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Der Beginn einer beruflichen Partnerschaft mit einem Orchester sei wie der Beginn einer Beziehung, meinte Andrés Orozco-Estrada Anfang Juli bei einer Pressekonferenz zu seinem baldigen Amtsantritt als Chefdirigent der Wiener Symphoniker: "Am Anfang ist immer alles schön." Und am Ende?

Klangliche Opulenz

Noch hat Philippe Jordan den Chefposten inne, in den letzten sechs Jahren hat der 45-Jährige das Wiener Orchester über 160 Mal dirigiert, parallel zu seiner Position als Musikdirektor der Pariser Oper. Jordan hat Werke von über 40 Komponisten interpretiert und dabei Schubert, Bruckner, Berlioz und Brahms schwerpunktmäßig beleuchtet. Die Aufnahme aller Beethoven-Symphonien stellte einen Höhepunkt dar: Der Schweizer verstand es, die Drastik der Originalklangbewegung mit der klanglichen Opulenz eines Konzertorchesters zu verbinden.

Doch am Ende machten sich Abnützungserscheinungen bemerkbar. Im Juni reagierten Teile des Orchesters bei der Wiedergabe der Eroica auf das großgestische Wirken ihres Chefs mit beträchtlicher Motivationsresistenz – um zwei Wochen später bei Manfred Honecks nuancierter Deutung von Tschaikowskys Fünfter aufzublühen wie ein Teenager bei der ersten Liebe.

Don Juan als Gewalttäter

Am Dienstagabend konnte man im Konzerthaus die Jordan-Skepsis nachvollziehen: Seine Strauss-Interpretationen enttäuschten. Don Juan war bei Jordan kein Verführer, sondern ein Gewalttäter: Statt Esprit und Überschwang war eckige Härte angesagt. Beim Till Eulenspiegel wartete man vergeblich auf scharfkantigen Schalk, die Fortissimi gerieten überdruckvoll, grob und wie ausgequetscht.

Nach der Pause folgte die Rosenkavalier-Suite – ein Hinweis auf Jordans künftige berufliche Tätigkeit als Musikdirektor der Wiener Staatsoper, wo er im Dezember eine musikalische Neueinstudierung des vergangenheitsseligen Werks verantworten wird. Hier vermisste man zu Beginn die sinnlichen Rundungen der Musik. Der Beifall von 900 Zuhörenden im locker besetzten Großen Saal führte zu einer Zugabe von Johann Strauss (Sohn), der platt interpretierten Furioso-Polka.

Am 29. August in Grafenegg

(Stefan Ender, 27.8.2020)