Andy Urban
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Er liebt alte Autos und wiegt den Wert von Ware und Produktionsmittel dagegen auf. Eine neue Maschine koste so viel wie ein Lamborghini, ein Kunde in Bayern bekomme sechs Paletten Gummiband im Wert eines Mercedes AMG C63. In seinen Garagen stehen alte Golf und neuere Porsche. Vor den ockerfarbenen von Wald umrahmten Gebäuden im kleinen Ort Eitental stehen Traktoren. Dahinter fläzen sich Dromedare und Kamele im Sand. Seine Frau Gerda ist Herrin über eine große Landwirtschaft. Werner Gassner ist derzeit neben seiner eigentlichen Arbeit als Gummibandfabrikant viel damit beschäftigt, Fernsehteams zu führen und zu erklären, wo und wie der Gummi für die Masken produziert wird.

STANDARD: Sie gehören zu jenen, die derzeit in Arbeit ersticken, sind seit der Corona-Krise richtig berühmt. Sind Sie jetzt auch steinreich?

Gassner: Durch die Krise haben wir Ware verkauft, die wir wahrscheinlich ohne die Krise nicht hätten verkaufen können. Das waren sicher ein paar Hunderttausend Euro, die wir lukriert haben.

Werner Gassner in seinem Reich. "Ich bin kein Sozi", sagt der 70-Jährige von sich, "aber wir haben jedem unserer Mitarbeiter 2.000 Euro Corona-Geld geschenkt."
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STANDARD: Sie fahren mehr Schichten, arbeiten viel, und es hört nicht auf. Sind Sie ein Krisengewinner?

Gassner: Ein 70-Jähriger, der 16 Stunden am Tag arbeitet, das ist ja nicht normal (sagt er augenzwinkernd und ein bisschen kokett, Anm.). Wenn wir viel erzeugt haben, dann deswegen, damit die Leute ihre Nasenmaskenhalterung montiert haben können. Zu Ostern haben wir zu sechst Samstag, Sonntag, Montag durchgearbeitet, zu Pfingsten Samstag, Sonntag, Montag. Wir haben Fronleichnam gearbeitet, Christi Himmelfahrt gearbeitet, haben Nachtschichten eingelegt. Ich will nicht jammern, ich will das so. Aber wir zahlen nächstes Jahr eine halbe Million Euro Steuern. Der Gewinner ohne Risiko an der Geschichte ist der Staat.

STANDARD: Der stellt aber auch Milliarden an Hilfen bereit, es werden Steuern gestundet, Investitionsprämien erdacht ...

Gassner: Die gibt es nicht. Wenn Sie bei uns hinausschauen, wir sind mitten im Urwald. Da ist Urwald (deutet bei den Fenstern hinaus), da ist Urwald, dort ist Urwald. Wenn wir uns einen Nagel kaufen wollen, müssen wir 13 Kilometer mit dem Auto fahren. Unser Internetanschluss hat dreimal so viel gekostet, wie er kosten würde, wenn wir mitten in Wien wären. Wir haben keine Erdgasleitung. Wir mussten bis vor einigen Jahren unseren Strom selbst erzeugen und erzeugen ihn immer noch selbst.

Seit dem Corona-Ausbruch wird hier noch mehr gearbeitet. "Es hört nicht auf", sagt Gassner.
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STANDARD: Sie haben nicht einmal Kurzarbeit angemeldet?

Gassner: Nein, wir haben immer durchgearbeitet. Wir haben vier Leute aufgenommen, jetzt suchen wir schon wieder zwei, drei Leute.

STANDARD: Keine Förderungen oder Hilfen gebraucht? Ist doch gut, oder?

Gassner: Nein, wir brauchen nichts. Ich wüsste nicht, wofür. Das Einzige, was ich mir erwarten würde, wäre finanztechnischer Natur, dass die Abschreibung für Abnützung sich verändert. Und zu den Förderungen: Der Herr Pröll (Erwin) hat gesagt, wenn man von Ölheizung auf Waldhackgutheizung umstellt, gibt es große Förderungen. Wir haben das gemacht – hat eine Million gekostet. Bekommen haben wir 13.000 für den wärmerelevanten Teil.

STANDARD: Aber es gab jetzt viele Ankündigungen ...

Gassner: Wenn Finanzminister Gernot Blümel den Mund aufmacht, kommt nur heiße Luft heraus. Von den 48 Milliarden sind ja keine fünf Milliarden ausbezahlt worden.

STANDARD: Was nicht ist, könnte ja noch werden. Die türkis-grüne Regierung hat schon vor Corona Aufbruchstimmung versprüht.

