Man stelle sich vor, der Gesundheitsminister verordnet eine allgemeine Maskenpflicht in Supermärkten, die Landeshauptfrau von Niederösterreich zusätzlich in Kindergärten, und der Bezirkshauptmann von Hollabrunn untersagt das Betreten von Baumärkten. Es ist ein fiktives Beispiel, das in der Stellungnahme zur Covid-Gesetzesnovelle von der Arbeiterkammer (AK) angeführt wird – aber möglich sei es. "Verschiedene Regelungen können überlappend ineinandergreifen. Aber wie soll der Bürger wissen, was er wann zu tun hat?", sagt Florian Burger, Jurist bei der Arbeiterkammer. In der Novelle werde nicht definiert, wie solche Anordnungen an die Österreicher gebracht werden. Dadurch fehle die Rechtssicherheit. "Es kann nicht verlangt werden, dass jeder dutzende Verordnungen lesen muss, um nicht irgendwo – womöglich sogar horrend – gestraft zu werden."

Lockdown in Wien im April: In den Erläuterungen zum Entwurf ist zwar festgehalten, dass es kein weiteres bundesweites Herunterfahren des öffentlichen Lebens geben werde – allerdings will Türkis-Grün offenbar genau dafür ein Gesetz schaffen.
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Es ist nur einer von vielen Punkten, die von der AK an dem Gesetzesentwurf der türkis-grünen Regierung kritisiert werden. Seit Tagen wächst der Unmut – nicht nur bei der rot-pinken Opposition, die dem Konvolut in der Form nicht zustimmen will, sondern auch auf Expertenseite. Mit Freitag läuft die Begutachtungsfrist für die Reparatur des Quasi-Ausgehverbots aus, das bis zum 30. April galt und das der Verfassungsgerichtshof im Juli nachträglich als gesetzeswidrig qualifiziert hat. Obwohl das Höchstgericht das Betretungsverbot für den öffentlichen Raum als zu weitgehend erachtet hat, schwebt der Regierung nun vor, dass der Gesundheitsminister per Verordnung das Betreten von "bestimmten Orten oder öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit" regeln kann.

Verfassungsrechtliche Bedenken, weil sich die Regierung selbst zu viel Spielraum lasse, meldet die AK deshalb auch für den künftigen Fall einer Ausgangssperre an. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf sei zwar festgehalten, dass es keinen weiteren bundesweiten Lockdown geben werde. Jurist Burger fragt sich allerdings: "Warum schaffe ich dann ein Gesetz dafür?" Die Kammer fordert, dass für die Verhängung einer Ausgangssperre Epidemiologen klar und transparent darlegen müssen, warum sie notwendig ist.

Bis Donnerstag trudelten auch auf der Parlamentshomepage weitere Stellungnahmen zu dem umstrittenen Entwurf ein – darunter der Befund des Vereins Transparency Österreich. Gleich zu Beginn der Expertise wird moniert, dass gemäß dem neuen Gesetzestext "beim Auftreten von Covid-19" erneut Betretungsverbote für Betriebsstätten, Arbeitsorte und Verkehrsmittel per Verordnung erlassen werden können.

Unbestimmte Passagen

Doch diese Voraussetzung hält man auch bei Transparency "aus verfassungsrechtlicher Sicht womöglich für zu bestimmt", denn: Bei dieser Passage sei "nicht klar, ob schon das Auftreten eines Falles ausreicht oder welche Intensität an Krankheitsausbrüchen gegeben sein" müsse. Daher mahnt man von Türkis-Grün ein: "Es müssen ärztliche Diagnosen von Covid-Fällen vorliegen, und zwar so viele, dass die Gesundheit der gesamten oder doch von Teilen der Bevölkerung ernsthaft gefährdet ist."

Was den Juristen des Vereins ebenfalls ins Auge sticht: "Die Verordnungsermächtigung sollte sachgerecht auf öffentliche Verkehrsmittel eingeschränkt werden und private Verkehrsmittel ausnehmen" – etwa private Pkws, wie Transparency-Vorstandsmitglied Georg Krakow erläutert, "weil ansonsten verfassungswidrige Unverhältnismäßigkeit droht". Und noch etwas geben die Fachleute für den Fall eines "gänzlichen Betretungsverbots" für Betriebsstätten zu bedenken: Die Verordnungsermächtigung würde etwa "erlauben, den Aufenthalt (...) an allen Arbeitsorten zu untersagen". Dann müsste die Grundversorgung der betroffenen Bevölkerung "dennoch sichergestellt werden" – mag dies durch Ausnahmen z. B. "für Lebensmittelgeschäfte, Apotheken) oder (teilweise) durch Lieferdienste erfolgen".

Krakow zum STANDARD: "Wir verstehen unsere Einwände als konstruktive Kritik, auf jene Stellen hinzuweisen, die problematisch sind – um eine neuerliche Aufhebung von drastischen Maßnahmen zu vermeiden." Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) lädt nächste Woche zunächst die Klubobleute zu Gesprächen über das Corona-Gesetz ein – er nehme Kritik – "auch in den Teilbereichen, die eher parteipolitisch motiviert sind oder auf Missverständnissen aufbauen" – sehr ernst. (Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 27.8.2020)