Blick von oben: Bei den Gesundheitsgesprächen in Alpbach waren dieses Jahr nur wenige Menschen. Das weltweite Interesse an der Pandemie ist aber riesig.

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Die Welt steckt in der größten Gesundheitskrise seit 100 Jahren, tagtäglich geht es um die Eindämmung von Infektionsherden, um Tests und Cluster-Kontrollen. Und doch war die Atmosphäre am Europäischen Forum Alpbach (EFA) nie ruhiger als in diesem Jahr. Kaum Menschen, leere Hotels und strenge Sicherheitsvorkehrungen: Die Gesundheitsgespräche, die traditionell den Auftakt machen, finden heuer zum größten Teil online statt. Mehr als alles andere steht die Frage im Mittelpunkt, wie es nun weitergehen wird.

"Unsere Gesundheitssysteme sind in einer viel besseren Position als im Februar", lautete die gute Nachricht von Hans Henri P. Kluge, dem Regionaldirektor für Europa bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Klar ist: Das Virus wird nie mehr verschwinden – es gibt jeden Tag 26.000 neue Infektionen in der EU -, doch mit den neu geschaffenen Instrumenten und Verhaltensregeln lässt sich die Pandemie managen, sagt er, und zwar ohne dass die Wirtschaft wieder auf null heruntergefahren werden muss.

Ende des Jahres

Eine Schlüsselrolle spielt die Impfung. Man müsse sich jetzt "bis zur Impfung zusammenreißen", propagierte unlängst auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die aktuelle Stimmung.

Die österreichische Virologin Christina Nicolodi, Expertin für Zulassungsfragen, äußerte sich zuversichtlich, dass es bis Ende des Jahres die ersten Impfstoffe geben könnte. Die schnelle Impfstoffentwicklung rund um den Globus sei möglich, "weil viele bürokratische Hürden bei Zulassungsstudien aufgehoben wurden", sagte sie und meinte die Fast-Approval-Verfahren, bei denen die einzelnen Studienetappen in den mehrstufigen Verfahren nun nicht wie früher hintereinander, sondern auch parallel und überlappend absolviert werden können.

Schnellere Abläufe

Sämtliche Wartezeiten und Antragsfristen zwischen den Phasen wurden aufgehoben oder verkürzt, zudem kommunizieren die Impfstoffentwickler den Behörden auch Zwischenergebnisse, um sie auf dem Laufenden zu halten. Früher durften die Studien erst nach Auswertung sämtlicher Daten übermittelt werden.

Es gibt zwei Impfstoffe, die bereits die entscheidende letzte Prüfphase III erreicht haben und an vielen Tausenden Menschen getestet werden, unter anderem jenen von Astra Zeneca. "Es geht nicht darum, der erste Impfstoff am Markt zu sein, sondern der erste, der bei einer überwiegenden Mehrzahl der Probanden sicher und effizient gleichzeitig ist", sagt Nicolodi, und in dieser Frage gäbe es keine Abkürzungen. Wenn einer der Impfstoffe in den nächsten vier Monaten die Hürden der dritten klinischen Prüfungsphase nimmt, würde auch sie persönlich sich impfen lassen, so die Expertin. Denn die erforderlichen Beweise für die Sicherheit und Wirksamkeit seien damit erbracht worden.

Apropos Wirksamkeit: Für die Impfstoffhersteller und ihre Tests sind Länder mit hohen Infektionszahlen extrem wichtig, denn nur dort kann bewiesen werden, dass ein Impfstoff vor einer neuerlichen Infektion schützt und wirksam ist.

Riskanter Vorgriff

Und noch ein Novum gibt es in der Impfstoffentwicklung: Schon jetzt, also noch vor einer Zulassung, wird an hochkomplexen und aufwendigen Herstellungsverfahren gearbeitet. Das ist riskant und in gewisser Weise ein Blindflug.

Ganz allgemein, ist sich Nicolodi sicher, wird es eine Vielzahl von Impfstoffen geben – mit unterschiedlicher Wirksamkeit und verschiedenen Dosierungen. Zum einen, weil sich in Studien immer deutlicher zeigt, dass Sars-CoV-2 unterschiedliche Immunzellen des Abwehrsystems aktiviert. Kinder und Jugendliche entwickeln schneller Antikörper, dafür weniger T-Zellen, die für eine nachhaltige Immunität wichtig sind. Bei Erwachsenen dominieren Letztere, und bei alten Menschen sind beide Gruppen von Immunzellen eher schwach.

"Alle Länder sind mehr oder weniger in einer ähnlichen Position", sagte EFA-Präsident Franz Fischler bei der Eröffnung des Forums und betonte, wie wichtig ein gemeinsames Vorgehen bei der Bewältigung großer Krisen ist.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der ebenfalls zur Eröffnung angereist war, betrachtete die Corona-Pandemie um einiges fundamentaler und warnte vor einer "Europasklerosis", also vor brüchig werdenden europäischen Strukturen, die demokratiegefährdend und möglicherweise ebenfalls hochansteckend sein könnten. Das Coronavirus, so der Bundespräsident, sei nur ein Symptom, "gegen Klimawandel wird es nie eine Impfung geben", warnte er. (Karin Pollack, 25.8.2020)