Nein, leiwand ist es nicht, nach 700 Metern das Handtuch zu werfen. Und Spaß macht es auch keinen, dann den (kurzen) Weg zurück zum Start zu trotten, während einem die später Gestarteten entgegenlaufen und Zuschauer (ungläubig) und Streckenposten (besorgt) fragen, was los sei.

Schon gar nicht, wenn man sich auch selbst nicht erklären kann, was da gerade passiert ist. Kein Unfall, keine Verletzung, keine Zerrung: nix. Keine Angst. Keine Unsicherheit. Nur der Kopf. Der sagte: "Aus. Geht nicht." Wider besseres Wissen. Aber trotzdem ging dann nix mehr. Aus. Ende. Fertig: "DNF" (did not finish) – das erste seit sieben oder acht Jahren. Das allererste ohne triftigen Grund: Nein, leiwand ist das nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Dabei hatte es richtig fein begonnen. Vergangenen Sonntag fand in Waidhofen an der Ybbs der "Riverthlon" (www.riverthlon.at) statt. Einer der wenigen Wettkämpfe heuer.

Ein – erraten – Swimrun. Aber ein atypischer: Den Bewerb gibt es zum vierten Mal. Bei der Maximaldistanz, dem "Hero", gilt es, "nur" 2,7 Kilometer zu schwimmen und vier zu laufen. Veranstalter ist die Wasserrettung (http://www.wasser-rettung.at/abschnitte/waidhofen-an-der-ybbs) – und die nannte das Ding ursprünglich "Riverthlon – Swim & Run". Denn "Swimrun" hatte vor vier Jahren kaum wer in Österreich und niemand in Waidhofen gehört. Egal – aber deshalb fehlt dem Riverthlon das Sonderregelwerk von Ötillö und Co: Mit der Ybbs legt man sich eben ohne Paddel und Pull-Buoys (Auftriebshilfen zwischen den Beinen) an. Was das Schwimmen mit Schuhen nicht gerade einfacher macht.

Foto: Kriegl

Der Riverthlon ist "Österreichs größter Fluss-Swimrun". Aber das ist ein bisserl die "Weltberühmt in Österreich"-Kiste: In der ohnehin kleinen Nische der Multisport-Ausdauerdisziplinen
(z. B. Duathlon, Triathlon oder Aquathlon) ist das mehrfach-abwechselnde Schwimmen-Laufen-Schwimmen-Laufen eine Subsubnische. Bewerbe gibt es hierzulande keine Handvoll. Wer also 100 Starter und Starterinnen zusammenkriegt, ist "der Größte in Österreich". In Skandinavien oder Frankreich ist Swimrun beinahe Volkssport. Es gibt neben Wettkämpfen auch Leute, die "einfach so" schwimmen und laufen kombinieren.

Foto: Riverthlon/Kriegl

Nach Waidhofen, erklärt Riverthlon-"Erfinder" Pirmin Schwarenthorer, habe er das Spektakel aber nicht geholt, um als Trendsetter zu gelten: Die Wasserrettung ist (überall in Österreich) eine Freiwilligenorganisation.

Sie finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Förderungen und Spenden. Da das nie reicht, muss man anders an Geld kommen. Meist – so wie Feuerwehren – über Feste. "Viele Leute kommen mittlerweile oft schon angsoffen hin", erklärt Schwarenthorer – und findet das nicht nur wegen des Umsatzentgangs durch "Vorglüher" nicht so prickelnd.

Der 31-jährige Unternehmensberater formuliert es höflich: "Wir wollten etwas auf die Beine stellen, was auch mit uns und unserer Arbeit zu tun hat."

Foto: Thomas Rottenberg

Dass das heuer alles andere als einfach war, muss der Wasserretter (im Bild mit seinem Co-Racedirector Martin Lagler) nicht eigens erklären.

Was ihn und seine Kollegen Kolleginnen rettete: Ein minutiöses Covid-19-Konzept. Das wurde auch ernst genommen, eingemahnt und eingehalten. (Dass das nicht selbstverständlich ist, weiß, wer die letzten Wochen in Österreich nicht im Keller verbracht hat.) Was den Riverthlon außerdem möglich machte: seine Kleinheit.

