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Foto: AP Photo/Virginia Mayo, File

Ausgerechnet das kleine Irland hat Ursula von der Leyen eine schwere Bewährungsprobe beschert. Am Dienstagnachmittag musste sich die EU-Kommissionspräsidentin mit den Details des Heimaturlaubs ihres Handelskommissars befassen, bei dem Phil Hogan vergangene Woche an einem hochkarätigen Dinner teilnahm. Weil die Veranstaltung gegen Corona-Regeln verstieß, befindet sich die Öffentlichkeit auf der Grünen Insel in heller Aufregung; die Regierung unter Premierminister Micheál Martin hatte ihren wichtigsten Mann in Brüssel bereits indirekt zum Rücktritt aufgefordert. Einen solchen lehnte Hogan erst ab, trat am Mittwochabend aber doch zurück. Landwirtschaftsminister Dara Calleary war zuvor bereits zurückgetreten, weil er dieselbe Veranstaltung besucht hatte.

Was geschehen war

Das seit Monaten geplante zweitägige Fest des parlamentarischen Golfklubs mit 81 hochrangigen Politikern, Journalisten und Richtern im westirischen Clifden (Bezirk Galway) kulminierte am vergangenen Mittwochabend mit einem mehrgängigen Menü und anschließender Tombola. Freilich erhielten köstliche Speisen und die gewonnenen Preise, etwa ein Grill für Kommissar Hogan, einen bitteren Beigeschmack, sobald irische Medien darauf hinwiesen: Die fröhliche Feier hatte eklatant gegen erst tags zuvor erlassene Verschärfungen der Corona-Regeln verstoßen. So dürfen sich vorerst bis Mitte September lediglich sechs Personen aus drei verschiedenen Haushalten im gleichen Raum aufhalten; Einreisende nach Irland müssen wieder in eine 14-tägige Quarantäne.

Entrüstungssturm

Haben Angehörige der politischen und gesellschaftlichen Elite des Landes geglaubt, für sie würden die Vorschriften nicht gelten? Dieser Eindruck hat einen Entrüstungssturm in der ohnehin stets misstrauischen und von Covid-19 heftig gebeutelten Bevölkerung hervorgerufen, von den Medien und Oppositionsführerin Mary Lou McDonald (Sinn Féin) angefacht. Zwei Minister traten eilig zurück, der Parlamentspräsident verfügte die Schließung des Golfklubs. Hogan aber wartete zunächst mit ausweichenden Erklärungen auf, rang sich erst am Sonntag zu einer umfassenden Entschuldigung durch – und lehnte den Rücktritt vorläufig ab, den ihm Taoiseach (Gälisch für Häuptling) Martin und dessen Stellvertreter Leo Varadkar "nahelegten".

Der Verlust des Handelskommissars ist ein schlimmer Schlag für die Grüne Insel, der in vier Monaten, nach Ablauf der Übergangsfrist, heftige Brexit-Turbulenzen bevorstehen. In Londoner Regierungsstuben wird die Schwächung des kleinen Nachbarn wohl begeistert aufgenommen.

Verkehrskontrolle

Dass Kommissar Hogan, wie sich später herausstellte, auf dem Weg zum Golfdinner auch noch von der Verkehrspolizei beim Telefonieren mit dem Handy erwischt wurde, hatte seine Lage nicht gerade verbessert. Die Beamten beließen es bei einer Warnung und ließen den 60-Jährigen ohne Strafe davonkommen.

Für die wackelige Jamaika-Koalition kommt der Skandal jedenfalls denkbar ungelegen. Erst seit zwei Monaten im Amt, hat Regierungschef Martin bereits seinen zweiten Landwirtschaftsminister und zudem seinen Handelskommissar ein. Pikanterweise liegen sich die Koalitionspartner von Martins nationalliberaler Fianna Fáil und die konservativen Fine Gael unter dem vorherigen Premier Varadkar über das weitere Vorgehen in der Pandemie in den Haaren. Der Wirtschaftsminister (und gelernte Arzt) Varadkar hatte öffentlich Zweifel an der deutlichen Verschärfung der Regeln geäußert. Umstritten ist auch, wie die Republik das entstandene Covid-19-Loch im Staatssäckel stopfen soll. Dabei lechzt das Land nach staatlichen Investitionen, nicht zuletzt im verlotterten Gesundheitssystem, das im Frühjahr der Corona-Pandemie nur knapp standhielt. (Sebastian Borger aus London, red, 26.8.2020)