Álvaro Uribe droht als erstem kolumbianischem Ex-Präsidenten eine Haftstrafe.

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In Corona-Zeiten demonstrieren Uribe-Anhänger im Autokonvoi.

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Dass Gesichtsschilde nicht vor Ansteckung schützen, ist mittlerweile nachgewiesen.

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Die Anwälte des wegen Zeugenbestechung angeklagten kolumbianischen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe haben eine neue Strategie, um ihren Mandanten vor einer Haftstrafe zu retten: Da er als Senator zurückgetreten ist, sei das Höchstgericht nicht mehr für den Fall zuständig, argumentieren sie.

Dafür gibt es Präzedenzfälle: So attackierte die Abgeordnete Aída Merlano 2017 drei Flugbegleiterinnen, die sie nicht mehr an Bord eines bereits abgefertigten Fluges lassen wollten. Der Fall hatte nichts mit ihrer politischen Tätigkeit zu tun, also wurde sie, nachdem ihre Immunität als Senatorin erloschen war, vor ein reguläres Gericht gestellt.

Zeugenbestechungsvorwurf

Im Fall Uribe hingegen geht es um Zeugenbestechung: Dem Ex-Staatschef (2002–2010) wird vorgeworfen, ehemalige Paramilitärs dafür bezahlt zu haben, nicht gegen ihn auszusagen. Geht der Fall zurück an die Staatsanwaltschaft, stehen ihm alle Berufungsmöglichkeiten offen, die Verhandlung könnte sich über Jahre ziehen.

Seit Anfang August sitzt Uribe auf seiner 1.500-Hektar-Finca El Ubérrimo im Hausarrest. Er ist der erste kolumbianische Ex-Präsident, gegen den diese Maßnahme verhängt wurde. US-Vizepräsident Mike Pence kritisierte die Anordnung und forderte, den Träger der Freiheitsmedaille des US-Präsidenten umgehend freizulassen.

Weiterer Richter will Uribe einvernehmen

Auch wenn der Wunsch der Anwälte Uribes in Erfüllung geht und der Prozess weiter verschleppt wird, droht ihrem Mandanten Ungemach: Ein am Wochenende in kolumbianischen Medien veröffentlichter Bericht über die Ermittlungen zu drei Massakern in seiner Heimatprovinz Antioquia enthält die Aufforderung, den Ex-Präsidenten sowie mehrere Ex-Paramilitärs bis spätestens Ende September als Zeugen vorzuladen.

Das 71 Seiten lange Dokument, das auch der Nachrichtenagentur AP vorliegt, zählt dutzende getötete Zivilisten auf. Ganz oben auf der Liste steht der Menschenrechtsaktivist Jesús María Valle Jaramillo, der 1998 in seinem Büro in Medellin mit zwei Kopfschüssen getötet wurde, nachdem er dem kolumbianischen Militär vorgeworfen hatte, rechtsextreme Todesschwadronen zu unterstützen.

Mehrere Ex-Paramilitärs haben ausgesagt, dass Uribe, der in den 90er-Jahren Gouverneur von Antioquia war, an der Gründung der Einheit "Bloque Metro" der paramilitärischen "Autodefensas unidas de Colombia" (AUC) beteiligt gewesen sei und der Organisation eines seiner Landgüter als Hauptquartier zur Verfügung gestellt habe. Uribe bestreitet diese Vorwürfe.

Auslieferung unerwünscht

Richter César Reyes, der Verfasser der Anklageschrift, will auch kolumbianische Medien zur Herausgabe der Transkriptionen und Originalaufnahmen mehrerer Interviews mit Paramilitärs verpflichten und mit dem ehemaligen AUC-Kommandanten Salvatore "el Mono" Mancuso sprechen. Ob er dazu Gelegenheit erhält, ist unsicher: Uribe ließ den verurteilten Drogenschmuggler 2008 an die USA ausliefern, und nachdem er dort seine Haftstrafe abgesessen hat, soll er nun nach Italien abgeschoben werden, wo ihm ein weiteres Verfahren wegen Kokainschmuggels bevorsteht.

Dort wäre der italienisch-kolumbianische Doppelstaatsbürger sicher vor dem Zugriff der kolumbianischen Justiz, weil zwischen den beiden Ländern kein Auslieferungsabkommen besteht.

Formfehler im Auslieferungsantrag

Kolumbiens Behörden haben es nämlich seit Mancusos Haftentlassung im März versäumt, seine Auslieferung aus den USA in die Wege zu leiten. Zwei Anträge, ihn in seine Heimat zu überstellen, wurden abgewiesen, weil sie nicht den US-Gesetzen entsprechen, einen dritten zogen die Kolumbianer wegen Formfehlern selbst zurück.

Jose Miguel Vivanco, der Amerika-Verantwortliche der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, wirft den Behörden deswegen Schlamperei vor: "Eine einfache Websuche hätte gereicht, um die Fehler in dem Antrag zu finden", erklärte er und warf Kolumbiens Präsident Iván Duque, dem politischen Ziehkind Uribes, vor, sich nicht ernsthaft um Mancusos Auslieferung zu bemühen. Dieser erklärte auf Twitter, der vierte Auslieferungsantrag werde sicher zum Erfolg führen. (Bert Eder, 24.8.2020)