Die Neo-Politikerin steht mit ihrer Meinung nicht alleine da. Die Namen Soros, Rothschild oder Rockefeller werden immer wieder von rechten Ideologen hervorgezogen, um die Verschwörungsidee, hinter dem Großkapitalismus steckten die Juden, zu zementieren.

Offenkundige Fälschung

Eine Strategie, auf die schon die Nazis und ihre Vorläufer setzten – und bei der es offenkundig keine Rolle spielt, dass der 1937 verstorbene New Yorker Milliardär John Davison Rockefeller kein Jude war. Auch die Bankiersfamilie Rothschild haben die Nationalsozialisten schon früh als Feindbild auserkoren.

Ihre Hetze erreichte mit dem 1940 veröffentlichten antisemitischen Propagandafilm Die Rothschilds einen Höhepunkt. Die öffentliche Aufführung des zutiefst antisemitischen Propagandafilms ist in Deutschland aus guten Gründen weiterhin verboten. Der 1930 in Ungarn geborene Shoah-Überlebende George Soros hat sich durch seinen Einsatz für Menschenrechte und als links verortete Gesellschaftsideale weltweit Feinde gemacht.

Der Philanthrop und Investor gilt Antisemiten sämtlicher Schattierungen als Feindbild. So kursiert in diesen Kreisen aktuell die Mär, Soros finanziere die Antifa. Als Beleg dient ein Handbuch mit dem Titel The Antifa Manual, das ein Aktivist bei Black-Lives-Matter-Protesten in Amerika verloren haben soll.

Aus den Papieren gehe hervor, dass die Ausschreitungen nach der Tötung des Schwarzen George Floyd von dem Milliardär gezielt geplant und finanziert worden seien. Dazu finden sich in dem von Rechtsextremen verbreiteten Dokument weitere abstruse Gerüchte: Angeblich gebe es eine zentrale Organisation, die großflächig finanziert werde und eine Weltregierung anstrebe.

Bei The Antifa Manual handelt es sich zwar offenkundig um eine Fälschung – doch sie reicht aus, um ein Feindbild aufzubauen.

Impfgegner gegen Gates

Einen wahren "Feind der Menschheit" hat scheinbar auch Ferdinand Wegscheider, Chef des TV-Senders Servus TV, ausgemacht. Regelmäßig arbeitet er sich in seiner TV-Sendung Der Wegscheider am ehemaligen Microsoft-Chef und nunmehrigen Philanthropen Bill Gates und dessen Stiftung ab.

Auf Basis älterer, im Internet zusammengegoogelter Artikel reiht sich der Journalist in die Kohorten der Impfgegner ein, die sich daran stoßen, dass die Gates-Stiftung weltweit Gesundheitsprojekte finanziert, darunter auch Impfprogramme. Bei Corona-Demos treten diese Impfgegner besonders lautstark in Erscheinung.

Sie behaupten, dass krankmachende Viren eine Erfindung von Medizinern und der Pharmaindustrie seien. Diese hätten einzig ein Interesse: mit eigentlich unnötigen Impfungen Kasse zu machen. "Viele Verschwörungstheorien funktionieren über die Dämonisierung einer Gruppe oder einer Person: Jemand wird als Sündenbock genutzt, ihm wird unterstellt, irgendetwas Dunkles im Sinne zu führen", erklärt die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig.

Eine der häufigsten Legenden der Verschwörungstheoretiker: Gates wolle mit Impfungen die Weltbevölkerung reduzieren. Als Beleg dient ihnen ein altes Zitat von Gates, das laut Brodnig aus dem Kontext gerissen und irreführend verwendet wird.

Sinngemäß argumentierte Gates damals, dass Impfungen in Entwicklungsländern zu einer niedrigeren Sterblichkeitsrate bei Kindern führen – und Familien oftmals weniger Kinder bekommen, wenn sie damit rechnen können, dass ihre Kinder das Erwachsenenalter erreichen.

QAnons wirres Weltbild

Im Netz finden sich derartige Verschwörungerzählungen zuhauf. Um "Theorien" im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei nicht, da keine rationalen Thesen vorgelegt, sondern lediglich ideologische Vorstellungen in nicht überprüfbare Tatsachen verwandelt werden. Wie effektiv sie Wurzeln schlagen können, zeigt die rechtsextreme QAnon-Bewegung, die ursprünglich in den USA entstand.

Sie streut seit Jahren Fake-News im Netz, während der Covid-19-Krise erhielt sie auch in Europa verstärkt Zulauf. Die prominenteste Stimme im deutschsprachigen Raum ist Sänger Xavier Naidoo. Er verbreitet über den Messengerdienst Telegram Gerüchte über eine Weltverschwörung – und spricht damit jene an, die einfache Lösungen für schwierige Probleme suchen.

Ursprünglich entstanden ist die Ideologie auf der Online-Plattform 4chan. Dort postete ein anonymer Nutzer, der sich selbst nur "Q" nannte (darum der Begriff "QAnon"), anno 2017 einen kryptischen Text: Die damalige US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton werde bald verhaftet. Das obskure Pamphlet hätte kaum Beachtung gefunden, doch 4chan-Moderatoren und Youtuber begannen, eine komplette Legende um diesen und die folgenden Texte zu stricken.

Dabei behaupteten sie, der Autor habe die höchste nichtmilitärische US-Sicherheitsstufe "Q" und somit Zugang zu den nuklearen Geheimnissen des Landes – der "QAnon-Mythos" war geboren.

"Q" verbreitet immer wieder Inhalte, teils unverständliche, kurze Textbausteine frei von Kontext, oft mit antisemitischen Tendenzen. Konstant bleibt die fixe Idee, dass es in den USA einen "tiefen Staat" gebe, angeführt von einer Elite um Milliardär Soros, Hillary Clinton oder Ex-US-Präsident Barack Obama.

Wirre Interpretationen

Noch mehr Anklang als die Aussagen von "Q" finden die wirren Interpretationen seiner Anhänger: Die Eliten, darunter auch Medien und die Politik, wären sadistisch und pädophil. Sie würden Kinder entführen, foltern und ihr Blut trinken, um sich zu verjüngen.

Auch beim Coronavirus handle es sich einzig um eine Erfindung, um die Weltherrschaft zu erobern. Der Retter aus all dem, so sehen es viele Anhänger der QAnon-Bewegung, sei US-Präsident Donald Trump, der im Geheimen daran arbeite, die Verschwörung der Eliten zu vereiteln.

So dienten etwa Ausgangsbeschränkungen einzig dem heldenhaften Versuch, die gekidnappten Kinder aus ihren Folterkellern zu befreien. Trump als Weltenretter – mehr Beleg für die Absurdität der Thesen brauchte es fast nicht. (Markus Sulzbacher, Muzayen Al-Youssef, 22.8.2020)