Ferretti hatte andere Spieler jahrelang bedroht und fiel mit frauenfeindlichen Aussagen auf.

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Rudy Ferretti war ein Rekorde brechender Retro-Game-Champion. Innerhalb der Gaming-Community war der US-Amerikaner jedoch nicht nur für seine Highscores in Arcade-Spielen bekannt, sondern auch für sein aggressives Verhalten gegenüber anderen Spielern und seine gelebte Frauenfeindlichkeit.

Wie "Wired" berichtet, erzählten zahlreiche Mitglieder der Nischencommunity, wie er Spieler verfolgte, bedrohte, sie in sozialen Medien belästigte und in Foren gegen sie hetzte, um sie aus der Retro-Szene zu verjagen. Seitdem sein Tod und der mutmaßliche Mord an seiner Ex-Freundin an die Öffentlichkeit gelangt sind, wird Kritik an nicht ernstgenommener Frauenfeindlichkeit innerhalb der Gaming-Community lauter.

Drohungen

Vor zwei Wochen wurden der 41-Jährige und seine Ex-Freundin tot in seiner Wohnung in der Stadt Dover im US-Bundesstaat New Hampshire aufgefunden. Behörden fanden eine Schusswaffe in der Nähe von Ferretti, den medizinischen Untersuchungen zufolge waren beide an Kopfschüssen gestorben. Die Polizei vermutet, dass Ferretti die Frau ermordete, bevor er selbst Suizid beging. Der Fall erschüttert die Community, denn Ferrettis bedrohliches Verhalten war alles andere als unbekannt. Langjährigen Mitgliedern der Retro- und Arcade-Gaming-Szene zufolge hatte man die Community und die Polizei jahrelang vor Ferrettis Drohungen und seinem aggressiven Verhalten gewarnt.

Fast ein Jahrzehnt lang, heißt es von Mitgliedern der Community, habe Ferretti andere Spieler, insbesondere Frauen, belästigt, verfolgt, bedroht und einige aus der Nischenspielszene verdrängt. Er ließ auch Waffen in Youtube-Videos aufblitzen und prahlte auf Facebook damit, dass er sie zu Veranstaltung mitbringen würde. Dem Videospielhistoriker Patrick Scott Patterson, einem beliebten Opfer Ferrettis, zufolge drohte Ferretti ihm selbst in Videos damit, bewaffnet zu Events zu kommen, bei denen Patterson anwesend sein würde.

Hetze gegen Spielerinnen

Als die Spielerin Caitlin Oliver in einem Wettbewerb einen neuen Weltrekord für die Arcade-Version von Splatterhouse aufgestellt hatte, rückte auch sie in das Visier Ferrettis. In einer Reihe von Tweets schilderte sie, dass Ferretti sie in ihrem Livestream-Chat belästigt habe, eine Website über sie erstellt und sogar Freunde um Geld gebeten habe, um nach Chicago zu fliegen und gegen sie anzutreten.

Ferretti sei der Grund gewesen, warum Oliver sich aus der Arcade-Wettbewerbsszene zurückzog: "Er hasste mich und verfolgte mich drei Jahre lang, bis ich mit den Wettkämpfen aufhörte, und ich kann es nicht fassen, wie viel Glück ich hatte, jetzt nicht tot zu sein", schrieb sie. Zudem habe Ferretti Freunde aus der Community dazu motiviert, sie und ihre Bekannten online zu belästigen und zu beleidigen.

Gamergate

Der Aufstieg der Gamergate-Hasskampagne im Jahr 2014 spornte Ferretti an und bekräftigte ihn in seinem Glauben, dass Frauen – oder auch "radikale Feministinnen", wie er sie in mehreren Blog-Posts und Youtube-Videos nannte – die "Reinheit" der Arcade-Gaming-Szene zerstören wollten. Er bezeichnete mehrere Frauen als "Feminazis" und erklärte in einem Beitrag, dass Gamergate für Menschen wie die Retrogame-Sammlerin Catherine DeSpira gemacht worden sei. Die Schriftstellerin und Historikerin wurde ebenso wie Patterson regelmäßig zur Zielscheibe Ferrettis.

