Tintenfuchs

Nach ihrem Informationsdesign-Studium arbeitete die gebürtige Grazerin Natascha Safarik als Grafikerin, befasste sich nebenbei mit Schönschrift. Mittlerweile hat sie sich als Kalligrafin selbstständig gemacht, lebt und arbeitet in Wien. www.tintenfuchs.net, @tintenfuchs

Kalligrafie: Natascha Safarik

Mühelos und elegant mutet es an, wie Natascha Safarik den Federhalter über das Papier dirigiert. Ein paar Schlaufen, Bögen und Striche später hat die Kalligrafin einen verspielten RONDO-Schriftzug in der klassischen Schriftart "Copperplate" auf das Blatt gebracht.

Nun bin ich an der Reihe. Nach ein paar Einführungen und Aufwärmübungen versuche ich es, der Expertin gleichzutun. Das leichte Kratzen der Feder auf dem Papier schreckt mich im ersten Moment ab, ist aber kein Problem, versichert Safarik.

Durch die schräg auf den Halter aufgesetzte Spitzfeder fällt es mir schwer, in einer geraden Linie zu schreiben. Dann soll ich auch noch darauf achten, dass bei nach unten verlaufenden Bewegungen die Strichstärke breit ist und fein bei nach oben verlaufenden. Erreicht wird das durch unterschiedlichen Druck. Gleichzeitig werde ich darauf hingewiesen, auf parallele Linienführung zu achten.

Für einen blutigen Anfänger ist das alles kognitiv ganz schön herausfordernd. Das sieht man auch am Ergebnis: Meine Buchstaben sind zittrig und unsauber, Strichstärkenvariationen sowie Proportionen wirken nicht sehr harmonisch, und der RONDO-Schriftzug klebt schräg am Rand des Blattes. Wer wirklich schön schreiben will, muss also üben.

Schön: das Vorbild der Kalligrafin
Kalligrafie: Natascha Safarik

Und das tun immer mehr Menschen. Was vor ein paar Jahren mit dem Trend zum Handlettering – dem Zeichnen von Buchstaben, siehe Glossar – begann, hat sich mittlerweile zum veritablen Schönschreib-Boom ausgewachsen.

Auf Instagram finden sich 14 Millionen Einträge zu #hand lettering, zehn Millionen zu #calligraphy. In Zeiten zunehmender Digitalisierung gewinnen analoge Tätigkeiten wieder an Bedeutung. Jung und Alt genießen den Ausgleich, Texte handschriftlich zu verfassen, anstatt sie schnell, schnell in die Tasten zu klopfen.

Dass sich das Schönschreiben wachsender Beliebtheit erfreut, bestätigt auch Natascha Safarik. Unter dem Pseudonym "Tintenfuchs" bietet sie neben Dokumentbeschriftungen für Firmenkunden und Event-Kalligrafie Workshops und Online-Seminare zum Thema an. Außerdem hat sie zwei Bücher zum Thema Kalligrafie verfasst. Die Verkaufszahlen ihrer Publikationen steigen, ihre Services werden gut gebucht.

Weniger schön: der erste Versuch des Anfängers.
Kalligrafie: Natascha Safarik

Trends fortschreiben

Auch der Handel hat sich auf die erhöhte Nachfrage eingestellt. Johanna Strutzenberger, Leiterin der Kunst- und Bastelabteilung der Thalia-Filiale Linz-Landstraße, räumt dem Thema viel Platz ein: Zwei Meter der Regalwand kann sie mittlerweile mit dem stets breiter werdenden Sortiment an Schönschreib-Büchern füllen.

Zusätzlich kuratiert sie regelmäßig einschlägige Ware auf Präsentationstischen in ihrer Abteilung. Kalligrafie und Handlettering würden gleichermaßen nachgefragt. Brushpens (siehe Glossar), Pastellfarben für Aquarellpapier und Metallic-Töne für schwarzes Papier seien zurzeit besonders trendig, erklärt Strutzenberger.

Die Kundschaft des Wiener Schreibwarengeschäfts Miller interessiert sich hauptsächlich für klassische Schreibgeräte wie hochwertige Füllfedern und Kugelschreiber.

