Christian Mayrleb erzielte in Bregenz ein Skandaltor (Symbolbild).

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Am 26. August 2000 verstieß der damalige Austrianer Christian Mayrleb in Bregenz gegen eine ungeschriebene Fairplay-Regel im Fußball. Das Skandaltor mündete dank Frank Stronachs Machtwort in ein Wiederholungsspiel. DER STANDARD hat zum 20-jährigen Jubiläum mit damals Beteiligten gesprochen.

Das Spiel verlief von Anfang an turbulent. 1:1 nach 17 Minuten. Zwei gelb-rote Karten nach 49 Minuten, in der 51. Minute wurde ein Bregenz-Abseitstor aberkannt.

Dietmar Drabek (Schiedsrichter): Die Partie war unglaublich schwierig zu pfeifen. Ich konnte mir aber wenig Vorwürfe machen. Es gab hundertprozentig Spiele, in denen ich schlechter gepfiffen habe.

Ove Flindt-Bjerg (Bregenz-Sportdirektor): Die Austria hatte Filigrantechniker. Unsere Qualität war, zu laufen und zu kämpfen. Bregenz musste immer an die Grenze des Erlaubten gehen, um nicht abzusteigen. Die erste Halbzeit war schon hitzig. Das lag aber leider am Schiri. Er hat die Hektik ins Spiel gebracht. Das Mayrleb-Tor war nur das i-Tüpfelchen.

60. Minute: Jiri Rosicky verletzt sich bei einem Zweikampf. Der Bregenzer Jan Ove Pedersen pfeffert den Ball ins Aus, damit sein Teamkollege behandelt werden kann. Das Fairplay gebietet es, dass der Gegner nun den Ball freiwillig wieder zu Bregenz zurückspielt. Und so schlägt der Austrianer Ernst Dospel aus seiner eigenen Spielhälfte einen hohen Ball Richtung Bregenz-Strafraum.

Drabek: Ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass der Ball zurückgespielt wird. Ich habe mich schon weiter vorne positioniert, also nicht dort, wo ich bei einem Einwurf normalerweise stehe.

Christian Mayrleb (Austria-Spieler): Ich habe nicht mitbekommen, dass Bregenz den Ball absichtlich rausgespielt hat. Also dachte ich, das war ein normaler Pass nach vorne. Ich bin zum Ball gelaufen.

Lars Unger (Bregenz-Spieler): Ich dachte mir: "Was macht der denn jetzt?" Er hat als Einziger im Stadion die Situation nicht mitbekommen. Und er hat sich den Ball auch noch mit dem Oberarm mitgenommen.

Flindt-Bjerg: Von uns ist keiner gescheit angegangen, weil alle damit gerechnet haben, dass der Ball zum Torhüter geht. Und was macht Mayrleb? Knallt den Ball per Halbvolley ins Tor. Dann war der Teufel los.

Drabek: Wir haben sicher fünf Sekunden gebraucht, um zu realisieren, was da gerade passiert ist. Das war grob unsportlich. Aber ich konnte regeltechnisch das Tor nicht aberkennen. Ein Handspiel haben wir nicht gesehen.

Schiedsrichter Dietmar Drabek hatte in Bregenz alle Hände voll zu tun.
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Mayrleb: Die Bregenz-Spieler sind zu mir hergelaufen und haben mich angerempelt. Ich dachte mir, was ist denn jetzt los? Das war ein normales Tor, und die drehen alle durch.

Unger: Ich konnte nicht fassen, was hier gerade passiert. Diese Wut und Machtlosigkeit waren unglaublich! Und dann blicke ich zur Austria-Bank, dort haben alle gejubelt. Das konnte doch nicht deren Ernst sein, dass sie bei so einem Tor vor Freude ausflippen! Ich bin wutentbrannt zur Seitenlinie gerannt und habe eine Trinkflasche Richtung Hochhauser geschossen.

Heinz Hochhauser (Austria-Trainer): Erst da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe die Szene davor gar nicht so richtig mitbekommen, habe vielleicht woanders hingesehen.

Unger: Ich korrigiere: Zwei Leute haben es nicht mitbekommen. Dann wurde es turbulent. Alle sind irgendwie durchgedreht. Von unserer Ersatzbank sind alle zur Austria-Bank gerannt. Auf dem Platz hat jeder von uns Mayrleb angerempelt.

Mayrleb: Ich bin zurück zu meinen Teamkollegen gerannt, und einer sagt zu mir: "Was ist denn mit dir los?" Dann hat er mir die Lage geschildert, und ich dachte mir nur: "Geh leck!"

