Starke Bilder, starke Figuren: Stundyte als Elektra (re.), Asmik Grigorian als Chrysothemis in "Elektra".

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Die quälende Unsicherheit des Frühsommers wird in die Annalen eingehen: Kein Festival Mitteleuropas hat in diesem ungewöhnlichen Jahr so vehement um seine Austragung gerungen wie die Salzburger Festspiele. Manche haben (zu) früh aufgegeben wie Bayreuth oder wurden von der Politik abgesägt wie die Ruhrtriennale. Einige haben sich nach vorsichtigem Abwägen dann für Online-Versionen entschieden wie Edinburgh oder für verschlankte Programme wie die Wiener Festwochen oder Grafenegg mit seiner Freiluftbühne.

So hoch gepokert wie die obendrein mit dem 100-Jahr-Jubiläum befassten Festspiele hat indes wohl keiner. Im Nachhinein muss man dem Kuratorium und der Leitung zur riskanten Entscheidung gratulieren. Ein Festival mit seinem in einem Monat zu absolvierenden reduzierten Programm ist dabei, unter Aussperrung des Virus, erfolgreich zu Ende zu gehen.

Vertrauen im Vorfeld

Österreich hatte einen pulsierenden Kulturhotspot aufzubieten. Nicht jedes Festival kann sich eine derart aufwendige Rückabwicklung und Neuauflage des Kartenverkaufs leisten, auch nicht ein so kostspieliges Sicherheitskonzept – dessen Umsetzung nach eigener Anschauung streng exekutiert wurde.

Das schaffte im Vorfeld Vertrauen beim Publikum. Salzburg ist damit zum idealen Bindeglied zwischen einem verzagten Frühsommer und einem Herbst geworden, der sich auf unsicherem Terrain um einen einigermaßen normalen Spielbetrieb bemühen muss.

Mehr Opernglanz

Aus dem Jubiläumsprogramm haben die künstlerischen Leiter eine kluge Schrumpfversion destilliert. Sie hat letztlich dem Opernbereich zu mehr Glanz verholfen als dem Schauspiel. Die Pläne von Schauspielleiterin Bettina Hering waren mit einer Handke-Uraufführung und einem neuen Kommentarstück zum Jedermann allerdings vielversprechend. Beide durchaus fragilen Produktionen hatten spannende Ansätze, gingen aber nicht auf.

Handkes Konversationsstück Zdenĕk Adamec blieb in seiner szenischen Auflösung mutlos und gleichförmig. Milo Raus bzw. Ursina Lardis Everywoman konnte wiederum dem Weltverbesserungskitsch nicht ausweichen. Und dass im Hopp-oder-dropp-Stück des Festivals, dem Jedermann, die Buhlschaft (Caroline Peters) einer rosaroten Torte entsteigen musste (wenn auch mit Augenzwinkern), bleibt hoffentlich eine Eintagsfliegenregieidee.

Qualität als roter Faden

Im Musikbereich also mehr Glück: Der mit mulmigem Bauchgefühl programmierende Intendant der Festspiele, Markus Hinterhäuser, musste zwar auf die üblichen dramaturgisch subtilen Zusammenhänge der Veranstaltungen verzichten. Dafür können Niveau und Qualiät des Gebotenen als erstaunlicher roter Faden gelten. Strauss' Elektra mit Dirigent Franz Welser-Möst und einer großteils packenden Regie von Krzysztof Warlikowski kam schon jenem künstlerischen Ausnahmezustand sehr nahe, der von einem solchen Festival in krisenfreien Jahren zu Recht erwartet wird.

Und auch die – für Opernverhältnisse – sehr schnell aus dem Boden gestampfte Così fan tutte in der Version des Regiepsychologen Christof Loy punktete mit dem Charme einer Tiefenstudie von Zweierbeziehungen. Dass auch die Dirigentin und Salzburg-Debütantin Joana Mallwitz als versierte Orchesterleiterin reüssieren konnte, ist ein zusätzlicher Lichtblick.

Philis herausragend

Wobei: All dies profitierte von den Wiener Philharmonikern und ihrer momentan herausragenden Verfassung. Es klang alles, als hätte die Zwangspause das Orchester, das sich wie viele Kulturinstitutionen Sorgen bezüglich des Herbstes macht, einige Kräfte sammeln lassen. Ob in den beiden Opern oder etwa beim phänomenalen Konzert mit Mezzo Elīna Garanča, Dirigent Christian Thielemann und besonders bei Bruckners vierter Symphonie: Da war kaum Interessanteres vorstellbar.

Dass just Anna Netrebko nicht ihren glanzvollsten Abend ablieferte, ändert nichts am Gesamtbefund. Bei keinem Konzert Schwächen, die es da und dort immer gab. Es waren somit schmale, aber im Gehalt sehr gute Festspiele. Das ist nicht nur ein Zeichen von grundsätzlicher Substanz und ein Hoffnungsschimmer für andere Veranstalter.

Es ist für die Festspiele selbst ein Beweis, dass sie, sollte der Sommer 2021 ebenfalls mit Corona befasst sein, künstlerisch doch etwas Markantes schaffen werden können. (Margarete Affenzeller, Ljubiša Tošić, 27.8.2020)