Als Reaktion auf das ORF-Sommergespräch mit Pamela Rendi-Wagner kritisierte der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch die Moderatorin Simone Stribl, weil diese seiner Meinung nach versucht habe, die Parteichefin “bewusst schlecht aussehen zu lassen". Bei aller Kritik muss man der neuen Generation an Moderatoren wie Stribl oder Tobias Pötzelsberger zugutehalten, dass diese sich bemüht haben, einen neuen eigenständigen Weg einzuschlagen, der ihnen als Zukunftshoffnungen des Leitmediums auch zusteht.

Pötzelsberger gelang es mit Empathie und ohne Profilierungsdruck die Herzen und Hirne der Seher zu gewinnen, wie die Auszeichnung als beliebtester Moderator durch den Fernsehpreis Romy belegt. Das Problem liegt nicht an den beiden Medienakteuren, sondern vielmehr an einem mittlerweile schon über Jahrzehnte hinweg angespannten Verhältnis zwischen Journalismus und Politik. Leider stehen sich beide Seiten oft als Gegner in einer Arena gegenüber, anstatt der ehrlichen Intention zu folgen, ein konstruktives Gespräch zu führen.

Pamela Rendi-Wagner im "Sommergespräch" mit Simone Stribl am Montag.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Was Moderatoren von der Meeresschnecke Aplysia lernen können

Der gebürtige Wiener, Nobelpreisträger und Neurowissenschafter Eric Kandel ist ein Pionier auf dem Gebiet der Lernforschung. Er fand heraus, dass einfache Formen des Lernens, wie Habituierung, Sensitivierung und Konditionierung sich auch bei wirbellosen Tieren finden. Besonders gut ist dies bei der Meeresschnecke Aplysia untersucht. Was hat aber die Aplysia mit unseren Politikern gemein?

Wenn die Meeresschnecke mit einem Strafreiz (elektrischer Schlag) konfrontiert wird, zieht sie sich zusammen. Sensitivierung bezeichnet die Zunahme der Stärke einer Reaktion bei wiederholter Darbietung desselben Reizes, wie beispielsweise des erwähnten Strafreizes. Je mehr man seinen Gesprächspartner also mit negativen Stimuli bombardiert, desto mehr und stärker wird sich dieser im wahrsten Sinne des Wortes “verkrampfen“.

Inquisitorische Interviewansätze haben zur Folge, dass sich ein Politiker wie eine Schnecke kontrahiert und nur mehr die oft kritisierten, eingelernten und übercoachten Antworten von sich gibt. Das Resultat ist ein mentales Spiegelfechten zwischen Interviewer und Interviewtem mit der Konsequenz, dass sich Politiker nur mehr auf "Nummer-sicher-Antworten“ stützen und Moderatoren versuchen, die effektive Nadel im fragetechnischen Heuhaufen zu finden. Dies geschieht, wenn die Technik und das Interviewschema den Inhalt und das freie Gespräch von Mensch zu Mensch dominieren.

Leonard Dietrich

“Ein kleines bisschen Zärtlichkeit“ -  Eine Frage der Gesprächskultur

Um kognitiven und körperlichen Verspannungen beim Studiogast vorzubeugen, könnte es bei der Interviewführung nicht schaden, Vertrauen durch eine offene Gesprächsführung aufzubauen und nicht Aversionen durch einen konfrontativen Interviewstil zu erzeugen. Will man in Zukunft Seher gewinnen und Akzeptanz bei Medienskeptikern erarbeiten, wird es um eine neue Medienkultur gehen, die nicht auf rivalisierenden Duellsituationen beruht, in der am Ende ein Gewinner (der kluge Journalist beziehungsweise der souveräne Politiker) und ein Verlierer (der schlecht vorbereite Journalist oder der inkompetente Politiker) übrig bleiben. Stattdessen muss der Wille beider Kommunikationspartner zur gegenseitigen Weiterentwicklung im Zentrum jeglicher Bemühungen stehen. Ein Modell, welches ebenfalls gegen die zunehmenden Polarisierungen, Hass im Netz und Feindbilder wirksam wäre. Denn wenn man die einen als die "Dummen" abstempelt und die anderen als die "Klugen", darf man sich nicht wundern, dass am Ende Wut, Hass und Frustration zurück bleiben. (Daniel Witzeling, 27.8.2020)

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