Die Gamergate-Bewegung befeuerte die Idee, dass Frauen die Gaming-Community sabotieren würden und deshalb nicht willkommen seien. Zusammen mit einer Gruppe gleichgesinnter Männer fing Ferretti an, in diversen Social-Media-Kanälen und Foren beleidigende Postings über DeSpira zu veröffentlichen.

Auf Facebook und Youtube postete Ferretti regelmäßig Beiträge und Videos, in denen er DeSpira dazu aufforderte, "die verdammte Gamingszene zu verlassen". In der Öffentlichkeit gab Ferretti DeSpira beleidigende Namen wie "radikale Schweinefeministin" und "Fotzen-Despira" und nannte sie "einen der vier Reiter, die alle Spiele zerstören wollen". Zudem verbreitete er obszöne Memes über die Schriftstellerin und versuchte zusammen mit anderen Anhängern ihre Social-Media-Konten zu löschen, indem er sie bei den Plattformen meldete.

Bemühungen, gegen Ferrettis Verhalten vorzugehen, seien meist erfolglos geblieben, erklären DeSpira und Patterson. Zusammen hätten sie sich einige Male an die Polizei verschiedener US-Bundesstaaten gewandt, um Ferrettis Drohungen gegen sie selbst und andere zu melden. Die Versuche hätten jedoch kaum Wirkung gezeigt.

"Retter der Community"

Über die Jahre hinweg hatte sich ein Cluster von Retro-Spielern aus dem ganzen Land gebildet, die Ferretti in privaten Nachrichten und Foren dazu anstachelten, weiter gegen Frauen und Spieler, die sie aus der Szene verdrängen wollten, Stimmung zu machen. Sein aufbrausendes Verhalten und seine frauenfeindliche Einstellung wurden dabei zur Waffe.

Noch im April nannte sich Ferretti in einem Youtube-Video "Retter der Community". Ihm schien durch den Ansporn anderer Gamergate-Anhänger eine Art Verantwortung für den Erhalt der Nischencommunity in den Schoß gefallen zu sein, er rechtfertigte sein Verhalten mit seinem Geschick beim Spielen: "Ich kann ein Arschloch sein. Weißt du, warum? Weil ich Weltmeister bin. Ich bin ein Gamer", sagte er in einem Video.

Bedrohung nicht ernst genommen

Versuche, Ferrettis Schikanen von anderen Spielern fernzuhalten, mangelte es an Beharrlichkeit. Zu einigen Game-Conventions oder -Events wurde ihm Quellen zufolge der Zutritt verwehrt, dennoch gab es weiterhin Alternativen. Die Videogame-Plattform Twin Galaxies, die etwa zur Kommunikation von Wettbewerben und Rekorden dient, wurde oft über Ferrettis frauenfeindliches Verhalten und seine Drohungen gewarnt. Die Organisation sperrte sein Konto alle paar Jahre, reaktivierte dieses allerdings immer wieder, um ihm eine weitere Chance zu geben. 2018 distanzierte sich die Plattform endgültig von ihm.

Seit dem gewaltvollen Tod Ferretis und dem mutmaßlichen Mord an seiner Ex-Freundin wird innerhalb der Community der Vorwurf laut, nicht vehement genug gegen Belästigungsvorwürfe und sexistische Angriffe innerhalb der Gamer-Community vorzugehen. "Ich habe versucht, den Leuten zu sagen, dass dieser Typ Rudy gefährlich und in der Lage ist, genau das zu tun, was er letztendlich getan hat", sagte Patterson.

Kritikern zufolge war ein Netzwerk institutioneller Misserfolge, die von mangelhafter Forenmoderation bis hin zu Strafverfolgungsbehörden, die die Lage nicht ernst nahmen, dafür verantwortlich, dass Ferretti seine Hasskampagnen über ein Jahrzehnt hinweg durchziehen konnte. (red, 24.8.2020)