Reißt euch zusammen und übernehmt auch Verantwortung!!", schrieb Gesundheitsminister Rudolf Anschober (re.) in Rage auf Twitter.

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Am Horizont schäumt die zweite Welle. Dass die Infektionszahlen im Herbst steigen werden, sagen die Corona-Seismografen seit langem voraus. Die Regierung agiert nun trotzdem überraschend nervenschwach. "Reißt euch zusammen und übernehmt auch Verantwortung!!", schrieb Gesundheitsminister Rudolf Anschober in Rage auf Twitter, nachdem die Corona-Fälle zunahmen und dutzende Österreicher – vor allem junge Männer – nach ihrem Kroatien-Urlaub positiv getestet wurden. Wer die innenpolitische Berichterstattung der vergangenen Wochen verfolgt, will der Politik zurückrufen: Reißt bitte auch ihr euch zusammen.

Denn alte Muster reißen gerade wieder ein. Als Anschober an Kanzler Sebastian Kurz in Beliebtheitsrankings vorbeizog, behaupteten böse Zungen: Jetzt werden sich die Türkisen auf ihn einschießen. Inzwischen scheint es, als würde das tatsächlich eintreten. Vergangenen Freitag gab Anschober einen Erlass heraus, in dem er die Gesundheitsbehörden anwies, mehr Personal an heimische Grenzen zu schicken. Medial blieb das unbeachtet, mit der ÖVP war es abgestimmt. Am Samstag bemängelte der Innenminister öffentlich fehlendes Gesundheitspersonal an den Grenzen. Am Sonntag rückte der Kanzler persönlich aus, um mehr Kontrollen zu fordern. Man fragt sich: Warum, wenn das doch längst auf Schiene war?

Schon davor kam es immer wieder zu Sticheleien zwischen den Ressorts. Als erste Zweifel an der Rechtskonformität mancher Corona-Regelungen laut wurden, forderte Karoline Edtstadler – ihres Zeichens selbst Verfassungsministerin – ihren Kollegen Anschober zum Handeln auf. Er dürfe die Bevölkerung nicht in dieser Unsicherheit lassen. Nach der missverständlichen "Lockerungsverordnung" des Gesundheitsministeriums sprach man im türkisen Tourismusressort von "Verwirrung", die "Angst schürt".

Schlagwort "Ludwig2020"

Auch in Wien, wo der Wahlkampf gerade anläuft, wird nun scheinbar wieder mehr auf Selbstinszenierung als Zusammenhalt gesetzt. Das zeigte sich etwa vor ein paar Tagen, als Bürgermeister Michael Ludwig unter dem Schlagwort "Ludwig2020" Gratis-Corona-Tests der Stadt Wien für Kroatien-Rückkehrer anpries – und vergaß, dass es sich um ein vom Bund finanziertes Programm für ganz Österreich handelte. Jetzt will Wien alle Reiserückkehrer gratis testen und fordert die Regierung süffisant auf, es der Hauptstadt gleichzutun.

Ja, die Wien-Wahl steht an, aber dieses Verharren im parteitaktischen Klein-Klein muss wieder ein Ende haben. Parteipolitik auf Kosten der Krisenbekämpfung schwächt das Vertrauen der Bevölkerung in die Machthaber und damit in die von ihnen verordneten Maßnahmen. Der Extremfall zeigt sich in den USA, wo das Masketragen zum politischen Statement wurde.

Zu Beginn der Krise war der "nationale Schulterschluss" in aller Munde – in Zeiten der Pandemie, so die Idee, müssen alle zusammenhalten. Das sorgte für gemischte Gefühle. Wenn Politiker schnell handeln, passieren Fehler, und sie brauchen ein Korrektiv. Das stimmt, wenn es um Sachfragen geht. Für Parteitaktik und Wahlkampfgeplänkel ist aber kein Platz.

Bäumt sich die zweite Welle auf, wird es nicht nur auf das Verantwortungsbewusstsein der Einzelnen ankommen – egal, ob jung oder alt. Dann müssen auch Politiker wieder zusammenstehen – wenn auch mit gesundem Abstand. (Katharina Mittelstaedt, 21.8.2020)