Eine "Kaiser-Moschee" in Sarajevo? Aufmerksamen Besucherinnen und Besuchern des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien mag aufgefallen sein, dass eine ebensolche auf einer Karte zum Attentat auf Franz Ferdinand abgebildet ist. Auch auf Sarajevo-Stadtplänen des frühen 20. Jahrhunderts war eine "Kaiser-Moschee" selbstverständlich als Landmark ausgewiesen. Was hat es damit auf sich?

Zurück an den Anfang des 20. Jahrhunderts: Nur wenige Jahre vor dem weltverändernden Attentat auf den Thronfolger hatte sich die habsburgische Obrigkeit in der bosnischen Hauptstadt ein mehr als 400 Jahre altes Bauwerk angeeignet. Um 1910 wurde einer osmanischen Kuppelmoschee vom Architekten der österreichisch-ungarischen Landesregierung eine neue, repräsentative Fassade am (ebenfalls recht neuen) Appel-Kai vorgebaut. Das Besondere daran: Man orientierte sich dabei nicht etwa am maria-theresianischen Spätbarock, sondern am klassisch-osmanischen Stil. Nicht wenige Zeitgenossen fielen auf die Täuschung herein und hielten den neuen Trakt für ein genuin osmanisches Werk.

Franz Josef als Gebieter über Muslime

Der pseudo-osmanische Straßentrakt war damals Sitz des Islamischen Gelehrtenrats ("Medžlis-i Ulema"). Geschaffen hatte ihn die österreichisch-ungarische Okkupationsverwaltung, um ein bosnisch-muslimisches Gegenüber zu haben. Ein Bogengang, der ein wenig an die Seitenflügel der Schönbrunner Gloriette erinnert, verband Alt- und Neubau auf scheinbar organische Weise. Das Ergebnis – Kuppelmoschee hinter Hofanlage – ruft die großen Sultansmoscheen Istanbuls ins Gedächtnis.

Und auch der Ort des Gebäudes ist geschichtsträchtig: Genau hier war im 15. Jahrhundert die Stadt Sarajevo als osmanischer Außenposten an einer Brücke über die Miljacka entstanden. Nachdem ein mysteriöser früherer Stiftungsbau einem Feindeseinfall zum Opfer gefallen war, ließ Süleyman der Prächtige hier Mitte der 1560er-Jahre eine große Kuppelmoschee errichten. Genannt wurde sie allerdings nicht etwa Süleymaniye wie ihr Konterpart in Istanbul. Osmanische Quellen bezeichneten das Gebäude als "Hünkar Camii", "Freitagsmoschee des Gebieters". Ähnlich den deutschen "Kaiserdomen" in Städten wie Mainz, Worms und Speyer war sie also mit keinem bestimmten Herrscher verbunden, sondern mit dem Herrscher als Instanz. Ob dieser historische Präzedenzfall die ideologische Übertragung zur "Kaisermoschee" erleichterte?

Im Innenhof der Kaisermoschee (Careva Džamija) in Sarajevo. Der Kanzleitrakt im pseudo-osmanischen Stil wurde um 1910 vom Architekten Karl Pařík errichtet, der in Wien bei Theophil Hansen gelernt hatte.
Foto: Maximilian Hartmuth

Geburtstagsgebete für die Apostolische Majestät

Ein Archivdokument, das uns den politischen Unterbau dieses Projekt detailliert darlegt, wurde bislang nicht gefunden. Es existierte womöglich nie. Manches über die damaligen Überlegungen verrät aber ein teilweise erhaltener Austausch aus dem Jahre 1907 zwischen der habsburgisch-bosnischen Landesregierung, dem gemeinsamen österreichisch-ungarischen Finanzministerium in Wien und der landesärarischen Teppichweberei in Sarajevo. Die Regierung hatte die Weberei um einen Kostenvoranschlag für Teppiche für die Moschee ersucht, und zwar "zur sofortigen Entsprechung", ohne allerdings die gewünschten Maße anzugeben. Der Webereidirektor Heinrich Hofmann erbat sich folglich "thunlichst rasch" eine Grundrissskizze, die Aufschluss über Größenverhältnisse gibt. Diesem Wunsch wurde entsprochen.

