Die Kleidungsstücke von Cherrelle und Leni Charles’ Label Kids of the Diaspora werden in Wien gefertigt.

Foto: Marko Mestrovic

Ein weißer Raum, vom Boden bis zur Decke: Der Showroom des Labels Kids of the Diaspora an der Nußdorfer Straße im neunten Wiener Gemeindebezirk ist ein aufgeräumter White Cube, links steht eine Kleiderstange mit T-Shirts und Hoodies, rechts im Regal eine Box mit Socken (Aufdruck: "never lost but found"). Daneben stapeln sich alte Zeitungsartikel, über Kids of the Diaspora ist schon viel geschrieben worden. Eben erst sind Cherrelle und Leni Charles mit großen Taschen in ihrem Showroom angekommen, schon wird ein Bekannter mit Socken aus der neuen Kollektion versorgt – nach dem Interview steht noch eine Instagram-Livesession an. Langweilig wird den Wiener Schwestern nicht.

Vor vier Jahren haben sie mit Kids of the Diaspora ein Unternehmen gegründet, das weit mehr als nur ein Modelabel ist. KotD, so die Kurzform des Projekts, ist eine Kreativagentur, versteht sich aber auch als Plattform für Menschen, die sich gesellschaftlich nicht repräsentiert fühlen: "Wir möchten einfach all jenen ein symbolisches Zuhause bieten, die sich mit der Message von Kids of the Diaspora identifizieren", erklärt Cherrelle, die Ältere. Sie schreibt bei KotD die Label-Texte und ist daneben als Casting-Director tätig. Leni, die aus der Werbebranche kommt, kümmert sich um alles Visuelle, den Entwurf und die Umsetzung der minimalistischen Streetwear. Daneben veranstalten die Schwestern Events, drehen Musikvideos, beraten Firmen. In den vergangenen vier Jahren haben sie so eine eigene Community, ein internationales Netz an Kontakten aufgebaut, die Musikerin Joy Denalane, der Rapper Nazar oder die befreundete Influencerin Christl Clear tragen ihre Mode. Besonders aktiv ist Kids of the Diaspora auf der Social-Media-Plattform Instagram, dort hat das Label rund 15.000 Follower.

Rückhalt auf Instagram

Der Rückhalt, erklärt Cherrelle, sei zwar auf Instagram am stärksten, genauso wichtig sei aber, was in der echten Welt passiere. Das haben die Schwestern nicht zuletzt während der Black-Lives-Matter-Demonstrationen im Juni in Wien gemerkt: "Da haben nicht nur ganz viele Leute unsere T-Shirts getragen, wir haben uns auch bekräftigt und verstanden gefühlt", erinnern sie sich. "Wir sind Wienerinnen, trotzdem werden wir ständig mit Rassismus konfrontiert." Fragen nach ihrer Herkunft werden den beiden in Leopoldsdorf aufgewachsenen Österreicherinnen, Töchter eines nigerianischen Vaters und einer in Österreich geborenen Mutter, noch immer gestellt.

Der Zugang des Duos zu seiner Mode: Hands-on. Die Unternehmerinnen denken nicht in Frühjahrs- und Herbstkollektionen, sie arbeiten intuitiv, machen ihr eigenes Ding. Begonnen hat alles vor vier Jahren mit einem weißen, mit schwarzen Schriftzügen bedruckten T-Shirt. Als Kunden und Freunde nach anderen Farben und Hoodies fragten, wurde kurzerhand die Produktpalette erweitert.

Der Erfolg von Kids of the Diaspora kommt nicht von ungefähr. Das Label macht ziemlich viel richtig. Es versteht sich als inklusiv und genderneutral, die Stücke sind von Größe XS bis XXL erhältlich, die Shirts werden aus Biobaumwolle, die limitierten Kollektionen aus Reststoffen in Wien hergestellt. Nicht immer gelinge es, alles perfekt umzusetzen, glauben die beiden. Aber darum gehe es ja auch gar nicht, winkt Cherrelle ab. In den Stücken stecke "viel Liebe, übermäßiger Perfektionismus würde uns nicht guttun", sind sich die Schwestern einig. Die meisten Sachen verkaufen sie online, in Wien ist ihr Label seit zwei Jahren im Shop der Kunsthalle und in Tokio im angesagten Delta Store zu haben.

Quereinstieg in die Mode

Wie die Quereinsteigerinnen das mit der Mode in der kurzen Zeit hinbekommen haben? Auch indem sie sich Hilfe geholt haben. Vor zwei Jahren tat sich das Geschwisterpaar mit Miska Hudec Königshofer von der offenen Werkstätte Schnittbogen zusammen. "Mittlerweile ist das mein zweiter Arbeitsplatz, selbst hochschwanger bin ich dort noch gestanden", erinnert sich Leni, die sich das Entwickeln von Unisex-Schnitten erst aneignen musste. Ihre erste Kollektion haben die Frauen 2018 auf Einladung der Austrian Fashion Association (AFA) im Showroom in Paris gezeigt. Die neue Kapsel-Kollektion erscheint im September in Kooperation mit dem Rum-Hersteller Havana Club. Sich von der Geschichte Kubas inspirieren zu lassen? Für Cherrelle naheliegend. Während ihres Spanischstudiums hat sie sich mit dem "afrocubanismo" auseinandergesetzt. "Der wurde wiederum stark durch die Kultur der Yoruba geprägt, in der unsere Wurzeln väterlicherseits liegen." Die Hoodies, Socken, Overalls wird es nun in Ocean Blue und Oshun Yellow, der Farbe der gleichnamigen Yoruba-Göttin, geben: "Wir finden sehr viel Kraft in unseren Wurzeln."

Das Label der zwei Frauen bringt im September seine zweite Modekollektion heraus – gemeinsam mit der Marke Havana Club.
Foto: Samir Novotny

Und noch etwas: "Wir beiden funktionieren als Einheit", erklären die Schwestern, die wie ihre Mutter im fünften Bezirk wohnen. Seit sie vor rund einem Jahr selbst Mütter geworden sind, ist's allerdings komplizierter geworden. Ohne den Rückhalt der Familie in Wien funktioniere Kids of the Diaspora nicht: Diese Botschaft loszuwerden ist den Frauen wichtig. Schließlich haben sie schon neue Pläne. Demnächst entwerfen sie Kostüme für eine Theaterproduktion, Titel: "City of Diaspora". Im April werden sie auf der Bühne des Brut zu sehen sein. (Anne Feldkamp, 25.8.2020)

kidsofthediaspora.com