Auch wenn es etwa "Kärnten läuft" (www.kaerntenlaeuft.at) oder den Podersdorfer "Leuchtturmlauf" (www.leuchtturmlauf.at) dieses Wochenende gab, sind Events, die stattfinden können, die Ausnahme: Ironman, Dreiländer-Marathon, Wolfgangseelauf – die Absageliste lässt sich beliebig verlängern … Warum mancherorts geht, was andernorts ganz unmöglich ist, gehört zu den Seltsamkeiten dieser seltsamen Zeit.

Foto: Thomas Rottenberg

Egal. Oder: Nicht egal, aber jammern hilft nicht.

Riverthlon also. Drei Bewerbe. Das Kinder- und Jugendrennen mit 200 Meter schwimmen und 600 laufen. Die "Hobby"-Wertung. Ein Kilometer im Wasser und 1,3 laufend. Laut Veranstaltern bei "leichter Ybbs-Strömung" und "für jeden Freizeitathleten mit etwas Training schaffbar".

Der "Hero": 2,7 Kilometer im Wasser und 4,4 quer durch Waidhofen. Die halbe Strecke flussaufwärts – dann zurück zum Start.

Klingt machbar. Ist es auch. Auch an einem Tag, an dem die Ybbs aufgrund der Gewitter der Vortage nur knapp kein Hochwasser führt und die Strömung "ein bisserl stärker als sonst" (der Renndirektor) respektive "Oida, meinen die das ernst?" (fast alle Starter und Starterinnen) ist: Das geht. Schließlich kamen von den 49 "Hero"-Startern und -Starterinnen alle durch – mit einer Ausnahme.

Foto: Thomas Rottenberg

Das Wieso verstehe ich noch immer nicht: Ich habe mich auf diesen Tag gefreut. Mich für meine Verhältnisse (zuletzt am Grundlsee) sogar gut vorbereitet: Schneller Schwimmer bin ich keiner. Das werde ich auch nicht mehr. Aber ich fühle mich im Wasser wohl und sicher. Bin angstfrei unterwegs, weil ich weiß, was geht – und was nicht.

Ich liebe Freiwasserschwimmen – gerade wegen der Faktoren, die viele abschrecken: Pflanzen, Strömungen, Termperaturunterschiede, das Nichts unter mir … Und habe mit dem, was viele schon als "zu kalt" empfinden, kein Problem: Ich bin zwar alles andere als ein "harter Hund", aber mit Neoprenanzug sind knackige 13 oder 14 Grad für 20 Minuten kein Problem.

Foto: Thomas Rottenberg

In den Tagen vor dem Riverthlon war ich bei Freunden im Salzkammergut. Hatte am und im (bacherlwarmen) Grundlsee beim "Rennen mit Boje" Sommerfrischler erheitert ("Drahn de jetzt Baywatch-Salzkammergut?") bis aufgescheucht ("Rennst du zu einem Notfall? Ich bin Arzt. Brauchen wir ein Boot?") und Kinder neugierig gemacht. ("Darf ich mit sowas auch ins Tiefe?").

An Ersteres gewöhnt man sich. Letzteres heißt Stehenbleiben und Erklären: "Nein, die Boje ist vor allem dazu da, um gesehen zu werden. Du musst sehr gut und sicher schwimmen können, auch wenn du eine hast. So wie im Auto: Deine Eltern haben einen Führerschein und fahren vorsichtig – aber sie schnallen sich und dich trotzdem an."

Foto: Thomas Rottenberg

Und Zweites, also wenn wer glaubt, helfen zu müssen, finde ich grundsätzlich toll: besser einmal zu oft gefragt, als einmal zu wenig. Auch wenn es manchmal zu Missverständnissen kommt: In Wien – in der Neuen Donau – hatte ich bei trüb-regnerisch-windigem Wetter im Frühjahr einmal plötzlich einen Polizeihubschrauber knapp über mir.

Irgendwer hatte die Boje im grauen Wasser gesehen – und den Notruf gewählt. Unnötig, das sah der Pilot dann auch und drehte wieder ab. Trotzdem, bestätigte mir später die Wiener Feuerwehr (die ist in Wien für Wassereinsätze zuständig), hat der Anrufer richtig gehandelt: Im Zweifel ist es ein Notfall – er konnte nicht wissen, dass ich sehr genau wusste, was ich tat (und dass das auch erlaubt ist).

