Die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch erhielt im Jahr 2015 den Literaturnobelpreis und unterstützt den neuen Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft.

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Am Dienstagabend kam es trotz Repressionen zu erneuten Protesten in Belarus.

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Minsk – Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch soll als Kritikerin des umstrittenen Staatschefs Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) erstmals offiziell vernommen werden. Die 72 Jahre alte Schriftstellerin sitzt im siebenköpfigen Präsidium des neuen Koordinierungsrates der Zivilgesellschaft. Das Gremium strebt einen friedlichen Machtwechsel an.

Die Autorin werde sich trotz angeschlagener Gesundheit den Fragen der Ermittler stellen, ließ sie mitteilen. Alexijewitsch hatte Lukaschenko zum Rücktritt aufgefordert, "bevor es zu spät ist". Vernommen wird sie offiziell als Zeugin in dem Strafverfahren gegen den Koordinierungsrat. Ermittelt wird nach Ankündigungen Lukaschenkos, das Gremium zu zerstören, wegen des mutmaßlichen Versuchs der Machtergreifung. Der Rat hingegen fordert den Machtapparat zum Dialog auf. Lukaschenko lehnt solche Gespräche mit seinen Gegnern ab und lässt sie festnehmen.

Repression gegen Rat

Zwei prominente Vertreter des Rates, Olga Kowalkowa und Sergej Dylewski, waren am Dienstag zu zehn Tagen Arrest im Gefängnis verurteilt worden. Sie hatten Proteste gegen Lukaschenko organisiert. "Ich rufe die Sicherheitsorgane auf, unverzüglich den Druck auf den Koordinierungsrat zu beenden und Olga Kowalkowa und Sergej Dylewski freizulassen", sagte die Anführerin der Opposition, Swetlana Tichanowskaja, in ihrem Exil im benachbarten EU-Staat Litauen.

Am Dienstagabend gab es erneut Proteste in der Hauptstadt Minsk und in anderen Städten gegen Lukaschenko. Dabei wurden in Minsk und anderen Städten mehr als 50 Menschen festgenommen. Das teilte das Menschenrechtszentrum Wesna am Mittwoch in Minsk mit. Das Innenministerium bestätigte die Angaben.

Es war die höchste Zahl seit Tagen. Die Sicherheitskräfte hatten eindringlich davor gewarnt, an ungenehmigten Demonstrationen teilzunehmen. Allerdings waren die Uniformierten zuletzt kaum eingeschritten – nach der massiven Polizeigewalt am 9. August und den Folgetagen.

Die neue Welle der Festnahmen läuft seit einigen Tagen. Die Demokratiebewegung wirft den Behörden Willkür vor und pocht auf ihr Recht auf Versammlungsfreiheit. Die Staatsmacht hat die Präsenz von Sicherheitskräften und Gefangenentransportern auf den Straßen massiv erhöht. Von Staatsseite werden nur Kundgebungen für Lukaschenko unterstützt.

Deutschland verurteilt Verhaftungen

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die Festnahme und Einschüchterung von Oppositionsmitgliedern in Belarus scharf kritisiert und der Regierung in Minsk Konsequenzen angedroht. "Es ist absolut inakzeptabel, dass Mitglieder des Koordinierungsrates verhaftet, verhört und eingeschüchtert werden", teilte Maas am Mittwoch in Berlin mit. Maas verwies auf das EU-Außenministertreffen am Donnerstag und Freitag in Berlin, wo die Lage in Belarus Thema sein werde. "Schwere Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen demokratische Grundprinzipien werden wir nicht unbeantwortet lassen", warnte er. Die EU beschloss bereits Sanktionen gegen das Land, es könnten weitere folgen. Lettland regierte am Dienstag mit eigenen Sanktionen gegen 30 belarussische Beamte.

Armee meldet Bereitschaft

Die Lage in Weißrussland ist seit der Präsidentenwahl am 9. August gespannt. Der 65-jährige Lukaschenko ließ sich zum sechsten Mal in Folge zum Sieger ausrufen. 80,1 Prozent der Wählerstimmen hatte er sich zusprechen lassen. Das Ergebnis gilt als grob gefälscht. Lukaschenko hat stets betont, auch das Militär einsetzen zu können, um sich noch eine Amtszeit zu sichern.

Der Generalstab in Minsk hatte mitgeteilt, dass die Streitkräfte nicht nur gegen äußere Bedrohungen aktuell in voller Gefechtsbereitschaft seien. Die Armee stehe auch bereit, um die Gefahr im Land selbst abzuwenden, sagte Generalstabschef Alexander Wolfowitsch mit Blick auf die Proteste. Viele Menschen in Weißrussland befürchten, dass Lukaschenko eine Militärdiktatur errichten könnte.

Zahlreiche Menschen – teils auch im Sicherheitsapparat und im übrigen Staatsdienst – haben sich bereits von Lukaschenko öffentlich abgewendet. Die orthodoxe Kirche in Weißrussland erhielt eine neue Führung, nachdem der oberste Geistliche seine Unterstützung für Lukaschenko zurückgezogen hatte. Die Synode der russisch-orthodoxen Kirche legte ein neues Oberhaupt fest. Der Sicherheitsapparat, zu dem neben Polizei und Armee auch der mächtige Geheimdienst KGB gehört, hält Lukaschenko bisher die Treue. (APA, 26.8.2020)