Doch auch in dem 1866 gegründeten Betrieb geht man auf den aktuellen Zeitgeist ein: "Seit einiger Zeit beobachten wir einen Trend hin zu Vintage und Retro-Design. Auch die klassische Kalligrafie gewann im Lauf der Jahre in unserem Sortiment zunehmend an Bedeutung. Junge Menschen sprechen besonders unsere Tinten in den unterschiedlichsten Farben oder sogar mit Glitzer und Schimmer an, ebenso klassische Füllfedern und Kugelschreiber in bunten und modernen Designs", sagt Georg Mosler, der das Familienunternehmen in fünfter Generation führt.

Papier und Feder

Auch wenn Kalligrafie in vielen Kulturkreisen seit Jahrhunderten gepflegt wird, das Schönschreiben als Schulfach mittlerweile aus den Lehrplänen verschwunden ist, hat die kunstvolle Befassung mit Handschrift keineswegs Staub angesetzt. Auch Jugendliche greifen zunehmend zu Papier und Feder.

So erzählt etwa Georg Mosler von seiner 14-jährigen Tochter, einem typischen Teenager-Mädchen, das zwar mit ihren Peers via Smartphone und Social Media kommuniziert, aber gleichzeitig eine intensive Brieffreundschaft pflegt und dabei größten Wert auf hochwertiges Papier, stilvolle Gestaltung und ein edles Schriftbild legt.

Auch in seinem Geschäft nimmt Mosler wahr, dass es vor allem eine jüngere und weibliche Klientel ist, die sich fürs Schönschreiben begeistert. Bei der Papier- und Schreibbedarfskette Libro sind es ebenfalls vor allem junge Frauen, die entsprechende Ware nachfragen. Johanna Strutzenberger von Thalia beobachtet auch einen Zuwachs bei junger Kundschaft.

Freude am Schreiben

Tintenfuchs Natascha Safarik spricht von zwei Gruppen an Menschen, die an ihren Kalligrafiekursen teilnehmen. Einerseits seien es Kreative zwischen 20 und 25 Jahren, andererseits ältere Menschen, die noch was Neues dazulernen wollen. In keiner der beiden Gruppen herrscht Geschlechterparität: Auf 14 Frauen komme ein Mann, sagt Safarik.

Das große Interesse junger Menschen an Schönschrift mag überraschen, angesichts zahlreicher Unkenrufe, Kinder würden heutzutage nicht mehr mit der Hand schreiben können. Diese These kann Paul Kimberger, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Pflichtschullehrerinnen und Pflichtschullehrer, so nicht bestätigen.

Vielmehr nimmt er eine Bandbreite von drei Jahren Unterschied in der Entwicklung der Erstklässler wahr: "Manche sind gut auf die Schule vorbereitet, manche gar nicht – nicht nur kognitiv, sondern auch motorisch. Dass die Kinder in der Schule Handschrift erlernen, ist da genauso wichtig wie der Sportunterricht."

Würden sie von Schulbeginn an auf positive Weise mit dem Thema konfrontiert, entwickelten sie Freude am Schreiben. "Ich kenne kein Kind, das nicht stolz auf eine schöne Handschrift ist", so Kimberger.

Elegantere Handschrift

Kalligrafin Natascha Safarik bekommt viele Anfragen zur Verbesserung der Handschrift, einen entsprechenden Kurs nehmen aber nur wenige in Anspruch. Die 170 Euro Kosten investieren die meisten lieber in einen von Safariks Ganztagsworkshops für Kalligrafie. Dabei gebe es einige Kniffe, mit denen man die eigene Handschrift einfach verschönern könne. "Zeig mal! Womit arbeiten wir hier?", fragt Safarik, schnappt sich meinen Notizblock und analysiert meine Handschrift. "Eh schön", lautet ihr Urteil.

Aber natürlich kann man daran noch feilen. Zum Beispiel würde sie die Verbindungslinien zwischen den Buchstaben weiter auslaufen lassen, damit mehr Abstand zwischen ihnen besteht. Dadurch würde die Schrift gleich eleganter wirken. Selbiges gelte für stärker ausgeprägtere Ober- und Unterlängen. Die Schleifen solle ich noch gleichmäßiger schreiben und die Anfangsbuchstaben größer, damit sie von den Kleinbuchstaben unterscheidbar seien.

