Besucher im Forum vor einem Szenenfoto aus "Freiheit für alle" (2000). Ganz links am Tisch der Schauspieler André Wagner, der auch in anderen Produktionen als Schlingensief-Double auftrat.

Foto: Forum Stadtpark/Jakob Isselstein

Das Forum Stadtpark zeigt in der Schau "Christoph Schlingensief – Grazer Aktionen, Erinnerungen, Kontexte, Gegenwart" teils unveröffentlichtes Material.

Foto: Gerhäusser

Besucher der Ausstellung im Forum schauen Schlingensief bei seinem Marsch durch Graz 1998 zu.

Foto: Forum Stadtpark/Jakob Isselstein

Graz – Wie funktionieren Bilder, wenn man weg ist, fragte sich Schlingensief bei der Präsentation der Filminstallation "African Twintowers" 2008 bei seinem letzten Besuch in Graz. Schlingensief, der im Oktober 60 geworden wäre und 2010 starb, war 1993 erstmals im Forum Stadtpark zu Gast und realisierte fünf große Aktionen in Graz. Das Forum zeigt nun in der Schau "Christoph Schlingensief – Grazer Aktionen, Erinnerungen, Kontexte, Gegenwart" teils unveröffentlichtes Material.

1995 begeisterte und verärgerte die Inszenierung "Hurra Jesus! Ein Hochkampf" am Schauspielhaus. Hier arbeitete Schlingensief auch erstmals mit Mario Garzaner, der in dem wilden, poppigen wie tiefsinnigen Passionsspiel den Jesus gab. Er blieb viele Jahre in Filmen und Theaterstücken an Schlingensiefs Seite – und als Schauspieler mit Behinderung bis heute eine Ausnahme. Mit auf der Bühne war damals auch Schauspieler Franz Solar, der in einem Video-Interview von der gemeinsamen Arbeit erzählt. Ein in Österreich damals prominenterer Mann probte einige Wochen mit, konnte dann aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mitspielen: Hermes Phettberg, der wie Schlingensief Talkshow-Formate neu erfand.

Erstes Pfahlsitzen der Sandler

1998 fand in Graz das erste "Internationale Sandler-Pfahlsitzen" oder auch "7 Tage Entsorgung für Graz" im Steirischen Herbst statt, das später in Venedig und Frankfurt wiederholt wurde. Filmisch dokumentiert ist auch Schlingensiefs legendärer Marsch zur FPÖ, die wie anfangs auch die KPÖ gegen das Projekt war. Er ließ Obdachlose zu Wort kommen, brachte Leute zum Lachen, Schimpfen, Diskutieren, und gut gekleidete Bürger gerieten in ein Gerangel, als es Geldscheine von den Hochsitzen regnete. "Christoph war richtig traurig, dass nichts von dem Geld an die Obdachlosen zurückging", erzählt Martin Baasch, der die Schau mit Forum-Präsidentin Heidrun Primas kuratiert hat und beim Pfahlsitzen in Frankfurt 2003 Schlingensiefs Assistent war.

Besucher der Ausstellung im Forum schauen Schlingensief bei seinem Marsch durch Graz 1998 zu.
Foto: Forum Stadtpark/Jakob Isselstein

Das Skandieren von "Tötet Wolfgang Schüssel" im Kurzstück "Freiheit für alles" am Grazer Schauspielhaus sorgte 2000 für eine Anzeige und einen kleinen Skandal. Der "internationale Kameradschaftsabend" kritisierte tödliche Abschiebungen.

Die Umsetzung der einzelnen Grazer Stationen Schlingensiefs erhalten ihre temporäre, aktionistische Ästhetik durch die Ausstellungsarchitektur von Claudia Gerhäusser, die teils Requisiten des Forums wiederverwendete.

Besucher im Forum vor einem Szenenfoto aus "Freiheit für alle" (2000). Ganz links am Tisch der Schauspieler André Wagner, der auch in anderen Produktionen als Schlingensief-Double auftrat.
Foto: Forum Stadtpark/Jakob Isselstein

Aktionismus aus der Prä-Internet-Kunst

Wie funktionieren nun die Bilder und der Aktionismus aus der Prä-Internet-Kunst nach seinem Tod? Die Ausstellung beantwortet das zumindest teilweise, indem sie Spuren zu heutigen Positionen nachgeht. Etwa zur Initiative Die Vielen, die von Alexander Karschnia mitbegründet wurde, der auch bei der Schlingensief-Partei Chance 2000 aktiv war. Oder zur Teenagerin Verena Dengler, die einst beim "Ausländer-Container" in Wien vorbeispazierte und Fotos machte und nun als HC Playner im Forum Porträts von Hysteria-Burschenschafterinnen zeigt. Manfred Erjautz ist mit "Your Own Personal Jesus", der sich wie ein Uhrzeiger dreht und 2019 in Innsbruck eine Blasphemiediskussion auslöste, vor Ort.

Die Christusfigur von Manfred Erjautz sorgte 2019 für eine Blasphemiediskussion in der Kunst wie einst Schlingensiefs "Hurra Jesus". Sie steht auf dem Kopf, wenn es zwölf Uhr ist.
Foto: cms

Das Kollektiv Planetenparty Prinzip setzt sich in der Installation "Nonstop 5000" mit dem Scheitern Schlingensiefs auseinander. Selbstzweifel zu haben, das passte für viele Fans nicht zu ihm. Ebenso wenig Angst. Schlingensiefs offener Umgang mit seiner Krebserkrankung half anderen Betroffenen, weiß Elke Havekost. Sie und ihr Bruder Udo begleiteten ihn mit der "Church of Fear". "Er sagte, kommt mit nach Bayreuth, macht, was ihr wollt!", erzählt Havekost. In der kleinen Hütte mit Altar fand er "seinen eigenen Kosmos". Ein paar Tage steht der noch vor dem Forum. Aufgrund der Angriffe auf die Grazer Synagoge in der Eröffnungswoche der Ausstellung haben die Havekosts einen Davidstern auf ihren Giebel gemalt. (Colette M. Schmidt, 26.8.2020)