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Hauptrolle für die Natur: Szene aus der Ludwig-Ganghofer-Verfilmung "Der Jäger vom Fall" von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1956. Komponist Giuseppe Becce steuerte auch hier die Musik bei.

Foto: Picturedesk.com / Interfoto / Friedrich

Wenn der Adler zu Beginn von Hans Deppes Film "Schloss Hubertus" aus dem Jahr 1934 über den Bergen gleitet, dann schwebt die Musik mit ihm. Schwenkt die Kamera dann herab auf die wilde Bergwelt mit ihren Protagonisten – Jäger in Lederhosen, die auch selbst den Adler beobachten – schwillt die Musik an, um das Drama der abgebildeten Bergwelt noch zu verstärken. Geht es dann hinab vom Berg und hinein in das Schloss, wo eine festlich gedeckte Tafel wartet, wandelt sich das musikalische Drama der Berge zum illustren Walzertakt.

In welcher Weise musikalische Kompositionen als Repräsentationsmittel der Alpen in Heimat- und Bergfilmen dienten – das untersucht Maria Fuchs. Die Wissenschafterin, die an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW) und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg tätig ist, geht mit ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "Soundscapes of Heimat" unter anderem der Frage nach, wie sich ein Heimatbegriff "massenmedial und populärmusikalisch generiert und auf ein Gefühl kollektiver Identität Einfluss nimmt".

Szenen wie der eingangs beschriebene Adlerflug in "Schloss Hubertus" hebt Fuchs als "audiovisuelle Spektakel" hervor, bei denen die Musik wesentlich zur Landschaftsinszenierung beiträgt.

Mehr als nur Kulisse

Insgesamt prägen Naturaufnahmen die klassischen Heimat- und Bergfilme Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts – bevor sich ab den 1960er-Jahren die Genres stärker vermischen und zum Teil zu Schlagerfilmen verflachen. Die abgebildete Natur war hier mehr als nur Kulisse, sie definierte die Filme oft stärker als die Geschichten von Liebe, Wilderei oder Kraftwerksbauten, die – offenbar oder in heute schwer verständlichen Subtexten – jeweils ihre Version vom Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne erzählen.

Auch die Musik handle in vielen Szenen vom Drama der Berge, weniger von jenem der Menschen. Sie visualisiert die gezeigte Landschaft, verstärkt den sinnlichen Eindruck, knüpft Landschaft an Emotion. Im Zentrum von Fuchs’ Untersuchungen steht der 1877 in Venetien geborene Filmkomponist Giuseppe Becce, dessen Arbeit und Karriere die Rolle der Musik in den Heimat- und Bergfilmen besonders gut nachvollziehen lassen.

Landschaftsinszenierungen

"Was Morricone für den Italowestern ist, ist Becce für die klassischen Berg- und Heimfilme. Er hat die Musik für die meisten Luis-Trenker-Filme geschrieben, genauso wie für die vielen Verfilmungen der Ludwig-Ganghofer-Romane der 1950er", erklärt die Musikwissenschafterin. "Hier interessieren mich vor allem die Landschaftsinszenierungen – oft minutenlange, dokumentarisch wirkende Naturaufnahmen, die ohne die begleitende Musik kaum denkbar sind. Die Landschaft wird musikalisiert, weniger das Drama der Protagonisten."

Becces Ausgestaltung brachte die gesamte Tradition der musikalischen Naturbeschreibungen in symphonischen Dichtungen von Beethoven über Tschaikowski bis Richard Strauss mit an den Tisch. In Zeiten des Stummfilms begleitete der Italiener Kinovorführungen mit Live-Orchestermusik. Hier ging es darum, für die dargebotenen visuellen Topoi die richtige Musik auszuwählen.

Dieser Vorgehensweise folgte er auch später in seiner Kompositionsarbeit für den Tonfilm. "Es ist kein Zufall, dass sich viele der musikalischen Elemente des unter Zeitdruck arbeitenden Komponisten von Film zu Film stark ähneln", sagt Fuchs. "Beispielsweise kamen bei Naturspaziergängen immer wieder Pastoralen in verschiedenen Variationen zum Einsatz."

Produktionskontext

Als klassisch gebildeter und handwerklich ausgezeichneter Komponist, der an der musikalischen Intensität der Stummfilmbegleitungen geschult war, prägte Becce bis zum Ende der 1950er-Jahre dutzende Produktionen. Fuchs geht es zum einen darum, anhand von Primärquellen wie Notizen und Musikskizzen die Entstehung der Werke und ihren Produktionskontext nachzuvollziehen, zum anderen darum, Querverbindungen zwischen den verschiedenen Filmen zu erkennen.

Es soll offenbart werden, wie der Komponist gearbeitet hat: was das Drehbuch vorgab, wie er Instrumentierungen wählte, verschiedene Motive einsetzte und mit Wiederholungen spielte – und dabei ein ganzes Genre samt einer kollektiven Vorstellung von "Heimat" wesentlich prägte.

Gleichzeitig sollen auch die Vermarktungsstrategien beleuchtet werden, die ihre Rezeption maßgeblich mitbestimmten. Lieder Becces wie "Ski Heil" oder "Wir Kameraden der Berge" sollten über Jahrzehnte hinweg Ski- und Berghüttenabende im Alpenraum prägen.

Mit dieser musikphilologischen Betrachtung von in Massenmedien verbreiteten Werken betritt Fuchs neues Terrain. "Üblicherweise sieht man sich mit den hier angewandten Methoden die Kompositionen der sogenannten E-Musik an", sagt die Wissenschafterin. "Ich möchte aber das Massenpublikum, die musikalischen Bilder, die für das Medium Film gefertigt wurden, und die populärkulturellen und identitätsstiftenden Auswirkungen dieser Werke ernst nehmen." (Alois Pumhösel, 1.9.2020)