Drabek: Alle waren überfordert und haben sich gegenseitig beschimpft. "Schleichts euch" oder "Gebts a Ruh". Ich musste das teils überhören, sonst hätte es acht Rote gegeben.

Flindt-Bjerg: Eher 15. Es war kein Fußballspiel mehr, sondern eine Schlägerei.

Drabek: Dem Wohlfahrt habe ich gesagt: "Ihr müsst Bregenz jetzt ein Tor schenken, dann seid ihr die Helden." Er hat aber abgelehnt.

Franz Wohlfahrt (Austria-Torhüter): Das muss man in einer Minute entscheiden und ist nicht so leicht. Denn ich habe aus der Entfernung auch nicht gleich erkannt, was los war. Dann kannst du auch nicht sagen: "Schießt ein Eigentor." Es ist ja auch um ein bisserl etwas gegangen.

Mayrleb: Im Nachhinein wäre es sinnvoll gewesen, danach ein Eigentor zu schießen. Aber an das denkst du in der Situation ja nicht. Ich war ja auch angefressen in dem Moment. Die haben mich geschimpft und geschubst.

Unger: Ich weiß selbst nicht, ob mir eingefallen wäre, ein Eigentor zu schießen.

Nach rund zehn Minuten löst sich das Rudel auf. Bregenz kassiert noch zwei Ausschlüsse.

Unger: Wir haben uns verschaukelt gefühlt und kopflos fertiggespielt. Es herrschte purer Frust.

Drabek: Das Spiel fertig zu pfeifen war nicht mehr lustig. Mayrleb wurde bei jeder Ballberührung gnadenlos ausgepfiffen.

Die Austria gewinnt 4:1. Auch nach Schlusspfiff kochen die Emotionen hoch. Bregenz-Fans belagern den Austria-Bus.

Flindt-Bjerg: Es war nicht fair, aber das waren halt die Emotionen. Ich wollte die Austrianer schützen und habe mich vor unsere Fans gestellt. Da wurde ich selbst mit Bier überschüttet.

Mayrleb: Es war nur noch Hass da und ist richtig abgegangen. Martin Hiden und ich haben es in den Bus geschafft. Das restliche Team wurde unter Polizeischutz zum Bahnhof gebracht, wo wir sie mit dem Bus abgeholt haben.

Wohlfahrt: Da waren halt 100 Zuschauer, die sich aufgeregt haben. Das überlebt man, war nicht so schlimm. Als Austria wurden wir auswärts immer beschimpft.

Drabek: Wir wollten mit dem Zug heimfahren. Der Bahnhof ist 300 Meter vom Stadion entfernt. Die Polizei hat uns aber lieber nach Dornbirn gebracht.

Bregenz wird aufgrund der Vorfälle später zu einer Geldstrafe von 75.000 Schilling verurteilt. Begründung: mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sowie unsportliches Verhalten.

Das Skandaltor schlägt hohe Wellen. Die Bundesliga will das Spiel zunächst nicht wiederholen, weil Mayrlebs grobe Unsportlichkeit kein Regelverstoß gewesen sei. Nachsatz: "Wenn sich beide Vereine darauf einigen, werde man nicht im Wege stehen."

Flindt-Bjerg: Ich habe an Austria-Sponsor Frank Stronach appelliert, dass er ein Machtwort spricht. Die Austria müsste sich schämen, wenn sie mit so einer Geschichte Meister wird. Dann würden die Fans nicht über den Titel, sondern das Tor sprechen. Uns kam auch zugute, dass Arsenal Anfang 1999 ein ähnliches Tor geschossen hat. Trainer Arsene Wenger hatte damals freiwillig ein Wiederholungsspiel angeboten.

Auch Arsenal verstieß 1999 gegen die Fairplay-Regel.
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Hochhauser: Ich hätte das Spiel in Millionen Jahren nicht wiederholt. Wegen einer Unsportlichkeit wurde noch nie ein Spiel wiederholt.

Frank Stronach sieht das anders: "Als Hauptfinanzier der Austria bestehe ich auf einer Spielwiederholung", sagt er am Montag, zwei Tage nach dem Spiel. Bundesliga-Präsident Frank Stronach stimmt sich selbst zu. Dann geht es schnell.

Mayrleb: Stronach hat mit unserer Mannschaft gesprochen. Es gab ein Für und Wider. Manche wollten nicht mehr nach Bregenz fahren, weil die uns eh so geschimpft haben. Ich war dafür. Ich empfand eine Spielwiederholung als fairste Lösung.

Wohlfahrt: Stronach hat nicht alles richtig gemacht, aber das war sportlich korrekt.

