Der 1. Mai 1945 scheint das ideale Datum zu sein, um einen Blick auf den Überlebenskampf der Stadt Wien zu werfen – auf den Mobilitätsstatus der wichtigsten kommunalen Betriebe wie Wiener Linien, Feuerwehr, Rettung, aber auch auf die Wiederauferstehung der Polizei.

Knapp zwei Wochen waren die Kämpfe um Wien vorbei, auf dem Rathausplatz erklangen die Internationale oder Brüder, zur Freiheit, zur Sonne, Dr. Karl Renner formierte Ende April die erste demokratische Regierung – mit dem Schönheitsfehler, dass diese monatelang von den Westalliierten als kommunistisches Satellitenregime abgetan wurde. Rund 80 Kilometer westlich tobte noch der Krieg, und Reichspräsident Dönitz schaffte den Hitlergruß bei der Wehrmacht ab.

1947: Ausfahrt des Einsatzkommandos aus der Rossauer Kaserne.
Foto: Polizeimuseum

Große Teile Wiens lagen zu diesem Datum in Schutt und Asche, kein öffentlicher Verkehr, keine Kommunikation, es herrschte Hunger, Mangel an allem, Wohnungsnot, Plünderungen, auf den Straßen Faustrecht, für viele Frauen war es eine Zeit des Schreckens.

Theodor Körner, bewährter General aus dem Ersten Weltkrieg, setzte als Wiener Bürgermeister die militärischen Strategien aus den Isonzo-Schlachten um, "seine" Kommunalbetriebe formten aus der Stunde null die Stunde eins.

Provisorischer Straßenbahnbetrieb

Der Schlüssel hierfür fand sich bei den Verkehrsbetrieben. Bis 7. April 1945, da wurde schon in den Vorstädten gekämpft, verkehrte noch die Straßenbahnlinie O regelmäßig. Kaum war Frieden in Groß-Wien, wurden alle Kräfte mobilisiert, um wieder einen provisorischen Straßenbahnbetrieb auf die Schienen zu stellen. Viele Remisen waren zerstört, Straßenbahnwagons vergammelten als sinnlose Panzersperren, Schutt und Müll machten viele Straßen unpassierbar, doch bereits am 29. April konnten auf vereinzelten Strecken im Westen der Stadt mit den Linien 10, 46, 47, 49, 60 der reguläre Verkehr wieder aufgenommen werden.

Die Feuerwehr rückt 1945 mangels Motorgerät per Schubkarren aus.
Foto: Wiener Feuerwehr

Ende Mai rollte sogar die Stadtbahn zwischen Hietzing und Hauptzollamt, das Geheimnis dieses Wunders – denn eine Stadt ohne öffentlichen Transport ist wie ein Gelähmter ohne Rollstuhl, sagte man damals: Mit nur zwölf Prozent Gleisschäden durch Kampfhandlungen und Bombentreffer war Wien halbwegs glimpflich davongekommen.

Im Erdberger Museum der Wiener Verkehrsbetriebe findet sich die Dokumentation dieser Zeit inklusiver vieler Exponate des rollenden Materials.

Das einzige noch einsatzfähige Löschfahrzeug von Gräf & Stift.
Foto: Wiener Feuerwehr

Wien fuhr wieder, wenn auch in sehr bescheidener Form. Das ermöglichte auch Feuerwehr und Rettung, gewisse Einsätze zu realisieren. Nach dem Anschluss 1938 wurden ja – entsprechend dem deutschen System – Feuerwehr und Rettung als Feuerschutzpolizei vereinigt. Wie in den USA kam im Bedarfsfall für einen Krankentransport zuerst die Feuerwehr.

Im Konvoi zurück

Als halbmilitärische Einheit erhielten beide Körper bei den Kämpfen um Wien den Rückzugsbefehl Richtung Oberösterreich. Wie im STANDARD berichtet, brachte Josef Holaubek im August 1945, abgesichert durch US-Militär, rund 50 Einsatzfahrzeuge der Berufsfeuerwehr wieder zurück, die Rettungswagen dagegen scheinen im Westen andere Liebhaber gefunden zu haben, darunter auch der Sanitäts-Horch.

Die Feuerwache Wien stand Anfang Mai 1945 mit zwei Rüstwagen von Gräf & Stift beziehungsweise Austro-Daimler, Baujahr 1918, da. Für sie hatte sich selbst in diesen Zeiten kein "Liebhaber" gefunden. Vieles musste händisch erledigt werden.

Bei der Rettung kommen auch ein Horch...
Foto: Rettungsmuseum Wien

Noch dramatischer die Situation der Rettung. Eine Einsatzfahrt Richtung Rudolfsstiftung endete an der russischen Sperre. Der Sanitätskraftwagen (Sanka) wurde beschlagnahmt, Patient und Pflegepersonal auf die Straße gesetzt, das Fahrzeug verschwand spurlos. Selbst die Militärpolizei, sie hatte Treibstoff zur Verfügung gestellt, zeigte sich "not amused". Wracks säumten die Einsatzzentralen der Rettung, fünf Ford V8-Rettungswagen als Leihgabe der Schweiz sowie ein Dodge-Ex-Militärwagen erleichterten erst im Herbst die Situation.

...und ein Opel Blitz zum Einsatz.
Foto: Rettungsmuseum Wien

"Warum fahren Sie mit meinem Auto?"

Von Polizei im herkömmlichen Sinn konnte man im Mai '45 nicht sprechen, der Großteil der Mannschaft hatte sich gen Westen abgesetzt – für die mächtigen Kommunisten ein Zeichen, Polizei in ihrem Sinn zu rekrutieren. Wer halbwegs entsprach, bekam eine Armbinde, die private Waffe durfte mitgebracht werden – und Leumundszeugnis? Völlig unbekannt.

Den Fuhrpark galt es zu beschaffen, gemeinsam mit Mitgliedern der Tito-Freiheitsbrigade wurden private Garagen aufgebrochen, man "organisierte" die Mobilität, wie Werner Sabitzer, Chef des Polizeimuseums, im Gespräch mit dem STANDARD berichtete. Auch Präsident Holaubek kam dadurch in eine peinliche Situation, als ihm vor dessen Dienstwagen ein Passant die Frage stellte: "Warum fahren Sie mit meinem Auto?"

Luftschutzfahrzeuge, rollendes Wehrmachtsmaterial, zusammengebastelte Straßenwracks erlaubten in diesen Wochen bescheidene Fortbewegung. Vier Polizisten bildeten mit ihren privaten Motorrädern die erste Funkstreife, etwas später spendete die Kontrollbank der Wiener Polizei Dodge-Kraftwagen aus alliierten Beständen.

Aus heutiger Sicht, eingebettet in Wohlstand, scheinen die Leistungen jener Tage fast unglaublich, doch es war der Einsatz jener Generation, welche unbedingt eines wollte: den Frieden gewinnen. (Peter Urbanek, 28.8.2020)