Vor circa zwei Jahren machte ich ein Interview mit einem sogenannten "Vorzeigeflüchtling". Der junge Afghane war bei einer karitativen Organisation als Koch beschäftigt, sprach gut Deutsch, hatte angenehme Umgangsformen und schien bestens integriert.

Nach dem offiziellen Interview plauderten wir. Er stammte aus der afghanischen Provinz Helmand und sagte, er sei geflohen, weil dort der "Islamische Staat" (er verwendete die arabische Bezeichnung Daesh) so stark gewesen sei. Auf meine erstaunte Frage, wie denn der eher in Syrien und im Irak mächtige IS nach Afghanistan gekommen sei, antwortete er mit der größten Selbstverständlichkeit: "Weil die Israelis die dort eingesetzt haben."

Tatsächlich ist die Verschwörungstheorie, dass der IS in Wirklichkeit eine Schöpfung der Israelis (und natürlich der Amerikaner) sei, unter nahöstlichen Muslimen recht weit verbreitet. Sie ist Teil eines Antisemitismus, der – wie der Vorfall in Graz zeigt – in der muslimischen Community in Europa gar nicht so unterirdisch brodelt.

Solidaritätskundgebung gegen Antisemitismus in Graz.
Foto: APA/JöH

Tatsächlich kommt der islamische Antisemitismus zu unserem autochthonen Antisemitismus noch dazu. Der war in Österreich immer sehr hoch, bis lange, lange nach Krieg und Holocaust.

Inzwischen wissen hierzulande auch Rechtsextremisten, dass es nicht klug ist, offenen Antisemitismus durchscheinen zu lassen, manche der "alten Rechten" anerkennen sogar widerwillig die Verbrechen der Vorväter an.

Verlierergenerationen

Der muslimische Antisemitismus ist kruder und vor allem von einem völligen Mangel an Selbstreflexion getragen. Es gibt einfach nichts Natürlicheres, als dass "der Jude" der Feind ist. Daran ändern auch die – durchaus ernst gemeinten – Bestrebungen der Islamischen Glaubensgemeinschaft nichts, zu einem guten Verhältnis mit der Kultusgemeinde zu kommen. Die Ursachen liegen nicht nur in dem mehr als problematischen Besatzungsregime Israels über die Palästinenser und Benjamin Netanjahus unheilvollen Annexionsplänen. Der israelische Staat ist erfolgreich, die nahöstlichen Staaten ganz überwiegend nicht. Israel ist ein moderner, wohlhabender, egalitärer Staat. Die arabisch-muslimische Welt besteht großteils aus rückständigen, ungerechten, von Cliquen beherrschten "failed states", die sich in endlosen schrecklichen Binnenkriegen zerfleischen. Das können sich viele Muslime nicht anders als mit antisemitischen Verschwörungstheorien erklären.

In Europa dürfen wir so etwas nicht zulassen. Hier dürfen keine Verlierergenerationen entstehen. Aber Österreich ist gerade "auf dem besten Weg", ein migrantisches, islamisches Subproletariat zu erzeugen, nämlich über die Schule. Eine Verlierergeneration, die Sündenböcke suchen muss. Wie Melisa Erkurt in ihrem klugen, realistischen Buch "Generation haram" beeindruckend schildert, sind wir dabei, eine Generation "ohne Sprache und Selbstwert" zu erzeugen.

Österreich kann sich das generell nicht leisten, aber auch, weil diese falsche Bildungspolitik Ressentiments, Radikalisierungen und selbstverständlich Antisemitismus erzeugt. Strenge behördliche Repression hat ihre Rolle, keine Frage. Aber wichtiger wäre es, keine Verlierergenerationen zu erzeugen, die sich in (antisemitische) Erklärungsmuster flüchten. (Hans Rauscher, 25.8.2020)