Foto: Christoph Riedl

Zurück nach Waidhofen. In einen Fluss wie die Ybbs würde ich nach intensiven Regentagen nie steigen: Das Wasser stand höher als sonst. Die Strömung war heftig. Immer wieder trieben Äste vorbei.

Aber das kontrollierte Setting macht einen Unterschied. Kein "normaler" Veranstalter würde das Leben seiner Teilnehmer mutwillig aufs Spiel setzen, die Wasserrettung schon gar nicht: Natürlich sind 14 Grad Wassertemperatur und diese Fließgeschwindigkeit eine Challenge – aber jeder hier weiß, was er oder sie kann. Ich auch: Angst? Keine Sekunde. Anspannung? Na klar!

Foto: Thomas Rottenberger

Die Starterinnen und Starter warfen sich in einem 60-Grad-Winkel gegen die Strömung und legten mit aberwitzigen Armzugfrequenz los. Trotzdem waren fast alle binnen Sekunden unterhalb der Ausstiegsstelle: "Wenn es einfach wäre, wäre es Fußball", hörte ich von hinter mir. Dass es machbar war, sah ich an den elf, die vor mir gestartet waren.

Als mir der Starter auf die Schulter klopfte, legte ich auch schräg gegen die Strömung los – und hob kurz den Kopf. Schwerer Fehler: Die Strömung riss mich weg. Ich war zu langsam gestartet, hatte beim Schauen eine zu niedrige Zugfrequenz – und wurde richtig weit abgetrieben.

Irgendwann streifte ich einen Stein, spürte ihn zwar nicht wirklich, erschrak aber trotzdem: noch weiter runter. Dann kam das Seil der Wasserrettung. Aber das Zurückhangeln dauerte: Als ich die Böschung hinauflief, kam schon Startnummer 22 aus dem Wasser.

Foto: Thomas Rottenberg

Das Video zeigt den Zielsprint zurück zum Start. Das da sind Athleten der Top-Ten-Liga: Eliteschwimmer und Triathleten, die auch schon internationale Spitzenplätze belegten.

DER STANDARD

Jetzt ging es ans Laufen. Kinderjause. Zuerst durch das malerische Schloss Rothschild, dann durch die mittelalterliche Altstadt Waidhofens. Richtig schön. 650 Meter – zum nächsten Schwimmstart. Ich kramte die Gopro aus dem Neo, wartete auf die nächsten und übernächsten Teilnehmer und ließ die Kamera laufen. Ich war sogar entspannt genug, mich darüber zu ärgern, dass ein Lieferwagen das Kitschbild störte. Dann lief ich mit Martin (dem Mann im Bild) zum nächsten Übergang (beim "Fassbinder"). Wir lachten. Alles pipifein.

Foto: Thomas Rottenberger

Ich ließ Martin vor mir zur Ybbs runter, machte Bilder, stopfte die Kamera in den Neo – und sprang: Die Strömung war heftig. So wie erwartet. Links ein Wasserretter auf dem SUP. Vor mir mühte sich jemand Richtung anderes Ufer. Dort kämpften sich die anderen flussaufwärts. Sie arbeiteten hart – und kamen kaum weiter. "Unsere Schwimmvereinsleute haben gestern beim Training für die 500 Meter 26 Minuten gebraucht – runter dann vier", hatte Pirmin beim Racebriefing gelacht. Na Servas. Aber eben: machbar. Dann noch einmal laufen. Dann noch 850 Meter gegen die Strömung – und dann zurück: zaach. Aber deshalb war ich hier. "Wenn es einfach wäre, wäre es Fußball." Und dann legte jemand den Schalter um.

Foto: Thomas Rottenberg

Es war keine Angst. Keine Panikattacke. Sondern ein einziger klarer Gedanke: "Das geht nicht." Blödsinn, antwortete ich mir, das geht. Das kann ich. Schau die anderen an: Die können es auch. "Du kannst das nicht. Du nicht. Du schaffst das nicht. Geh raus!" Blödsinn. Schau doch: fast drüben. "Das geht nicht. Lass es. Du schaffst das nicht."

