Die Regisseurin Halina Dyrschka versucht in "Jenseits des Sichtbaren" Werk und Person der Hilma af Klint zu erkunden.

Foto: Filmladen

Im Jahr 2013 wird die Regisseurin Halina Dyrschka durch einen Zeitungsartikel auf die schwedische Künstlerin Hilma af Klint aufmerksam. Deren Bilder waren jahrzehntelang vergessen oder sind sogar bewusst missachtet worden. Mittlerweile gilt sie als Pionierin der abstrakten Malerei, selbst wenn sich ihre Eingliederung in die Kunstgeschichte denkbar schwierig gestaltet.

Dyrschkas Dokumentarfilm Jenseits des Sichtbaren ist ihre Entdeckungsreise in die Welt jener unerwünschten Künstlerin. 1500 Gemälde, 26.000 Seiten Tagebucheinträge und Notizen: Riesig ist das Vermächtnis, das Hilma af Klint ihrem Neffen nach ihrem Tod 1944 hinterlässt. Viele ihrer Bilder sind großformatig, am bekanntesten ist wohl ihre Serie Die zehn Größten, eine Darstellung der Stationen eines Menschenlebens: Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, Alter). Die zehn Bilder entstanden innerhalb von 42 Tagen. Ein Schaffensdrang, der auch eine Bürde für den Neffen darstellte.

Hilma verfügte, dass ihr Werk erst 20 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht werden durfte. Trotz schlechter Lagerungsbedingungen blieb es unversehrt, bis es in den 1980er-Jahren erstmals öffentlich zugänglich gemacht wurde. 2012 schloss das Museum of Modern Art in der Ausstellung Inventing Abstraction Hilma af Klint noch aus, obwohl ihr erstes Bild bereits 1906 entstand und somit vor dem vermeintlich ersten abstrakten Gemälde Wassily Kandinskys, das mit 1911 datiert. Erst 2013 feiert eine Wanderausstellung des Moderna Museet in Stockholm sie schließlich als Pionierin der abstrakten Malerei.

Imaginierte Tempel

Jenseits des Sichtbaren beschreibt Hilma af Klints Schaffen abseits der männlichen Kunstgeschichte und erkundet auch die Themen ihrer Werke selbst. Naturwissenschaftliche Entdeckungen wie Röntgenstrahlen, Radioaktivität oder Relativitätstheorie ebneten den Weg für die abstrakte Darstellung des Unsichtbaren. Immer mehr fand sie Zugang zur Spiritualität, nahm mit Kolleginnen an Séancen teil und wurde Anhängerin der Theosophie und späteren Anthroposophie.

Sie imaginierte einen spiralförmigen Tempel als Ausstellungsraum für ihre Bilder, der sich 1939, ein paar Jahre vor ihrem Tod und ganz unabhängig von ihr, dann im Guggenheim-Museum verwirklichte. 2018 bescherten ihre Bilder dem Museum schließlich einen Besucherrekord.

Dyrschka ist in ihrer Entdeckung Hilma af Klints selbst sehr präsent. Immer wieder schaltet sie sich in den Film ein, stellt Fragen, übernimmt eine Doppelfunktion als Entdeckerin und Aufklärerin. Ihre Stimme tritt in ein Gespräch mit dem Betrachter. Zusätzlich kommen Kunstkritikerinnen, Kunsthistorikerinnen, Kuratorinnen oder Zeitzeuginnen zu Wort; so entsteht eine Geschichte von Frauen für Frauen.

Kräftige Farbpalette

Im Fokus stehen jedoch die Gemälde af Klints, über die Faszination des Werks ermöglichen sie den Zugang zur Künstlerpersönlichkeit. Dyrschka lässt die Künstlerin selbst in Form von Nachstellungen zu Wort kommen. Notizen und Briefe werden in der jeweiligen Originalsprache (Schwedisch, Deutsch, Englisch) gelesen, eine Schauspielerin stellt af Klints Malprozess an einem ihrer großen Gemälde nach.

Dazwischen schaltet die Regisseurin Landschaftsbilder, spielt mit der Unschärfe, mit Farben und versucht so mögliche Inspirationen für Hilma af Klints Bilder zu finden, entdeckt Details und relevante Formen wie die Schnecke und kräftige Farbpalette in der Natur.

Dyrschka hat in ihrem ersten Langfilm einen persönlichen Zugang zu einer Malerin gefunden, die im strengen Regelwerk der Kunstgeschichte bis heute unerwünscht ist. Ein optimistischer Anstoß für eine Neuschreibung. (Katharina Stöger, 25.8.2020)