Flindt-Bjerg: Stronach hat mich angerufen. Er wollte meine Meinung hören. Ich habe ihm gesagt: "Sie sind ein großer Mann, der sich alles im Leben hart verdient hat. Ich habe kein Recht, Ihnen zu sagen, was Sie zu tun haben. Aber ich glaube, dass Sie das Fairplay im Fußball hundertprozentig respektieren und die richtige Entscheidung treffen." Zehn Sekunden später hat er gesagt, dass neu gespielt wird.

Hochhauser: Da wurde nichts mehr diskutiert. Stronach hat uns nur noch die Entscheidung mitgeteilt: "Fairplay muss Fairplay sein. Fahrst du hin und gewinnst du."

Die Austria verlor das Wiederholungsspiel am 25. Oktober 2000 mit 1:2.

Drabek: Mir war das wurscht.

Unger: Da war schon eine Genugtuung dabei, das Ergebnis geradezurücken.

Am 3. November 2000 erhielt Stronach auf der "Gala-Nacht des Sports" für seine Haltung in dieser Causa den Fair Play Award.

Hochhauser: Das Wiederholungsspiel hat mich geärgert, weil wir dadurch noch eine englische Runde mehr hatten und im Herbst eh schon körperlich tot waren. Die Niederlage war schon ein Knackpunkt in der Saison. Wäre Stronach in Kanada gewesen, hätte es dieses Wiederholungsspiel nie gegeben. Zwei Wochen später hätte die Sache niemanden mehr interessiert.

Mayrleb: Mir hat die Sache noch irrsinnig lange wehgetan. Beim Länderspiel gegen den Iran ein paar Tage nach dem Vorfall hat mich das ganze Stadion bei meiner Einwechslung ausgepfiffen. Das hat mich schon getroffen. Da hätte ich mich am liebsten eingegraben. Im Nachhinein war es eine saublöde Aktion. Aber ich habe es nicht mitbekommen.

Drabek: Das glaube ich ihm bis heute nicht.

Mayrleb: Das sehen 70 Prozent so. Aber ich habe ja nix davon. Hätte ich die Fairplay-Aktion bemerkt, wäre ich erst gar nicht zum Ball gegangen. Für mich war das demütigend, auf diese Art in die Schlagzeilen zu kommen. Ich bin sonst immer mit anderen Toren in die Schlagzeilen gekommen, nicht mit solch einem Blödsinn. Aber nach 20 Jahren ist die Causa für mich erledigt. Es ist halt einfach passiert. Es tut mir leid. (Andreas Gstaltmeyr, 24.8.2020)

Die Spielzusammenfassung Bregenz – Austria.
doomjoly

Technische Daten

9. Bundesliga-Runde am 26. August 2000:

SW Bregenz – Austria Wien 1:4 (1:1)
Casino-Stadion, 5.700 Zuschauer, Drabek

Tore:
1:0 (15.) Pedersen
1:1 (17.) Jezek
1:2 (60.) Mayrleb
1:3 (68.) Mayrleb
1:4 (73.) M. Wagner

Bregenz: Ott – Golemac – Benneker, Geiger – Posavec (64. Z. Tomic), H. Kornexl (55. Rosicky), H. Kogler, Pedersen, L. Unger – Ambrosius (71. Pulkkinen), Regtop

Austria: Wohlfahrt – Varesanovic – Martin Hiden, Dospel – Hopfer (74. Plassnegger), Leitner (46. Derksen), M. Wagner, Ledwon, Sarac – Mayrleb, Jezek (52. Schmid)

Gelbe Karten: Ledwon, Martin Hiden

Gelb-Rote Karten: Benneker (13./Kritik), Golemac (65./Foul) bzw. Varesanovic (49./Foul)

Rote Karte: Regtop (69./Beleidigung des Schiri-Assistenten)


Wiederholungsspiel am 25. Oktober 2000:

SW Bregenz – Austria Wien 2:1 (0:0)
Casino-Stadion, 6.100 Zuschauer, Schoch (SUI)

Tore:
0:1 (69.) Derksen (Kopf)
1:1 (79.) E. Akwuegbu
2:1 (89.) Martin Hiden (Eigentor)

Bregenz: Ott – Golemac – R. Kornexl, Geiger (29. Benneker) – Posavec, H. Kornexl (76. E. Akwuegbu), H. Kogler (65. Rosicky), Pedersen, Lars Unger – Ambrosius, Regtop

Austria: Wohlfahrt – Martin Hiden – Dospel, Scharner – Hopfer (68. Sarac), Leitner, Schmid, Rost, Plassnegger – Mayrleb (76. Datoru), M. Topic (68. Derksen)

Gelbe Karten: Posavec, R. Kornexl bzw. Rost, Plassnegger, Sarac, Datoru