Irgendwer erklärte meinem Körper gerade, dass ich nicht schwimmen könne. Nicht solle. Und ich konnte nur entsetzt zuschauen, wie mein Körper begann, dieser Stimme zu glauben. Wie aus halbwegs brauchbarem Schwimmen planloses Strampeln wurde. Was ging da ab? Dann hatte mich die Strömung. Aus. "Siehst du: Du kannst das nicht." Zurück, ans Einstiegsufer kam ich problemlos. Sogar sauber. Aber es war vorbei: Nochmal reingehen? Keine Chance.

(Anmerkung: Nein, das im Bild bin nicht ich – das ist einer von denen, die es schafften.)

Foto: Christian Kriegl

Die Wasserretter am Einstieg sahen mich fragend an. "Alles gut. Aber ich bin raus. Ihr müsstet mich sonst rausfischen." Keiner lachte. Keiner sah mich spöttisch oder verächtlich an. "Richtige Entscheidung. Besser rechtzeitig als zu spät. So etwas kommt vor."

So etwas kommt vor? Nach 700 Metern? Davon 650 an Land. Wieso kommt so etwas vor? Ich wurde so sauer, dass mir fast schlecht wurde. Wieso? Was war passiert? Ich hätte am liebsten geheult. Und überlegte kurz, wieder ins Wasser zu springen.

Ein Maskengesicht beugte sich zu mir: "Lass es. Akzeptiere es. Es gibt solche Tage."

Foto: Thomas Rottenberg

Der Weg zurück, 600 Meter durch die hübsche Altstadt und das Schloss, war furchtbar: Mir kamen die "Hobby"-Bewerb-Starterinnen und -Starter entgegen. Lachend. "Für jeden mit einem bisschen Training zu bewältigen" war auf der Homepage gestanden: 1 k im Wasser, 1,3 k an Land. Ich hatte es nicht einmal zweimal über die Ybbs geschafft.

Dann poppten diese drei Buchstaben auf: DNF – did not finish. Kann passieren. Krampf, Sturz, Zerrung, Muskelriss, Magenprobleme, Hungerast, Materialdefekt – es gibt 1000 gute Gründe.

Nur: Ich hatte keinen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich weiß bis jetzt nicht, was passiert ist. Bin immer noch enttäuscht und wütend. Habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Freunde vom "Team Traildog" hängenließ: Ed und Markus sind zwar in der Einzelwertung – aber wir wollten als Team durch.

Aber vor allem bin ich sprachlos: Zu wissen, dass "so etwas" passieren kann, ist das eine. Dass es einem dann selbst passiert, ist das andere.

Zu akzeptieren, dass man manchmal einfach nur Zuschauer beim Match der Dämonen im eigenen Kopf ist, ist hart. Richtig hart.

Aber andererseits auch eine dieser Lektionen, die man aus dem Sport ins wirkliche Leben mitnimmt.

Auf der Instagram-Seite einer guten Freundin (einer richtig guten Kampfsportlerin) las ich unlängst beim Bild einer Niederlage den einzig richtigen Satz:

"Sometimes you kick ass – and sometimes you get kicked." Die wahre Challenge, sagt sie, sei nicht das Gewinnen – sondern das Aufstehen nach einer Niederlage. Das Wiederantreten, obwohl man weiß, wie ein K. o. schmeckt.

Foto: Thomas Rottenbergberg

Nachtrag: Ob ich auf die Veranstalter sauer sei und das Event verreißen würde, fragte mich eine Zuseherin bei dem von mir als "Walk of shame" (und den Wasserrettern als "sehr vernünftig") empfundenen Weg zurück.

Eine sehr österreichische Frage.

Denn der Riverthlon war großartig. Konzept, Umsetzung, Mitwirkende – aber auch Teilnehmer und Publikum: Besser geht nicht. Aber vor allem: Dass eine Rettungsorganisation da "am lebenden Objekt" zeigt, wofür sie steht und was sie kann, was ihre Freiwilligen leisten, ist mehr als nur toll.

Dass es nicht mein Tag war? Jo eh. Damit muss und werde ich klarkommen.

Ich weiß auch schon wie: Nächstes Jahr, am 21. August, ist der fünfte Riverthlon.

Und auch wenn das dem Fluss vollkommen wurscht ist: Ich habe mit der Ybbs noch eine Rechnung offen.

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme am Riverthlon war eine Einladung der Veranstalter.

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Foto: Thomas Rottenberg