Eine Solidaritätskundgebung vergangenen Sonntag vor der Grazer Synagoge.

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Ich mache mir überall in Österreich Sorgen, was passieren würde, wenn ich mein Judentum offen bekenne, schreibt die Historikerin Shoshana Duizend-Jensen im Gastkommentar. Sie fordert stärkeren Dialog und gegenseitiges Aufeinander-Zugehen.

Entsetzte Politiker und Amtsträger taten uns Juden gut. Sie waren solidarisch in ihren Pressestatements und verurteilten verbal jede Form von Antisemitismus. Es war sicher einzigartig in der Geschichte Österreichs, dass eine polizeiliche Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der Verbrechen in Graz mit dem hebräischen Wort für Liebe, "Ahawa", bezeichnet wurde. Was wir Juden aber seit 1945 schmerzlichst vermissen, ist das Interesse der Öffentlichkeit daran, wie wir täglich leben, gegen Vorurteile ankämpfen, uns beleidigen lassen und als Sündenböcke für die Politik Israels herhalten müssen. Wie oft schlucken wir hinunter, was antisemitisch eingestellte Mitmenschen reden, weil wir Juden, wenn wir Widerspruch leisten würden, ja sonst als unversöhnlich gelten. Wie viele Jahrzehnte dauerte es, bis an den Orten früherer Synagogen Gedenktafeln kamen, bis sich ein Kanzler für die Verbrechen von Österreichern im Holocaust entschuldigte.

Ausgegrenzt und belächelt

Ja, es ist vieles besser und anders geworden, aber Juden leben hier nach wie vor mit, in ihrem Bewusstsein, gepackten Koffern. Sie sind meist nicht willkommen, werden ausgegrenzt und belächelt, besonders wenn sie religiös sind. Schnell muss man hören, Juden seien am Antisemitismus auch ein bisschen selbst schuld, weil sie sich ja so sehr isolieren. Thoratreue Juden sind die Parias in dieser Gesellschaft. Das Wort "Jude" kommt noch immer vielen schwer über die Lippen, viel besser hört es sich an, von "jüdischen Mitbürgern" zu reden.

Ich mache mir überall in Österreich Sorgen, was passieren würde, wenn ich mein Judentum offen bekenne, gar einen Davidstern als Kette trage oder meinen Ehemann dazu ermutige, auf der Straße mit der Kippa zu gehen. Wurde nicht auch eines der Kinder einmal in der Schule als "dreckiger Jude" beschimpft? Dass sich ein in Deutschland gebürtiger Lehrer einmischte und dem schimpfenden Schüler sagte, dass so etwas gar nicht gehe, stimmte mich hoffnungsvoll.

Rettungsort und Anker

Die Corona-Krise aber hat vieles wieder ans Tageslicht gebracht. Sogar Freunde und Bekannte sprechen plötzlich von einer unbekannten "Elite", die das Virus in die Welt gesetzt hätte. Sehr schnell wird dann klar, wer damit gemeint ist. Ein Appell an alle: Das Einzige, was uns jetzt helfen kann, ist der Dialog und das gegenseitige Aufeinander-Zugehen. Menschen, die uns hassen, werden wir allerdings weiterhin meiden. Daher ist Israel auch für alle in der Diaspora lebenden Juden der zentrale Rettungsort und Anker, falls es wieder eng wird und der alte neue Judenhass wieder voll zuschlägt. Daher trifft es auch immer besonders schwer, wenn Israel dafür herhalten muss, Antisemitismus zu legitimieren. Weder die rechte Liebe zu Israel, um damit Muslime zu desavouieren, noch die bedingungslose Bewunderung ist es, was wir brauchen, sondern das Verstehen unserer Art des Lebens in völliger Akzeptanz und Gleichstellung. (Shoshana Duizend-Jensen, 26.8.2020)