In der weiteren Korrespondenz erfährt man, dass die muslimische Gemeinschaft die Moschee dazu nutzte, "feierliche Gottesdienste anlässlich des Allerhöchsten Geburtstag Seiner k.u.k. Apostolischen Majestät" zu veranstalten. Und dass die besagte Moschee "unter einer Art Patronat des Landesfürsten", also Kaiser Franz Josefs, stünde.

Der Komplex der Careva Džamija in Sarajevo, aufgeschüsselt nach Bauphasen: Gelblich eingefärbt die osmanische Kuppelmoschee von 1565, rot die spätosmanischen Zubauten (19. Jh.). Aus der Habsburgerzeit: blau der Neubau eines Hammams als öffentliches Bad (1891), grün die Kanzlei des muslimischen Gelehrtenrats (1911).
Foto: KK/Maximilian Hartmuth

Staatliche Orientteppichproduktion

Da die "Vakuf-Commission", die eigentlich für die Erhaltung der islamischen Stiftungsbauten zuständig war, die erforderlichen Mittel nicht aufbringen konnte, sollte das gemeinsame Finanzministerium Österreichs und Ungarns, dem Bosnien-Herzegowina unterstellt war, mit einer Finanzspritze einspringen.

Für die 14 Teppiche unterschiedlicher Größen, die für den Innenraum der Moschee gedacht waren, wurde ein Betrag zwischen 5.000 und 6.000 Kronen budgetiert; eine Summe, die auf die heutige Kaufkraft umgerechnet rund 35.000 Euro entspricht. Für die Herstellung in der landesärarischen Teppichweberei hat man eine Produktionsspanne von sechs bis acht Monaten angenommen. Das Finanzministerium durfte aus drei verschiedenen Dessins im "orientalischen" Stil wählen. Es entschied sich für den teuersten.

Man darf davon ausgehen, dass die Teppiche 1908 fertiggestellt und geliefert wurden. Gewoben wurden sie in der erwähnten Weberei, gegründet 1892, um die traditionell als Heimarbeit betriebene Teppichweberei vor dem mutmaßlich drohenden Verfall zu bewahren.

Für den zwei mal zehn Meter großen Teppich vom Modell "Bosn. Teppich Dess. No 117", bestimmt für die Empore der Kaisermoschee in Sarajevo, wurde 1907 von der landesärarischen Teppichweberei ein Preis von 520 Kronen veranschlagt.
Foto: Kenan Surković

Perspektive Museum

Bis vor kurzem lagen die letzten beiden erhaltenen Teppiche eingerollt und unbemerkt in Nebenräumen der Moschee. Die Kunsthistoriker Kenan Surković und Haris Dervišević haben sie wiederentdeckt, fotografiert und bemühen sich nun um eine Überführung in eine Museumssammlung. Am liebsten in die Sammlung eines Museums islamischer Kultur in Sarajevo, das aber erst gegründet werden müsste.

Die ehemalige Kanzlei des Gelehrtenrats, also der habsburgzeitliche Zubau an die osmanische Moschee, wird demnächst von der Islamischen Kultusgemeinde in Richtung eines Neubaus verlassen. Er wäre der wohl perfekte Ort, um diese und viele andere weithin vergessene Geschichten zu erzählen.

Übrigens: Über dem Portal des Straßentrakts hängt nach wie vor eine kalligrafierte Bauinschrift, die 1911 vom bosnischen Großmufti verfasst wurde. Sie lobt, in osmanischem Türkisch in arabischer Schrift, den ach so gerechten Herrscher Franz Josef. (Maximilian Hartmuth, 31.8.2020)