50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben hier zu manchen Zeiten gearbeitet. Heute ist vieles automatisiert.
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Gassner: Ja, ich war immer ein Gegner dieser Gebietskrankenkassen mit so vielen Direktoren und Vizedirektoren. Jetzt haben wir eine Gesundheitskasse, die im Aufwand viel mehr kostet. Wenn das eine Reform ist, dann möchte ich wissen, wie weit uns die Reformen der neuen jungen Regierung bringen. Das sind lauter 30- bis 35-jährige Supergescheite, die wirklich gut reden können.

STANDARD: Aber wir haben Ministerinnen mit unternehmerischen Hintergrund, falls dies eine Voraussetzung für gute Unternehmenspolitik sein sollte. Und weil es so schwierig war, mit Ihnen E-Mails auszutauschen: Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck hat sich den Ausbau des Breitbandinternets vorgenommen.

Gassner: Jesus Christus ist am See Genezareth gesessen und hat gesagt: Alle werden gesund werden. Drei sind gesund geworden und der Rest ist krank geblieben. Selbst Jesus konnte seine Versprechen nicht einhalten. Wie soll die Frau Ministerin ein Versprechen einhalten?

STANDARD: Ich sehe schon, Ihnen fehlt der Glaube. So oft enttäuscht worden?

Gassner: Ich habe keine Ehrfurcht vor Politikern, es ist nichts dahinter. Wenn die Frau Pamela Rendi-Wagner sagt, wir geben jedem Arbeitslosen 300 Euro mehr, möchte ich wissen, woher sie das Geld nimmt.

STANDARD: Wir alle, Sie als Unternehmer und ich als Arbeitnehmerin, werden es erwirtschaften. Weil wir schon beim Wirtschaften sind. Hierzulande ist Produktion teuer. Nie darüber nachgedacht, sie zu verlagern?

Gassner: Nein, nie. Das ist ein uralter Familienbetrieb. Es hat schlechte Zeiten gegeben. Von 1994 bis 2008 haben wir wirklich überlebt, ich bin jedem Geschäft nachgelaufen. Danach sind wir um das Vier- bis Fünffache gewachsen. Mittlerweile ist es so, dass wir gar nicht mehr nach Rumänien auslagern könnten, weil es dort gar keine Fachleute mehr gibt. Die Bulgaren und Rumänen die drei und drei zusammenzählen können, arbeiten hier.

STANDARD: Konkurrenz aus China fürchten Sie nicht?

Viele der Maschinen sind Spezialanfertigungen. Das hat seinen Preis.
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Gassner: Wenn Sie Riesenmengen brauchen und auf Qualität und Service weniger Wert legen, bestellen Sie in China. Es gibt einen Grund, warum Dinge teuer sind. Wir kommen preismäßig mit, weil es unser Produkt nirgendwo gibt. Wir haben eineinhalb Jahresumsätze an Rohmaterial und Fertigware liegen. Wir können liefern – und das schnell. Gummiband ist ein Hightechprodukt. Wir brauchen nicht einmal eine Zertifizierung. Wenn einer 170 Jahre in einer Reihe Gummiband erzeugt und schuldenfrei ist und große Gewinne macht, da brauche ich kein Zertifikat. Unsere Kunden sind Autohersteller, Designerinnen, Textilhersteller, Sicherheitsausrüster. Der Puppendoktor in Wien ist unser Kunde. Dem ist es wurst, ob 100 Meter 13 Euro oder 70 kosten, der braucht nur zehn Zentimeter pro Stück.

STANDARD: Sie sind einer der wenigen, der noch Gummiband herstellt.

Gassner: Übrig geblieben sind wir.

STANDARD: Vielleicht weil der Preisdruck zu hoch wurde? Nie daran gedacht, den Hut draufzuhauen?

Gassner: Nein, wir sind als Unternehmer erzogen worden, haben das mit der Muttermilch aufgesogen. Die meisten Unternehmen sind daran gescheitert, dass sie Umsatz mit Gewinn verwechselt und zu viel Kapital aus den Firmen entzogen haben und damit nicht mehr finanziert waren. Wir haben keine Millionenvillen. Das, was wir verdienen hier – und momentan verdienen wir wirklich viel Geld –, wird eins zu eins investiert.

STANDARD: Sie suchen einen würdigen Nachfolger. Was, wenn Sie keinen finden?

Gassner: Dann werden sie uns mit den Füßen voran hinaustragen. (Regina Bruckner, 23.8.2020)