Nichts ging mehr. Urlauber, die nach Haus wollten, standen mit ihren Pkws bis zu 15 Stunden im Stau an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien. Die Bilder, die Touristen von dieser grenzwertigen Situation ins Netz stellten, dokumentierten chaotische, ja gesundheitsgefährdende Zustände. Die Heimreisenden – wie auch die örtlichen Grenzbehörden – wurden kalt erwischt, von einer Verordnung des Gesundheitsministeriums, wonach Durchreisende ein Formular zu unterzeichnen haben, dass sie sich zur "Durchreise ohne Zwischenstopp" verpflichten. Das Land Kärnten nahm den Verordnungstext wörtlich. Jeder und jede an der Grenze hatte das Formular auszufüllen. Endstation Chaos.

Für diese völlig aus dem Ruder gelaufene bürokratische Aktion will Kärnten aber nicht die Verantwortung übernehmen. Man habe sich bloß an die Anordnung des Bundes gehalten. Erst als Landeshauptmann Peter Kaiser am nächsten Morgen die Notbremse zog und eigenmächtig nur noch stichprobenartig kontrollieren ließ, entspannte sich die Lage.

Die Grenzkontrollen bei der Einreise nach Österreich haben für lange Staus gesorgt.
Foto: APA/GERD EGGENBERGER

Im Sozialministerium weist man jegliche Schuld von sich. Die Kärntner hätten – salopp formuliert – den Text der Verordnung falsch verstanden. Sie hätten "eh" nur Stichproben nehmen müssen, von flächendeckender Kontrolle sei nie die Rede gewesen. Das sei allen so kommuniziert worden, was die Bezirkshauptleute an den Grenzen vehement zurückweisen. Mit ihnen habe niemand über die Verordnung gesprochen.

Dass etwa der Kärntner Bezirkshauptmann Bernd Riepan so rigoros kontrollieren ließ, ist für seinen steirischen Kollegen Manfred Walch, der für Spielfeld zuständig ist, nachvollziehbar. Beamte wollen lieber "auf der sicheren Seite" stehen. Sie seien zuletzt öfters mit Amtsmissbrauchsvorwürfen und -verfahren konfrontiert worden – so auch Riepan im Nachspann der Bundespräsidentenwahl.

Chaos und Schuldzuweisungen

Walch, der die Verordnung wegen "Widersprüchlichkeit" ignoriert hatte, erwähnt noch ein erhellendes Detail: Die Behörden vor Ort, die als mittelbare Verwaltung Bundesverordnungen exekutieren müssen, haben seit Beginn der Pandemie 372 Corona-Verordnungen auf den Tisch bekommen. Tritt eine Verordnung in Kraft, ist schon die nächste auf dem Weg. Sie sind zum Teil auch nicht zu Ende gedacht: Was passiert etwa mit den tausenden ausgefüllten Durchreiseformularen? Was mit jenen Reisenden, die an der Grenze, sagen wir, 38 Grad erhöhte Temperatur haben?

Aus dem Chaos und den gegenseitigen Schuldzuweisungen ist jedenfalls einiges herauszulesen: Die Kommunikation zwischen dem Bund und den Ländern ist nicht klar, professionell und stringent organisiert. Die Verordnungstexte, deren es viel zu viele gibt, scheinen zum Teil dahingehudelt, was zu eklatanten Missverständnissen führen kann – wie jetzt am Wochenende in Kärnten. Und es ist evident, dass im Gesundheitsministerium der Stab versierter Juristen, die unfallfreie Texte formulieren können, aufgestockt werden muss.

Es ist nebenbei bemerkenswert, dass kurz vor dem Stau-Chaos Bundeskanzler Sebastian Kurz schärfere Grenzkontrollen gefordert hatte. Gesundheitsminister Rudolf Anschober exekutierte dies per Verordnung und hat jetzt – wie es auf Wienerisch heißt – "das Bummerl". Da scheint sich über die Grenzpolitik auf dem Rücken vieler Urlauber auch ein subtiles politisches Gezeter abzuspielen. (Walter Müller, 24.8.2020)