Der ehemalige Präsident Nigerias, Goodluck Jonathan, führte die westafrikanische Delegation nach Mali an, die den Präsidenten zurückhaben will.

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Wenige Tage nach dem Putsch in Mali ist die Lage in dem westafrikanischen Unruhestaat verblüffend entspannt: Die Straßen der Hauptstadt Bamako sind wie immer belebt, die Bevölkerung geht ihren Geschäften nach. In krassem Gegensatz dazu die Atmosphäre in den Machtzentralen der Nachbarstaaten: Dort wächst die Sorge, dass der neuerliche Coup ein ähnliches Chaos wie sein Vorgänger vor acht Jahren auslösen könnte. Damals folgte dem Putsch ein Machtvakuum und schließlich die Invasion tausender islamistischer Extremisten im Norden des Landes.

Sorge bereitet den Chefs der benachbarten Staaten außerdem, dass der malische Machtwechsel auch in ihren Ländern Schule machen könnte. In drei Mitgliedsländern des westafrikanischen Staatenbunds Ecowas finden noch in diesem Jahr heißumkämpfte Wahlen statt. Kein Wunder, dass der Staatenbund Feuer speit. Ihr gestürzter Amtskollege Ibrahim Boubacar Keïta müsse umgehend wiedereingesetzt werden, fordern die Staatschefs der Region. Der Coup sei ein "hinterhältiger Akt" gewesen, so Nigerias Präsident Muhammadu Buhari.

Gespräche mit Opposition

Dass der nervöse Zorn der Staatschefs in Mali Konsequenzen haben wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Keïtas Sturz wurde in der Bevölkerung mit Freudenfesten aufgenommen, am Freitag feierten tausende Hauptstadtbewohner den Coup in Bamako. Die Putschistenführer nahmen bereits Gespräche mit der Opposition auf: Sie wollen so schnell wie möglich eine Übergangsregierung einsetzen, die auch von einem zivilen Übergangspräsidenten geleitet werden könne. Nach Auffassung des Mali-Kenners Denis Tull vom Pariser Institut de recherche stratégique de l'Ecole militaire (Irsem) könnte der Putsch durchaus Bewegung in die malische Misere bringen.

In seiner siebenjährigen Amtszeit vermochte Keïta der explosiven Lage im von sezessionistischen Tuaregs bevölkerten Norden des Landes nicht Herr zu werden. Genauso wenig konnten er und seine Streitkräfte die Anschläge der Extremisten einschränken, die in der ersten Hälfte dieses Jahres mehr Menschen das Leben gekostet haben als im ganzen vergangenen Jahr. Schließlich machte sich Keïta mit einer wachsenden Zahl von Korruptionsskandalen unbeliebt: Der Wiederaufbau der Staatsruine ist auch acht Jahre nach der Implosion des Landes nicht vorangekommen.

Ausländische Truppen

Nicht mit Ruhm begossen haben sich auch die europäischen Streitkräfte, die seit Jahren die malische Armee trainieren, darunter 75 Soldaten der deutschen Bundeswehr und rund 50 Soldaten des österreichischen Bundesheeres. Sie konnten weder verhindern, dass die malische Armee ihre Frustration über ihr wirkungsloses Vorgehen gegen die Extremisten regelmäßig an der eigenen Bevölkerung austobt, noch, dass die Offiziere jetzt mit ihrem Coup die Demokratie lahmlegen.

Würde es nach dem Willen einer Mehrheit der Bevölkerung gehen, sollten sämtliche ausländischen Soldaten so schnell wie möglich nach Hause geschickt werden – mit den europäischen Ausbildnern auch die 5.000 Legionäre der französischen Eingreiftruppe Barkhane sowie die 15.600-köpfige Blauhelmtruppe, zu der auch rund 900 Drohnenaufklärer der deutschen Bundeswehr und drei Soldaten des Bundesheeres in Stabsfunktionen gehören. Vor allem die Bewohner der im Süden des Landes gelegenen Hauptstadt nehmen die fremden Militärs nicht als "Schutzmacht", sondern als Störenfried wahr, während die von den Umtrieben der Extremisten stärker betroffenen Nordmalier die Präsenz der ausländischen Truppen mehr zu schätzen wissen.

Frage nach der Führung

Dass die malischen Putschisten die fremden Soldaten nach Hause schicken werden, ist allerdings so gut wie ausgeschlossen: Die Offiziere versicherten bereits, an der Kooperation mit ihren "Partnern" festzuhalten. Die Reaktionen auf den Putsch fielen in Paris, Berlin und Washington denn auch auffällig gelassen aus: Die Vorgänge in Mali hätten auf die Stationierung der Bundeswehrsoldaten keinen Einfluss, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. In Europa fürchtet man nichts mehr als eine Schwächung des Kampfes gegen den Terror: Wenn der Umsturz diesen Kampf stärkt, wird er zumindest insgeheim begrüßt.

Anders die westafrikanischen Präsidenten, für die der Putsch grundsätzlich eine Gefahr darstellt: Sie sandten am Samstag eine weitere Delegation nach Bamako, um die Wiedereinsetzung Keïtas zu fordern – ein Verlangen, das außer an den Putschisten auch an Bamakos Bevölkerung scheitern wird. Ob der Coup für sie tatsächlich eine Chance bietet, ist nach Auffassung des Mali-Kenners Tull noch nicht entschieden: Dafür müsse sich erst einmal herauskristallisieren, wer künftig die Fäden in dem Trümmerstaat zieht. Weiterhin die seit Jahrzehnten hilflos und korrupt regierende politische Elite? Oder, ganz undemokratisch, die Offiziere? Oder die erstarkenden Islamisten unter dem populären Imam Mahmoud Dicko? Mit ihrem strengen Antikorruptionskurs und der Bereitschaft, Gespräche mit den Extremisten aufzunehmen, könnten sie zur Lösung der Misere in Mali am meisten beitragen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 24.8.2020)