Jair Bolsonaro, der rechte Präsident Brasiliens, zeigt sich gern an der Seite von konservativen und religiösen Gruppierungen, die am Abtreibungsverbot festhalten wollen.

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Schlussendlich musste das Mädchen verborgen im Kofferraum eines Wagens in das Krankenhaus der brasilianischen Küstenstadt Recife gebracht werden. Protestierende hatten nämlich den Eingang blockiert, um die Zehnjährige am Zutritt zu hindern. Denn sie waren dagegen, dass sie eine Abtreibung erhält.

Der Fall des Kindes spaltet das südamerikanische Land und lässt die emotional geführte Debatte über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wieder aufflammen. In Brasilien sind Abtreibungen prinzipiell verboten – es drohen den Frauen Haftstrafen von einem Jahr bis zu drei Jahren. Ausnahmen gibt es seit 1940, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist oder das Leben der Mutter in Gefahr ist.

Seit dem Jahr 2012 ist eine Abtreibung auch dann straffrei, wenn bei dem Fötus die schwere Missbildung der Anenzephalie festgestellt wird, die Lebenserwartung bei dieser Schädelfehlbildung beträgt nach der Geburt nur wenige Stunden.

In erster Klinik abgelehnt

Bei dem zehnjährigen Mädchen aus dem brasilianischen Bundesstaat Espírito Santo trafen gleich zwei der drei Voraussetzungen zu: Sie wurde von ihrem Onkel seit vier Jahren regelmäßig vergewaltigt, und die Mediziner sahen ihr Leben in Gefahr, sollte sie die Schwangerschaft fortführen. Und doch lehnte ein Krankenhaus in ihrem Heimatstaat die somit legale Abtreibung ab. Offiziell, weil die Einrichtung nicht über die notwendigen technischen Voraussetzungen verfüge. Doch Kritiker sehen ideologische Gründe.

Daraufhin wandte sich die Familie des Mädchens an ein Gericht. Der zuständige Richter verfügte, dass der Eingriff in einem Spital in Recife durchgeführt werden solle.

Namen veröffentlicht

Antiabtreibungsaktivisten veröffentlichten daraufhin den Namen der Klinik und den des Mädchens in den sozialen Medien. Ein Gericht versuchte sich in Schadensbegrenzung und stellte jedes Posting unter Strafe, das einen Hinweis auf die Identität der Zehnjährigen enthielt.

Doch der Schaden war bereits angerichtet. Aktivisten formierten sich und organisierten den Protest vor dem Spital. Dort hatten sich auch feministische Demonstrierende eingefunden, die sich für das Recht von Frauen auf Wahlfreiheit einsetzten.

Vergangene Woche wurde die Abtreibung durchgeführt. Die behandelnden Ärzte verlautbarten anschließend, dass es dem Mädchen den Umständen entsprechend gutgeht.

Doch damit ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Denn Rechtsexperten äußern sich in Medien, dass es wegen der Veröffentlichung der Daten des Mädchens wohl ein Verfahren geben wird: Die 27-jährige Sara Giromini soll wegen Anstiftung zur Gewalt angeklagt werden.

Rechte Aktivistin

Giromini ist besser bekannt unter ihrem Synonym Sara Winter, das sich die rechte Aktivistin für ihre öffentlichen Auftritte selbst verpasst hat. Sie ist eine Anführerin der Bewegung "Os 300 do Brasil", zu Deutsch: "Wir 300 aus Brasilien", die von der Staatsanwaltschaft als bewaffnete Miliz eingestuft wird. Sie unterstützt den rechten Präsidenten Jair Bolsonaro.

Erst im Juni marschierten die_Anhänger der Gruppierung mit weißen Masken und Fackeln vor das Gebäude des Obersten Gerichtshofs und forderten einen Militärputsch. Bolsonaro grüßte sie hoch zu Ross mit einer Reiterstaffel der Streitkräfte, Giromini wurde kurzzeitig wegen "regierungsfeindlicher Aktionen" verhaftet.

Konservative Mehrheit

Zwar ist die Zustimmung für Bolsonaro so gering wie nie zuvor, doch für sein konservatives Vorgehen in Sachen Abtreibungen erhält er Unterstützung in der Bevölkerung. Erst im Februar zeigte eine Meinungsumfrage, dass eine breite Mehrheit der Brasilianer das Abtreibungsverbot für gut befindet.

Und so ist es offenbar möglich, dass hohe Regierungsvertreter und Beamte mit extremen Aussagen an die Öffentlichkeit treten können, ohne großen Gegenwind zu spüren.

Der Leiter der nationalen Kulturstiftung Funarte, Dante Mantovani, sagte im Dezember, dass Rockmusik zu Drogenkonsum, dieser zu Sex und der wiederum zu Abtreibungen führe. Außerdem ortete er eine "Abtreibungslobby", die den Satanismus fördere.

Die Frauen-, Familien- und Menschenrechtsministerin Damares Alves reichte im vergangenen September eine Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft gegen das Onlinemagazin AzMina ein, weil es die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO zu sicheren Abtreibungen veröffentlicht hatte – womit es Werbung für eine Straftat betrieben hätte.

200 Tote nach Abtreibungen

Doch nur weil Abtreibungen in Brasilien illegal sind, heißt das nicht, dass sie nicht stattfinden. Im Gegenteil: Laut Schätzungen brechen 44 von 1.000 Frauen in Brasilien ihre Schwangerschaft ab – einer der höchsten Werte weltweit. In den USA und Kanada liegt der Wert bei 17 – der niedrigste weltweit.

Jährlich finden in dem südamerikanischen Land geschätzt 500.000 illegale Abtreibungen statt, die Hälfte der betroffenen Frauen muss anschließend in eine Notaufnahme, weil schwere Komplikationen auftreten. Jedes Jahr sterben rund 200 Brasilianerinnen an den Folgen von unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen. (Bianca Blei, 23.8.2020)