Motocross am Bühnenhimmel in "TANZ" von Florentina Holzinger.

Foto: Eva Würdinger

Befreite Elevinnen in "TANZ" von Florentina Holzinger.

Eva Würdinger

Die Zeichen standen nicht schlecht, und jetzt ist es verbrieft: Florentina Holzingers Bühnenarbeit "Tanz", eine am Tanzquartier Wien entwickelte internationale Koproduktion, wurde in der Kritikerumfrage von "Theater heute" zur Inszenierung des Jahres gewählt. Keine Kleinigkeit. Damit siegte sie mit einer Stimme Vorsprung vor Leonie Böhms Klassikerneuschöpfung "Räuberinnen" von den Münchner Kammerspielen. Sage noch einer, es gebe keine Regisseurinnen!

Die bereits mit einer Einladung zum diesjährigen Berliner Theatertreffen ausgezeichnete Inszenierung Holzingers verhandelt das bis heute tradierte Frauenbild des romantischen Balletts neu und antwortet mit einem nicht jugendfreien Hybridformat aus Theater, Martial Arts und Splatter. Elevinnen einer Ballettschule mutieren zu Luftgeistern, die splitternackt auf Motocross-Maschinen am Bühnenhimmel Gas geben.

Sandra Hüller ist Schauspielerin des Jahres

Auch der Titel des Stücks des Jahres geht – aus Ländermatchsicht – an Österreich. Ewald Palmetshofers subtile Mittelstandsstudie "Die Verlorenen" (uraufgeführt am Residenztheater München) erzählt vom Geflecht menschlicher Deformationen. Eine Frau will im abgelegenen Haus ihrer Großmutter für einige Wochen eine Auszeit nehmen und verabschiedet sich von ihrem Teenagersohn, der beim Vater und dessen neuer Frau lebt. Das Ereignis ist nicht der Plot, sondern die sprachliche Durchdringung eines Zustands aus Angespanntheit, Verzweiflung und scheinbarer Unveränderbarkeit.

Schauspielerin des Jahres wurde – zum bereits vierten Mal – Sandra Hüller (für ihre "Hamlet"-Rolle in Bochum), Fabian Hinrichs erlangte selbigen Titel in dem Fast-Solo "Glaube an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt" von René Pollesch im Friedrichstadt Palast Berlin. Weitere Namen im Ranking: Das Bühnenbild des Jahres stammt von der bildenden Künstlerin Julia Oschatz für die "Hamlet"-Lesart von Christian Weise am Berliner Maxim Gorki Theater, Kostümbildnerin des Jahres wurde – zum wiederholten Mal – Victoria Behr für Herbert Fritschs "Amphitryon" an der Schaubühne.

Johannes Nussbaum ist Nachwuchsschauspieler

Mit großem Vorsprung wurde Gina Haller (als Ophelia in Johan Simons' Bochumer "Hamlet") zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres auserkoren. Und der Österreicher Johannes Nussbaum, der im Vorjahr bereits mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis in Berlin geehrt wurde, ist "Nachwuchsschauspieler des Jahres". Und schließlich konnte noch Caren Jeß den Titel Nachwuchsautorin für sich verbuchen – für die am Schauspielhaus Graz uraufgeführte Miniaturserie "Bookpink". "Theater des Jahres" wurden zum zweiten Mal in Folge die Kammerspiele München unter der Leitung von Matthias Lilienthal. (Margarete Affenzeller, 27.8.2020)