In Wisconsin wurde am Dienstag wegen gewaltsamer Proteste nach Polizeischüssen auf einen schwarzen Amerikaner der Notstand ausgerufen.

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Kenosha – Ein Fall von Polizeigewalt gegen einen Afroamerikaner in der Stadt Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin sorgt für weitverbreitete Empörung und Proteste: Nachdem ein Polizist dem 29-jährigen Familienvater Jacob Blake am Sonntag aus nächster Nähe in den Rücken geschossen hatte, lieferten sich Demonstranten und Sicherheitskräfte am Dienstag den dritten Abend in Folge Auseinandersetzungen. Dabei wurden nach Polizeiangaben drei Personen angeschossen, wie die "New York Times" unter Berufung auf Sheriff David Beth am Mittwoch berichtete. Zwei Opfer erlagen demnach ihren Verletzungen, das dritte ist mit schweren, aber nicht lebensgefährlichen Schussverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Die Polizei nahm inzwischen einen jungen Mann in Antioch im benachbarten Bundesstaat Illinois in Gewahrsam. Der 17-Jährige sei bereits wegen des Tötungsdelikts formell beschuldigt worden und werde nach Wisconsin überstellt.

Trump schickt Nationalgarde

Wegen der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt im US-Bundesstaat Wisconsin entsendet US-Präsident Donald Trump Einheiten der Nationalgarde in die Stadt Kenosha. Er wolle Nationalgardisten und Bundespolizisten schicken, um "Plünderungen, Brandstiftung, Gewalt und Anarchie" in Kenosha zu unterbinden, kündigte er am Mittwoch im Onlinedienst Twitter an.

"Wir werden Plünderungen, Brandstiftung, Gewalt und Anarchie auf amerikanischen Straßen nicht tolerieren", erklärte Trump. "Gesetz und Ordnung" sollten wiederhergestellt werden. Es war seine erste Reaktion seit den Schüssen auf Blake, wegen denen es täglich zu Ausschreitungen in der Stadt kam.

Die Proteste

Polizisten in Sicherheitsmontur haben am Dienstagabend Gummigeschosse, Tränengas und Schockgranaten eingesetzt, um eine Kundgebung mit 300 bis 400 Teilnehmern nach Einbruch der Dunkelheit aufzulösen. Denn die Behörden hatten eine nächtliche Ausgangssperre aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen am Vortag verhängt. Einige Demonstranten hätten sich laut Sheriff Beth davon nicht beirren lassen und sich vor einer Tankstelle versammelt. Dort seien sie allerdings auf eine Gruppe bewaffneter Männer getroffen, die sich gegen die Protestierenden stellte. Die Männer wollten sich nach eigenen Angaben gegen den Vandalismus von Privateigentum einsetzen. Wenig später fielen mehrere Schüsse, zwei endeten tödlich.

Auf einem von der Nachrichtenagentur AFP verifizierten Video war ein stark blutender Mann mit einer Schusswunde zu sehen. Die Polizei rief daraufhin Verstärkung, Beamte halfen dem Mann auf die Beine. Ein weiteres Video zeigte einen offenbar mit einem Gewehr bewaffneten Mann, der zu Boden fiel, kurz bevor mehrere Schüsse zu hören waren. Andere Menschen auf dem Video liefen panisch davon und forderten einander auf, Schutz zu suchen. Ermittelt wird, ob der mutmaßliche Schütze in einem Zusammenhang mit der Anwesenheit bewaffneter, selbsternannter weißer Milizen in der Stadt steht.

Wenige Stunden zuvor hatte der US-Staat Wisconsin wegen der gewaltsamen Proteste vom Vortag den Notstand ausgerufen. Am Montag waren bei den Zusammenstößen Fahrzeuge in Brand gesetzt und Gebäude beschädigt worden. Gouverneur Tony Evers hatte deshalb auch eine verstärkte Präsenz der Nationalgarde angeordnet. Die Polizeipräsenz war insgesamt niedrig und konzentrierte sich auf die Umgebung des Gerichtsgebäudes. Dort hatte es in den vergangenen beiden Nächten mehrere Konfrontationen zwischen Polizisten und Demonstranten gegeben.

Mutter rief zur Ruhe auf

Auch die Mutter von Jacob Blake hatte die Gewalt zuvor verurteilt und zu friedlichen Protesten aufgerufen. Sie habe in Kenosha "viele Schäden" gesehen, sagte Julia Jackson am Dienstag. Diese Vorfälle spiegelten "nicht das wider, was mein Sohn und meine Familie sind". "Wenn Jacob wüsste, was an Gewalt und Zerstörung passiert, wäre er sehr unerfreut", sagte Julia Jackson.

Blakes Vater warf der Polizei einen "sinnlosen Mordversuch" vor. "Sie haben siebenmal auf meinen Sohn geschossen, als ob er nichts zählt. Aber mein Sohn zählt. Er ist ein Mensch."

Vermutlich bleibt Blake querschnittgelähmt

Blakes Familie erklärte, der 29-Jährige sei von der Hüfte abwärts gelähmt und werde womöglich nie wieder gehen können. Nach Angaben seiner Anwälte durchschlugen Kugeln Blakes Wirbelsäule, seinen Magen, seine Leber und einen Arm. "Die jetzige medizinische Diagnose ist, dass er gelähmt ist", sagte der Anwalt der Familie, Ben Crump. "Es wird ein Wunder nötig sein, damit Jacob Blake junior jemals wieder laufen wird."

Nach Angaben des Anwalts saßen in dem Auto Blakes Kinder im Alter von drei, fünf und acht Jahren. Auf einem Video ist zu sehen, wie Blake zu seinem Auto geht, gefolgt von zwei Polizisten mit gezogenen Waffen. Eine der Waffen ist auf seinen Rücken gerichtet. Als Blake die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, fallen Schüsse. Die genauen Hintergründe des festgehaltenen Vorfalls sind noch unklar. Die beteiligten Beamten wurden suspendiert, die Kriminalpolizei ermittelt.

Tod von George Floyd

Für Freitag ist in der Hauptstadt Washington ein großer Marsch gegen Polizeigewalt gegen Schwarze geplant. Er findet am Jahrestag der berühmten Rede "I Have a Dream" ("Ich habe einen Traum") des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King statt. King hielt die Rede am 28. August 1963.

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer Kontrolle durch weiße Polizisten in Minneapolis im Mai kommt es in den USA immer wieder zu Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Zum Teil schlugen die Proteste in Gewalt um. (fmo, APA, Reuters, 26.8.2020)