Züchtungsforscher setzen bei der Pflanzen-Selektion zunehmend auf Hightech-Hilfe.

Foto: Hermann Buerstmayr

Der Pflanzenzüchter Hermann Bürstmayr beschreibt die klassische Züchtung gerne augenzwinkernd: "Ich sage immer, Züchter verwenden schon seit Jahrhunderten einen hochauflösenden 3D-Scanner – ihre beiden Augen." Sie prüfen, ob die Blätter gesund aussehen oder von Schädlingen befallen sind.

Weiters interessiert sie, ob die Pflanzen mehr Körner, Früchte oder Samen tragen, ob sie nährstoffreich und schädlingsresistent sind und nicht zuletzt, wie sie mit den Umweltbedingungen zurechtkommen. In der klassischen Züchtung wird also anhand von Eigenschaften selektiert, die man sehen, zählen und wiegen kann.

Doch diese Methode stoße an ihre Grenzen, sagt der Leiter des Instituts für Biotechnologie in der Pflanzenproduktion am Department für Agrarbiotechnologie (Ifa) der Universität für Bodenkultur in Tulln. "Denn die Elternpflanzen, die wir kreuzen, sind bereits sehr leistungsstark und gut an unsere Bedingungen angepasst. Deshalb sind die Verbesserungen bei den Nachkommen nur noch klein." Züchtungsforscher wie Bürstmayr und Unternehmen setzen daher bei der Selektion zunehmend auf Hightech-Hilfe.

Drohnen für Pflanzenanalyse

Dieses sogenannte digitale Züchten, auf Englisch Digital Breeding, besteht aus zwei Bereichen: Die digitale Phänotypisierung hilft den Züchternbei der optischen Bewertung der Pflanzeneigenschaften. So liefern etwa Kameras an Drohnen oder in Gewächshäusern hochaufgelöste Bilder und erfassen dabei auch die fürs menschliche Auge unsichtbaren Ultraviolett- und Infrarotbereiche.

Die computergestützte Bildauswertung bietet dem Züchter auf Knopfdruck wichtige Informationen, vor allem wenn die Fotos zu 3D-Bildern kombiniert werden: Wie hoch und wie dicht wachsen die Pflanzen? Stimmt die Blattfarbe, oder signalisiert eine Verbräunung Schädlingsbefall? Zeigen Infrarot-Aufnahmen, dass die Pflanzen unter Trockenstress leider und sie mehr Wasser brauchen? Sogar das Schadensausmaß lässt sich genau quantifizieren, und es kann ermittelt werden, ob eine Sorte anfälliger als andere ist.

Mit Drohnen, optischer Technik und Bildauswertung können Pflanzenzüchter den Zustand und die Eigenschaften ihrer Pflanzen präziser bestimmen, als es mit konventionellen Methoden möglich ist.
Foto: Hermann Bürstmayr

Mit optischer Technik lässt sich inzwischen auch auf den Ernährungsstatus von Pflanzen schließen. Fehlt ihnen etwa Stickstoff, sind sie eher hellgrün, bei Stickstoff-Überfluss färben sie sich dunkelgrün. Nur die richtige Menge sorgt für eine optimale Photosynthese-Leistung und gutes Wachstum.

"Was noch nicht gelingt, ist, aus Aufnahmen im Frühjahr auf den späteren Ertrag zu schließen", sagt Bürstmayr. Hier kann aber das zweite Standbein der digitalen Züchtung helfen, nämlich der Blick ins Erbgut der Pflanzen. "Es gelingt uns besser und besser, mit genetischen Fingerabdrücken auch komplexe Eigenschaften der Pflanzen vorherzusagen. " Wie nährstoffeffizient oder ertragreich sie zum Beispiel sind, obwohl das von mehreren Genen gesteuert und stark von Umweltbedingungen beeinflusst wird.

Spiel mit großen Zahlen

Dieses "digitale Genotypisieren" liefert Züchtern ein zeit- und kostensparendes Selektionswerkzeug, mit dem sie noch vor dem Auspflanzen auf dem Feld prüfen können, welche vorgezogenen Jungpflanzen die optimale Kombination an gewünschten Eigenschaften haben. "Pflanzenzüchtung ist immer ein Spiel mit großen Zahlen", sagt Bürstmayr.

Da Züchter durch Kreuzungen jedes Jahr mehrere Hundert neue Kombinationen erschaffen, bedeutet das viele Tausend oder gar zehntausend Nachkommen. "Die schwierige Aufgabe ist, aus diesen die aussichtsreichsten Kandidaten auszuwählen." Bei der klassischen Züchtung müsste man abwarten, was auf dem Feld passiert.

Dabei sind die genetischen Potenziale nicht universell gültig, sondern kommen nur bei bestimmten regionalen Umweltbedingungen zum Tragen. Bürstmayr erklärt das Phänomen am Weizen, auf den seine Forschungsgruppe spezialisiert ist. "Er wird von Schweden bis Sizilien angebaut. Aber der Weizen, der sich in Sizilien wohlfühlt, tut das im kälteren schwedischen Klima nicht."

Mit optischer Technik lässt sich inzwischen auch auf den Ernährungsstatus von Pflanzen schließen.
Foto: Hermann Bürstmayr

Es passt nicht jede Sorte in jede Umwelt, weil die Gene für die Anpassung in Schweden andere sind als die Gene für sizilianische Verhältnisse. Deshalb müssten Getreidesorten regional gezüchtet werden. Das gilt auch für Verbesserungen für die große Gebiete Klimawandel und Welternährung, die Schwerpunkte eines internationalen Digital-Breeding-Symposiums. Die von Bürstmayr organisierten Veranstaltung in Tulln wurde unter anderem vom Land Niederösterreich gefördert.

Kulturpflanzen müssten an veränderte Klimabedingungen wie häufigere Hitzeperioden oder Dürren angepasst werden, so der Agrarbiotechnologe, ohne dass sie weniger Ertrag liefern. Parallel dazu will man angesichts steigender Bevölkerungszahlen, aber begrenzter Produktionsflächen die Produktivität der Sorten steigern, damit sie etwa auf derselben Fläche Nährstoffe effizienter nutzen oder mit weniger Wasser auskommen.

Kein biologisches Limit

Dabei werde die Auswahl anhand genetischer Fingerabdrücke eine Schlüsselrolle spielen, sagt Bürstmayr, ebenso wie beim erklärten Ziel der EU, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. "Das ist ein hehres Ziel, wir Züchter unterstützen das doppelt und dreifach. Es bedeutet aber, dass wir die Pflanzen durch verbesserte digitale Züchtung widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten machen."

Bürstmayrs Dissertantin Magdalena Ehn will etwa neue Weizen-Zuchtlinien mit schützenden Genvarianten exotischer Landweizensorten gegen die wieder häufiger auftretende Steinbrand-Pilzkrankheit wappnen. Das müsse aber durch Investitionen in diese Alternativen gefördert werden. Den Landwirten einfach zu sagen, "ihr müsst weniger spritzen", reiche nicht, sagt Bürstmayr. Auch wenn die Produktivitätsfortschritte von Jahr zu Jahr klein sind, "über die Jahre summiert sich das. Wir sehen derzeit kein biologisches Limit". (Veronika Szentpétery-Kessler, 29.8.2020)