Ist von alternativen Fakten die Rede, denkt man in Amerika automatisch an Kellyanne Conway. Die scharfzüngige Republikanerin war gerade auf dem Gipfel der Macht angekommen, als sie sich bis auf die Knochen blamierte, zumindest bei Kritikern des damals gerade vereidigten Präsidenten Donald Trump. Sean Spicer, der neue Sprecher des Weißen Hauses, hatte im Auftrag seines Dienstherrn vom größten Publikum gesprochen, das je Zeuge einer Inauguration geworden sei.

Zwinker, zwinker: alles nur "alternative Fakten". Für diese Wortschöpfung wurde Conway berühmt.
EPA/MICHAEL REYNOLDS

Weil die Luftaufnahmen des Schauplatzes, der National Mall in Washington, das Gegenteil dokumentierten, deutlich weniger Publikum als etwa bei den beiden Amtseinführungen Barack Obamas, war Kellyanne Conway gefragt – die Spin-Meisterin, die scheinbar allem und jedem einen Dreh geben konnte, bis es Trump passte. "Sie sagen, es war nicht die Wahrheit. Nun, Sean Spicer, unser Pressesekretär, hat Ihnen alternative Fakten gegeben", belehrte sie einen Fernsehmoderator, der kritisch nachhakte.

Beständige Wegbegleiterin

Seit jenem 20. Jänner 2017 gehört Conway in der Regierungszentrale an der Pennsylvania Avenue zu den prominentesten Gesichtern. Während sich das Personalkarussell seither schneller drehte als unter jedem anderen Präsidenten der jüngeren US-Geschichte, überstand sie jede dieser Drehungen. Als Topberaterin in Sachen Kommunikation schien sie nicht mehr wegzudenken aus dem Küchenkabinett Trumps.

Für den Wahlkampf, dessen heiße Phase Anfang September beginnt, hatte sie einen persönlichen Kraftakt angekündigt: Gleich in zwei Bundesstaaten pro Tag wollte Conway bis zum 3. November die Werbetrommel rühren. Umso lauter dröhnt nun der Paukenschlag, da sie, ausgerechnet zu Beginn des Wahlparteitags der Republikaner, ihren Hut nimmt.

Ideologischer Riss quer durch die Familie

Sie wolle sich fortan auf ihre Familie konzentrieren, begründete sie ihren Rücktritt, was diesmal mehr ist als eine Floskel, derer man sich in solchen Fällen eben bedient. Der politische Riss, der quer durch die Familie ging, scheint sowohl sie als auch ihren Mann dermaßen belastet zu haben, dass am Ende beide die Reißleine zogen. George Conway, ein konservativer Anwalt, hat das Lincoln Project mitbegründet, eine Initiative republikanischer Renegaten, die in bitterbösen polemischen Werbefilmchen vor Trumps Wiederwahl warnt.

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Kellyanne mit ihrem Mann George, einem bekennenden Trump-Kritiker.
Foto: REUTERS/Joshua Roberts

In Tweets wie auch in seinen Kolumnen, veröffentlicht in der "New York Times", dem publizistischen Flaggschiff des liberalen Amerika, sprach er dem Staatschef schon mal die mentale Tauglichkeit fürs Amt ab, wofür er sich von diesem als "absolute Niete" und als "Ehemann aus der Hölle" beschimpfen lassen musste. Nun zieht er sich vom Lincoln Project zurück. Zudem kündigt er an, vorerst nicht mehr zu twittern. Im Gegenzug verlässt seine Frau das Weiße Haus.

Teenager im Homeoffice

"Wir sind uns in vielem uneins, aber wir sind vereint, wenn es um das Wichtigste geht: die Kinder", begründete sie den Schritt. Für die vier Kinder im Teenageralter beginne ein neues Schuljahr, wobei man sich mindestens noch für ein paar Monate auf rein virtuellen Unterricht einstellen müsse. Wie Millionen Eltern wüssten, bedürfe es bei Kindern, deren Schule sich in der eigenen Wohnung befinde, eines Maßes an Aufmerksamkeit und Umsicht, "das so außergewöhnlich ist wie diese Zeit". Ihr Mann gestattete sich eine ironische Note, als er die Bedeutung der Entscheidung einzuordnen versuchte: "Fürs Erste, und für meine heißgeliebten Kinder, wird es weniger Drama und mehr Mama geben."

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Bei der Inauguration im Jänner 2017 waren sie noch ein Herz und eine Seele. Ab September muss Donald Trump ohne seine Spin-Meisterin auskommen.
REUTERS/Joshua Roberts

Kritik der Tochter

Den Ausschlag gab wohl Claudia Conway, die älteste Tochter des Paars, die in sozialen Medien für Furore gesorgt hatte. Auf Twitter übte die 15-Jährige nicht nur scharfe Kritik am Präsidenten, sie ging auch mit ihrer Mutter hart ins Gericht. Deren Job ruiniere ihr eigenes Leben, hatte sie noch am Samstag geklagt. Es breche ihr das Herz, dass sie "noch immer diesen Weg geht, nach Jahren, in denen sie ihre Kinder leiden sah". "Egoistisch. Es geht nur um Geld und Ruhm, meine Damen und Herren."

Sie wolle sich von ihren Eltern emanzipieren, schrieb Claudia Conway noch. Nachdem sie erfahren habe, dass ihre Mutter auf dem Wahlkongress der Republikaner reden würde, sei sie am Boden zerstört. Kurz darauf folgte die Kehrtwende im Sinne familiärer Versöhnung. Dies sei alles zu viel für sie, twitterte das Mädchen angesichts des Wirbels um ihre Zeilen. Im Interesse ihrer geistigen Gesundheit lege sie, was Social Media angehe, eine Pause ein. "Bitte keinen Hass gegenüber meinen Eltern!"

(Frank Herrmann aus Washington, 24.8.2020)