Prompt nach dem Angriff auf Rosen solidarisierten sich Bürgerinnen und Bürger.

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Auf den Schildern und Plakaten war zu lesen "Never again" oder auch "Never forget, never again". Aus dem Lautsprecher dröhnte beispielsweise "Schrei nach Liebe" von den Ärzten.

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Dreimal wurde die vor 20 Jahren wiedererrichtete Grazer Synagoge innerhalb von vier Tagen von einem antisemitischen Angreifer heimgesucht. Dienstagnacht wurden propalästinensische Schmierereien an der Fassade angebracht, Freitagnacht ein großes Fenster eingeschlagen.

Am Samstag wurde dann der Präsident der Jüdischen Gemeinde in Graz, Elie Rosen, kurz nach 18 Uhr von einem Mann mit einem Holzprügel attackiert. Rosen war aus mit seinem Auto zur Synagoge gekommen, als er den Mann sah, der mit Betonstücken offenbar den nächsten Vandalenakt plante. Er ging auf ihn zu und wurde attackiert. "Es gab keine Konversation außer die Attacke", so Rosen zum STANDARD. Er konnte sich in letzter Sekunde in seinem Auto in Sicherheit bringen und blieb unverletzt.

Verdächtiger festgenommen

Am Sonntagabend nahm die Grazer Polizei einen Verdächtigen fest. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sagte bei einer Pressekonferenz Montagmittag, der Mann sei geständig, es seien auch entsprechende Beweismittel gefunden worden. Er sieht einen islamistischen Tathintergrund. Der Mann habe auch weitere Delikte in Graz gestanden, darunter auf eine Einrichtung der LGBT-Community, den schwul-lesbischen Verein Rosalila PantherInnen. Der Täter lehne "die Gesellschaft in Österreich ab, er ist ein radikalislamistischer Antisemit, der obendrein noch homophob ist".

Außerdem geht es um weitere Sachbeschädigungen durch Steinwürfe und Schmieraktionen, unter anderem auf die Synagoge Graz, in einem Fall soll er es auch auf ein Etablissement im Rotlichtmilieu abgesehen gehabt haben.

Die Polizei und Nehammer haben inzwischen bestätigt, dass es sich bei dem Festgenommenen um einen syrischen Staatsbürger handelt. Er sei vor sechs Jahren nach Österreich gekommen. Der Mann soll auf einem Fahrrad unterwegs gewesen sein, als er von Beamten anhand der Fahndungsfotos erkannt wurde.

Verstärkter Schutz hätte kurz nach Angriff in Kraft treten sollen

Dass der Täter überhaupt ein drittes Mal das Gelände betreten und Rosen dort schutzlos antreffen konnte, sorgt für Kritik an der Exekutive. Der Bezirksvorsteher des Bezirks Gries, wo die Synagoge steht, Tristan Ammerer, beklagte auf Twitter, dass ihn die Polizei nicht ernst genommen habe, als er verstärkten Schutz nach den ersten Attacken anregte. Auch die Konferenz der Europäischen Rabbiner bemängelte, dass die österreichischen Behörden nicht schneller für Sicherheit sorgten.

Rosen teilt diese Kritik nicht: "Die Sicherheitsbehörden sind sehr bemüht, hier etwas zu tun. Ihnen einen Vorwurf zu machen ist politisches Hickhack." Dass jemand dreimal wiederkomme, habe auch er nicht für möglich gehalten: "Ich wurde eines Besseren belehrt." Was Rosen aber "sehr aufstößt, ist der Austausch zwischen links und rechts in sozialen Medien. Die einen werfen den anderen vor, die besseren Antisemiten zu sein. Das ist mehr als unappetitlich." Er rufe "alle dazu auf, sich zurückzunehmen. Mir ist es egal, woher der Angreifer kommt."

Für viele Grazer bleibt die Frage, wie das einst am besten bewachte Gebäude der Stadt dreimal in Folge attackiert werden kann. Die Polizei und das Innenministerium wehren sich entschieden gegen Kritik. Polizeisprecher Fritz Grundnig betonte am Sonntag, dass der verstärkte Schutz auch ohne den Angriff auf Rosen wenig später, am Samstag um 19 Uhr, aktiviert worden wäre.

Technischer Schutz

Dass ausgerechnet ein Beamter aus jenem Wachzimmer, das normalerweise für den Schutz der Synagoge sorgen sollte, im Juli wegen rechtsextremer Nachrichten vor Gericht stand, sieht Grundnig in keinerlei Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen. "Das ist ein Einzelfall bei diesem Kollegen", so Grundnig, "dass die gesamte Dienststelle betroffen ist, schließe ich aus." Eine "Suspendierung ist noch keine Verurteilung". Das Verfahren laufe noch.

Auch eine Sprecherin des Innenministers sieht auf Nachfrage des STANDARD kein Versagen bei der Polizei vor Ort. Man habe den Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt. Normalerweise gebe es vor allem bei Veranstaltungen verstärkte Bewachung, sonst habe man nachts vor allem auf technischen Schutz, also auf Kameras, gesetzt. "Da wurde nun auch sehr rasch österreichweit reagiert."

ORF

Vielfältige Solidarität

Solidaritätsbekundungen gab es nicht nur von Bundespräsident, Bundeskanzler, allen Parteien und Kirchen: Auch rund 30 Bürger und Bürgerinnen fanden sich Samstagnacht ein, um im strömenden Regen eine mehrstündige Mahnwache vor der Synagoge abzuhalten. Mit dabei auch der Bezirksvorsteher Ammerer, die ehemalige Grünen-Politikerin Edith Zitz sowie Vertreter des Islamischen Kulturzentrums.

Am Sonntag riefen die Jüdischen österreichischen HochschülerInnen zu einer Solidaritätsveranstaltung am Grazer Hauptplatz auf, an der laut Polizei knapp 200 Personen teilnahmen, darunter zahlreiche Regional- und Lokalpolitiker. Montagfrüh fand im Innenministerium ein Treffen von Nehammer, Edtstadler, Rosen und Deutsch statt.

Das Land Steiermark verlegte als Reaktion auf die Angriffe den Start des Expertengremiums in der 2019 gegründeten Extremismuspräventionsstelle Next auf September vor, informierte Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ). Das Gremium wird zu den Themen Rechtsextremismus, Islamismus, Antisemitismus, Sektenfragen und Linksextremismus bzw. Staatsverweigerer und ähnlichen Gruppierungen jeweils eigene Arbeitsgruppen bilden. (Colette M. Schmidt, red, 24.8.2020)