Karim El Seroui und Zita Kral wollen sich mit ihrem Creative Cluster gerne niederlassen. Noch sind sie – wie viele andere Kreativschaffende – auf Zwischennutzungsprojekte angewiesen.

Foto: Regine Hendrich

In der Viktor-Christ-Gasse 10 im fünften Bezirk weht jetzt eine Regenbogenfahne vor dem Schuleingang. Drei Häuser weiter sitzt die Polizei, die schnell zur Stelle wäre, würde es hier jemand gar zu bunt treiben. Die Anrainer sind freilich wachsam. Zwar haben die Kinder im Schulhof nun endlich ausgeschrien, aber eine neue Herausforderung steht vor der Tür: Kreative!

Eines der kleinen Zimmer hat sich eine Goldschmiedin zum Arbeitsplatz umgestaltet.
Foto: Regine Hendrich

Im Creative Cluster Margareten arbeiten gerade 120 an der Zahl. Sie haben Ateliers, Studios oder Werkstätten in der ehemaligen Schule eingerichtet. Der studierte Architekt Karim El Seroui und die Projektmanagerin Zita Kral sind für das Projekt verantwortlich. El Seroui hatte bereits den Creative Cluster in der Floridsdorfer Traktorfabrik betrieben und wurde – auch wegen negativer Erfahrungen mit dem Immobilieneigentümer am dortigen Standort – zum Experten fürs Dazwischen.

Freiraum statt Parkplatz

Ja, ein, zwei Querulanten in der Nachbarschaft gibt es schon, erzählen El Seroui und Kral, aber die gebe es immer. Wegen des neuesten Projekts des Clusters, einer Grätzeloase vor der Tür, könnte sich noch Zores anbahnen – wie immer, wenn Parkplätze dran glauben müssen. Dabei würden sich die neuen Parklets gut zum Austausch zwischen alteingesessenen Bewohnern des Grätzels und Zugezogenen auf Zeit eignen.

Skateboards waren in der Schule sicherlich verboten, nun werden sie zum Teil ein Installation.
Foto: Regine Hendrich

Zwischennutzung: In der Stadtplanung sicherlich ein Wort der Stunde. Im Idealfall läuft’s wie eine Benetton-Werbung: Da reparieren herzensgute Bildhauer in Latzhosen dem Opa von gegenüber das Fahrrad, da machen die Kinder aus dem Gemeindebau DJ-Kurse im Studio der coolen Technoproduzentin. Die sozialen Schichten mischen sich, jeder erweitert den eigenen Horizont.

Die Realität ist komplexer. Zwischennutzung ist viel Arbeit für einen Kompromiss. Thomas Kerekes von der stadtnahen Servicestelle "Kreative Räume Wien", die Menschen wie El Seroui und Kral und auf Raumsuche unterstützt, sieht sie als Türöffner: "Wir präferieren freilich langfristige Leerstandsaktivierungen. Zwischennutzung kann davon ein Teilaspekt sein, der zum Abbauen von Vorbehalten geeignet ist. Aber es braucht langfristig leistbare Flächen in der Stadt für Kreativschaffende." Dass nach ein paar Jahren Immobilieneigentümer die "aufgewerteten" Objekte gewinnbringend verkaufen oder den Kreativen die Miete massiv erhöhen, ist die große Gefahr der Zwischennutzung.

Eines der großen Klassenzimmer teilen sich einige Illustratoren. Auch die Tafel ist noch in Verwendung.
Foto: Regine Hendrich

Die Uhr tickt

Im Fall des Creative Clusters tickt schon jetzt die Uhr. Das Objekt gehört zwar keinem Turbokapitalisten, sondern der Stadt, allerdings soll dort irgendwann eine neue Schule entstehen – Margareten wird jünger. Drei Jahre dürfen El Seroui, Kral und die Künstler vorerst bleiben; die Räumlichkeiten wurden erst Anfang August bezogen.

Warum tut man sich dieses Nomadenleben, die Verantwortung für über 100 Kreativschaffende an? El Seroui und Kral wissen es selbst nicht so genau. Zumal die beiden mit dem Creative Cluster weit mehr leisten, als nur "die Bude vollzumachen", wie El Seroui es nennt.

Hier werden nicht nach dem Coworking-Space-Prinzip Plätze vergeben; man versteht sich als "kuratierte Kreativbrutstätte". Was klingt, als würde das Wording einer Wirtschaftsagentur-Fördereinreichung persifliert, heißt, dass Kreativschaffende sich um die Arbeitsplätze bewerben müssen. El Seroui und Kral achten auf inhaltliche Qualität, den Sparten- und zwischenmenschlichen Mix.

Den Turnsaal dürfen alle Kreativen im Haus nutzen – der Geruch ist noch ganz wie aus Schulzeiten.
Foto: Regine Hendrich

Sie verstehen sich nicht als Vermieter, sondern als Dienstleister, die nicht nur eine Fläche bereitstellen, sondern Betreuung, PR, Vernetzungs- und Vermittlungsarbeit leisten. Ihr Konzept überzeugte, sie erhielten vom Liegenschaftseigentümer, der MA 56 (Schulen), den Zuschlag; Bewerber gab es mehrere.

Die beiden Raumunternehmer sind darauf bedacht, bei der Politik, den Anrainern und den eigenen kreativen Schäfchen gute Figur zu machen. Denn zu oft gingen Zwischennutzungsprojekte in Flammen auf. Die Wiener Nordbahnhalle nicht nur metaphorisch.

Vorbild für weitere Kreativzonen

Wenn das Ding in Margareten vorbildlich läuft, bahnt es vielleicht den Weg für mehrere Kreativzonen in der Stadt. Kerekes von den Kreativen Räumen verweist auf Länder wie die Schweiz oder Dänemark, in denen Zwischennutzung und Leerstandsaktivierung in der Stadtplanung mitbedacht werden. El Seroui wünscht sich auch ein Umdenken bei privaten Eigentümern: "Viele lassen Gebäude leerstehen und vergessen dabei, dass sie trotzdem laufende Kosten haben, die Bausubstanz verfällt, und die Gefahr des Vandalismus ist hoch. Auch seitens der Politik braucht es ein stärkeres Commitment, Projekte, die diesen Leerstand verhindern, zu fördern."

Diesen würden die zwei gern wieder aktivieren – nächstes Mal aber längerfristig. Damit auch die Regenbogenfahne ein permanentes Zuhause bekommt. (Amira Ben Saoud, 22.8.2020)