"Er will nur seine Basis ansprechen", sagt die Stimme auf dem Band. "Er hat keine Prinzipien. Keine. Und seine Basis, ich meine, mein Gott, wenn du eine religiöse Person bist, willst du Menschen helfen. Aber nicht so etwas tun."

Maryanne Barry, Donald Trumps älteste Schwester, war bis vor einem Jahr Bundesrichterin an einem Berufungsgericht. Während sie in der Öffentlichkeit schwieg, dürfte sie ihm hinter den Kulissen heftig widersprochen haben, gerade in Sachen Migration und Asyl. Zumindest ihrer Nichte Mary hat sie diesbezüglich reinen Wein eingeschenkt. Mary Trump wiederum hat aufgezeichnet, was ihr die Tante im Laufe mehrerer Gespräche anvertraute, und es der "Washington Post" zugespielt. Seit Sonntag sind die Mitschnitte publik.

Donald Trump mit seinen Geschwistern Maryanne und dem erst kürzlich verstorbenen Robert in jüngeren Jahren.
Foto: Imago/Sonia Moskowitz

"Was sie mit den Kids an der Grenze machen!", klagte die heute 83-Jährige über die Praxis, Kindern von ihren Eltern zu trennen, nachdem sie die Grenze zwischen Mexiko und den USA überquert hatten. Offensichtlich habe ihr Bruder nie gelesen, wie sie ihre Urteile begründete. In einem Fall wies Barry den Richter einer nachgeordneten Instanz zurecht, weil der gegenüber einem Asylantragsteller den nötigen Respekt vermissen ließ. Was Donald denn überhaupt gelesen habe, wollte die Nichte wissen. Die Antwort: "Er liest nichts".

Lügen, Lügen, Lügen

Mary Trump, schreibt die "Washington Post", habe den Dialog heimlich aufgezeichnet, um sich für eventuelle juristische Auseinandersetzungen zu wappnen. In einem zwanzig Jahre zurückliegenden Erbstreit nach dem Tod des Familienpatriarchen Fred Trump fühlte sie sich über den Tisch gezogen, übervorteilt von Donald und dessen Geschwistern, die sich zunutze machten, dass ihr Vater Freddy, Freds ältester Sohn, da schon nicht mehr lebte. Ob sie wusste, dass bei den Treffen mit der Nichte ein Band mitlief, ist nicht ganz klar. In New York, der Heimatstadt beider Frauen, sind solche Mittschnitte jedoch legal, auch wenn einer der Gesprächspartner davon nichts weiß. Jedenfalls ließ die altgediente Juristin kein gutes Haar an ihrem Bruder. "Sein verdammter Tweet und die Lügen, oh mein Gott", wetterte sie. "Es sprudelt jetzt aus mir heraus, aber du weißt ja, die ständig wechselnden Geschichten, der Mangel an Vorbereitung, die Lügen. Holy Shit!"

Maryanne 2016. Sie mittlerweile emeritierte Richterin am Berufungsgericht des 3. Bundesgerichtskreises der USA.

Schon in seiner Jugend sei Donald ein verzogener Rotzlöffel gewesen. Sie, Maryanne, habe für ihn die Hausaufgaben erledigt und ihn später "durch ganz New York City gefahren, damit er auf ein College kommt". An der renommierten University of Pennsylvania, der zweiten Universität, die er besuchte, sei er nur untergekommen, weil ein anderer an seiner Stelle den Aufnahmetest schrieb. "Ich erinnere mich sogar an den Namen. Joe Shapiro." Ein Joe Shapiro, mit dem Donald Trump an der Uni befreundet war, ist 1999 an Krebs gestorben. Als grundehrlicher Mensch habe er nie für irgendwen eine Prüfung abgelegt, beteuerte dessen Witwe, die Tennisspielerin Pam Shriver, nachdem Mary Trump den Fall in ihren im Juli veröffentlichten Memoiren geschildert hatte. Worauf die Autorin des Buchs erwiderte, dann müsse es sich wohl um einen anderen Joe Shapiro handeln. Falls es ihn gibt, behält er sein Wissen bis heute für sich.

Zusammenhalt nach außen

Bislang jedenfalls hatten Donald Trumps Geschwister, falls sie sich nicht in Schweigen hüllten, in den Medien stets nur Gutes über den Präsidenten zu sagen. Robert, dessen kürzlich verstorbener jüngerer Bruder, sprach 2016 davon, dass er ihn "zu tausend Prozent" unterstütze. Elizabeth, die zweitälteste Schwester, meidet konsequent das Rampenlicht. Maryanne wollte, solange sie Urteile zu sprechen hatte, keine Kommentare abgeben. Er sei nicht immer mit ihr einer Meinung, hatte der Kandidat Trump vor vier Jahren im Wahlkampf Differenzen angedeutet, aber sogleich hinzugefügt: "Sie ist eine sehr, sehr angesehene Richterin".

Donald und Maryannes Nichte Mary hat ein Enthüllungsbuch über den Onkel verfasst.
Foto: Imago

Hinter den Kulissen wurden offenbar andere Töne angeschlagen. Da musste sich Maryanne von ihrem groß auftrumpfenden Bruder anhören, dass sie es ohne ihn beruflich nie zu etwas gebracht hätte. In den 1980er Jahren wollte sie Bundesrichterin werden, in New Jersey, vor den Toren New Yorks. Sie fragte Donald, ob sein gut vernetzter Anwalt Roy Cohn beim Präsidenten Ronald Reagan ein gutes Wort für sie einlegen könnte. Cohn rief tatsächlich im Weißen Haus an, nach einem Gespräch mit Reagan wurde Maryanne Barry ernannt.

Allerdings, betonte sie gegenüber ihrer Nichte, habe sie sich die Nominierung allein durch ihre Leistung verdient, so wie sie auch spätere Beförderungen nur ihrer Qualifikation zu verdanken hatte, nie dem Beziehungsgeflecht ihres Bruders. Was diesen nicht daran hinderte, sie prahlerisch an seinen eigenen Beitrag zu erinnern. "Wo wärst du ohne mich?", zitiert sie ihn. Einmal scheint ihr der Kragen geplatzt zu sein: "Wenn du das noch einmal sagst, mache ich dich platt". (Frank Herrmann, 23.8.2020)