Ob sich ihre eigene Handschrift durch die intensive Befassung mit Kalligrafie verbessert habe? Nein, sagt Safarik, das sei nicht der Fall, da es sich um unterschiedliche Bewegungsautomatismen handele. Die Schreibgeschwindigkeit spiele dabei eine wesentliche Rolle: "Nur wenn ich langsam schreibe, wird es Kalligrafie. Ab einer gewissen Geschwindigkeit schreibe ich automatisch in meiner persönlichen Handschrift."

Wie lange es dauert, bis man gut kalligrafieren kann, lässt sich laut Natascha Safarik schwer sagen. Es komme darauf an, wie viel Zeit und Energie man investiere. Prinzipiell könne aber jeder Mensch Kalligrafie erlernen. Übung macht den Meister, und so dürfen sich die Teilnehmer der Tintenfuchs-Workshops Spitzfeder, Federhalter und Tinte nach Hause mitnehmen, damit sie weiterschreiben können.

Pimp my Feder

Wer sich nach dem ersten Eintauchen in die Welt der Schönschrift weiter mit dem Thema befassen möchte, findet sich bald in einem schier unendlichen Angebot an Schreibgeräten wider. "Für den Anfang reicht ein schlichter Federhalter mit Stahlfeder. Dazu eine schöne Qualitätstinte und hochwertiges Papier", empfiehlt Georg Mosler vom Schreibwarengeschäft Miller für Einsteiger.

Die Breite der Federspitze solle je nach persönlichen Vorlieben und Größe der Handschrift gewählt werden. Das bestätigt auch Frank Derlien, Leiter der Federfertigung bei Montblanc: "Wenn ein Kunde sehr klein schreibt, würde ich ihm Medium, Fein oder Extrafein nahelegen, sonst kann man die Schrift nicht mehr lesen". Das Hamburger Unternehmen bietet seinen Kunden Federn in acht verschiedenen Breiten an, alle aus 14- oder 18-karätigem Gold gefertigt.

Diese sind langlebiger als Stahlfedern, weil das Material von der Tinte nicht angegriffen wird. So halten Montblanc-Federn über Generationen hinweg. "Das ist keine bloße Behauptung, ich kann das aus Techniker-Sicht bestätigen. Was ich persönlich so toll finde, vor allem für Einsteiger, ist, dass man mit einer hochwertigen Füllfeder ermüdungsfrei schreiben kann", sagt Derlien.

Personalisiert

Damit die Schrift noch leichter von der Hand geht, können die Federn personalisiert gefertigt werden. Bespoke Nib nennt sich das Angebot, das in 30 Montblanc-Boutiquen, unter anderem in Wien, in Anspruch genommen werden kann: Der Kunde schreibt einen kurzen Text, dabei werden Geschwindigkeit, Rotation, Kräfte, Schwenkwinkel gemessen. Die Daten und Kundenwünsche werden nach Hamburg geschickt, und auf Basis dessen wird eine individualisierte Feder gefertigt.

Für fortgeschrittene Liebhaber der Schreibkultur gibt es nach oben hin kaum Grenzen im Feder-Tuning. Derlien und sein Team erfüllen auch extravagante Kundenwünsche. So hat der Experte zum Beispiel schon einen Federpinsel aus feinen Goldhärchen, eine superfeine Feder, die wie eine Nadel schreibt, entwickelt oder eine Feder mit Edelsteinen bestückt, ohne dass die vorbeilaufende Tinte den Steinen ihr Funkeln wegnimmt.

Mir persönlich reichen fürs Erste die Einsteiger-Utensilien von Tintenfuchs Natascha Safarik. Bis ich mir teure Einzelanfertigungen leisten kann, müsste ich wohl ohnedies lange sparen. In der Zwischenzeit kann ich an meiner Kalligrafie-Technik feilen, Striche, Bögen und Schlaufen üben. Vielleicht klappt’s dann auch irgendwann mit einem schönen RONDO-Schriftzug. (Michael Steingruber, RONDO, 6.9.2020)

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