In Israel wird unterdessen weiter gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu und Benny Gantz demonstriert.

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Die ersten hundert Tage einer Regierung sind in vielen Ländern so etwas wie eine Schonfrist: Da machen frischgebackene Minister ihre ersten Schritte, und wenn sie dabei einmal ausrutschen, nimmt man es nicht so streng. Anders in Israel: Von Schonzeit kann keine Rede sein, die Minister stellen sich gegenseitig das Haxl, und der hundertste Tag dieser Regierung ist womöglich auch ihr letzter. Am Montag entscheidet sich, ob Israel auf die vierte Neuwahl in eineinhalb Jahren zusteuert.

Im Koalitionspakt, den die beiden Erzrivalen Benjamin Netanjahu und Benny Gantz vor drei Monaten geschmiedet haben, steht, dass bis 25. August ein Zweijahresbudget vorzulegen ist. Geschieht das nicht, sind Neuwahlen die Folge. Seit Wochen versteift sich Netanjahu jedoch auf ein Kurzfristbudget für 2020, um den Zwist zu eskalieren und Neuwahlen auszulösen. Er könnte dann als Premier einer Rechtsregierung womöglich auf Jahre hinaus regieren – und müsste nicht, wie im Koalitionspakt vereinbart, den Premiersitz im November 2021 an Gantz übergeben.

Ausgeklügelter Koalitionspakt

Warum aber kündigt Netanjahu nicht einfach die Koalition auf, wenn es ihn nach Neuwahlen gelüstet? Die Antwort liegt im ausgeklügelten Koalitionspakt: Der sieht vor, dass bei einem Scheitern der Regierung automatisch Benny Gantz an die Spitze rückt, bis die nächste Koalition gebildet ist. Das will Netanjahu vermeiden. Im Koalitionsübereinkommen gibt es einen Passus, der keinen Machtwechsel vorsieht: das Scheitern der Budgetvorlage.

Am Montag stimmt das Parlament darüber ab, ob die Regierung eine Gnadenfrist von weiteren hundert Tagen erhält, um ein Budget vorzulegen. Netanjahus Fraktion hatte in erster Lesung zugestimmt. In einer Pressekonferenz am Sonntagabend kündigte Netanjahu auch für dieses Votum seine Unterstützung an. "Jetzt ist nicht die Zeit für Wahlen", erklärte er in einer nach Wahlkampfrede anmutenden Ansprache zur TV-Hauptsendezeit. Er fügte aber auch hinzu, dass jetzt "alles von Blau-Weiß abhängt".

Sein Koalitionspartner sei eine streitsüchtige "Regierung in der Regierung". Sollte die Deadline verlegt werden, wäre die Regierung zwar vorerst gerettet – aber niemand weiß, wie lange. In hundert Tagen stünde der nächste Budgetstreit am Programm. Und Netanjahu hätte eine neue Chance, einen Urnengang einzufädeln. (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 24.8.2020)