"Man kann niemanden in die Oper hineinargumentieren", sagt der neue Staatsoperndirektor Bogdan Roščić. Mit der Öffnung der Generalproben will er jüngeres Publikum anlocken.

Foto: Heribert Corn

Am 7. September startet die Wiener Staatsoper unter strengen Corona-Sicherheitsmaßnahmen mit Madame Butterfly in eine ihrer wohl schwierigsten Saisonen überhaupt. Schon davor, am 5. September, wird die Generalprobe der Produktion für unter 27-Jährige um zehn Euro pro Ticket geöffnet – eine Maßnahme von Neo-Direktor Bogdan Roščić, den Altersschnitt des Publikums, der bei 60 Jahren liegt, sukzessive zu senken und neues Publikum für die Oper zu erschließen. Zuletzt lieferte sich der 56-Jährige im Kurier einen Schlagabtausch mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Weil dieser angedeutet hatte, Theater sei in Corona-Zeiten verzichtbarer als Museumsbesuche, schlug Roščić scharfzüngig zurück: Von "Hybris, Ahnungslosigkeit, Perfidie" und einem "Tieflader auf der Deponie des Corona-Meinungsmülls" war die Rede.

STANDARD: So goschert wie Sie war zu Schröder öffentlich lange niemand mehr. War das eine Kampfansage, wer in Zukunft das gewichtigere Wort im Kulturbetrieb haben soll?

Roščić: Nein. Mir ist die Sache viel zu ernst, um sie zu einem Match zwischen Direktoren zu machen. Es ging mir darum, dass Kulturbetriebe, egal welche, nicht schlechter gestellt werden dürfen als alles andere rund um sie herum. Die Staatsoper wird im Vergleich zu anderen Bereichen des Alltags ein Corona-sicherer Ort sein, dafür haben wir alles getan.

STANDARD: Wollen Sie Schröder Paroli bieten, wenn es um Einfluss bei der Kulturpolitik geht?

Roščić: Ich glaube nicht, dass die Kulturpolitik auf solche Zurufe reagiert, egal von wem. Aber ich bespreche das gerne direkt mit den Zuständigen und brauche nicht immer den Umweg über Zeitungen.

STANDARD: Wie läuft der Kartenvorverkauf für die kommende Saison?

Roščić: Es kommt ganz darauf an, was man sich anschaut. Wir haben Vorstellungen bis ins Frühjahr 2021 hinein, die seit Monaten überbucht sind. Für andere Abende, zum Beispiel sehr alte Inszenierungen, haben wir noch Karten.

STANDARD: Normalerweise füllen diese Plätze Touristen?

Roščić: Bis zu einem Drittel der Karten geht in der Staatsoper normalerweise an Touristen, im Umsatz schlägt sich das noch stärker nieder, weil sie tendenziell teurere Karten kaufen. Aber ich weigere mich, den Spielbetrieb unseres Hauses als Problem zu betrachten, weil momentan Touristen ausbleiben. Man muss sich überlegen, was man mit diesen Karten jetzt macht.

STANDARD: Zum Beispiel? Mit den Ticketpreisen runtergehen?

Roščić: Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Die Staatsoper bietet auch viele vergleichsweise sehr günstige Tickets. Wir haben zum Beispiel die Stehplätze, die Corona-bedingt nicht sein dürfen, gerettet, indem wir sie vorübergehend bestuhlt haben – bei unveränderten Preisen, also ab drei Euro. Der Stehplatz ist eine Wiener Institution, die ich verteidigen möchte.

STANDARD: Sie öffnen die Generalproben für Publikum unter 27. War dasbereits geplant, oder ist das eine Corona-Maßnahme?

Roščić: Es war schon lange geplant. Das ist eine wichtige Maßnahme und wurde von Direktion und Betriebsrat vereinbart. Ich glaube, dass die Selbstverständlichkeit, mit der früher in Wien und anderswo Publikum nachgewachsen ist, nicht mehr existiert – durch Veränderungen des Schulwesens, der Medienrealität, vielleicht auch durch die veränderte Sozialisierung in Familien. Daher kommt den Opernhäusern heute viel mehr Verantwortung zu. Die Öffnung der Generalprobe hat anderswo, etwa in Paris, sehr gut funktioniert.

STANDARD: Für viele, nicht nur Junge, ist die Oper ein totes Genre. Haben Sie Bedenken über deren Zukunft?

Roščić: Ich hatte nie auch nur die geringsten Bedenken. Die Selbstbetrachtungen des Marc Aurel werden gelesen werden, so lange Menschen lesen können. Auch in hunderttausend Jahren, außer wir ersetzen uns selbst irgendwann durch eine neuartige Lebensform, die solche Interessen nicht mehr hat. Große Kunst ist immer zeitgenössisch, das macht sie aus. Aber wir müssen den Zugang dazu und die Verführung zu ihr leisten. Wenn ich keine Chance habe, durch diese Tür zu kommen, wie soll ich dann wissen, dass die Oper ein existenzielles Erlebnis für mich bereithält?

STANDARD: Setzt die Oper einen gewissen Bildungshintergrund voraus?

Roščić: Als Bildungsgut war mir die Oper immer suspekt, weil ich nicht glaube, dass man sich Kultur auf diesem Weg nähern soll. Es geht nicht darum, Reclams Konzertführer auswendig zu lernen. Es geht um die existenzielle Wucht des Gesamtkunstwerks Oper.

STANDARD: Haftet der Oper noch immer ein elitärer Habitus an?

Roščić: Es gab immer wieder soziale Verschiebungen beim Opernpublikum. In den 1920er-Jahren saßen durch kulturfördernde Aktivitäten der Sozialdemokratie plötzlich andere soziale Schichten im Haus, und es war dadurch Abend für Abend ausverkauft. Das Elitäre ist aus meiner Sicht längst auf dem Rückzug. Wenn es noch die angestaubte Vorstellung geben sollte, dass das hier etwas ausschließend Elitäres sei, dann rate ich, völlig unbeeindruckt hereinzukommen.

STANDARD: Auch in Jeans?

Roščić: Ja, selbstverständlich. Ich sehe mich nicht als Fashion-Polizist.

STANDARD: Wie viel Vorurteil ist bei Operverweigerern im Spiel?

Roščić: Ich habe da schon alles gehört, von "die Sitze sind unbequem" bis "die Hauptdarsteller sind unattraktiv, und auf Netflix kann dir das nicht passieren". Man kann niemanden in die Oper hineinargumentieren. Aber es ist ein Staatstheater, das von der Allgemeinheit ermöglicht wird, und daher muss es auch allen zugänglich sein.

STANDARD: Finanziell wird das kommende Jahr ein Lotteriespiel. Was erwarten Sie sich von der Politik?

Roščić: Eine Prognose abzugeben, wäre unseriös. Kein Mensch kann sagen, wie lange wir beispielsweise noch mit reduziertem Platzangebot spielen werden, ob es einen Opernball geben wird, der finanziell nicht unerheblich ist, oder wie sich die Sponsoren verhalten werden. Wir kämpfen, auch wirtschaftlich, um das bestmögliche Resultat. (Stefan Weiss, 22.8.2020)