Demonstrierende wurden Ziel der Todesschüsse eines 17-Jährigen.

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Kenosha – Nach tödlichen Schüssen bei einer Demonstration in der US-Stadt Kenosha ist ein zuvor festgenommener 17-Jähriger wegen zweifachen Mordes angeklagt worden. Ihm werden außerdem unter anderem ein Mordversuch und unerlaubter Waffenbesitz zur Last gelegt, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. In Kenosha waren in der Nacht auf Mittwoch zwei Menschen getötet und einer verletzt worden.

Zumindest der Zwischenfall, bei dem eine Person erschossen und eine weitere verletzt wurde, ist auf Video festgehalten. Aus Gerichtsunterlagen, aus denen die "New York Times" am Donnerstag zitierte, geht hervor, dass danach einige Demonstranten den 17-Jährigen offenbar stellen und ihm die Waffe abnehmen wollten, woraufhin dieser stolperte, erneut feuerte und eine weitere Person getötet wurde. Die Proteste in Kenosha waren nach Schüssen in den Rücken eines Afroamerikaners bei einem Polizeieinsatz am Sonntag ausgebrochen. Dabei kam es auch zu Gewalttaten – Gebäude und Autos wurden angezündet.

Der 17-Jährige mit offiziellem Wohnsitz im benachbarten Bundesstaat Illinois stieß laut Augenzeugenberichten und im Netz veröffentlichten Videos zu einer Gruppe bewaffneter Zivilisten, die erklärten, Eigentum beschützen zu wollen. Einen Auftrag dafür hatten er nach derzeitigem Kenntnisstand nicht. Auch war er einige Minuten vor dem Vorfall von der Polizei aus der Kernzone der Demonstrationen verwiesen worden.

Ruhige Nacht in Kenosha

In Sozialen Medien war der junge Mann auch als Unterstützer der von Rechtsradikalen vereinnahmten Pro-Polizisten-Organisation Blue Lives Matter aktiv. Zudem ist er Unterstützer Präsident Donald Trumps, bei dessen Wahlveranstaltung im Februar er laut US-Medien in der ersten Reihe gesessen war. Ein Tiktok-Account des 17-Jährigen wird laut dem staatlichen US-Radio NPR von einer US-Flagge, einen Porträt Trumps und der Zeile "Ich will nur berühmt werden" geziert. Der Verdächtige wurde am Mittwoch in Illinois festgenommen.

In der Nacht auf Donnerstag blieb es in Kenosha weitgehend ruhig, wie der Sheriff und der Polizeichef der Stadt sagten. Zugleich teilte die Polizei mit, dass sie mehrere Personen aus einem anderen Bundesstaat festgenommen habe, weil sie den Verdacht hatte, dass diese Menschen "kriminelle Aktivitäten" am Rande der Proteste planten.

Handschellen für von Schüssen gelähmtes Polizeiopfer

Der am Sonntag bei dem Polizeieinsatz von sieben Kugeln schwer verletzte Familienvater Jacob Blake ist im Krankenhaus bei Bewusstsein, wie sein Vater der Zeitung "Chicago Sun-Times" sagte. Obwohl er von der Hüfte ab gelähmt sei, werde er mit Handschellen ans Bett gebunden, kritisierte Jacob Blake Senior.

Auf einem Video von dem Polizeieinsatz ist zu sehen, wie Blake zu seinem Auto geht, gefolgt von zwei Polizisten mit gezückten Waffen. Eine der Waffen ist auf seinen Rücken gerichtet. Als Blake die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, fallen die Schüsse. In dem Auto saßen Blakes Kinder im Alter von drei, fünf und acht Jahren.

Blake habe ein Messer in seinem Fahrzeug gehabt, hatte der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Wisconsin, Joshua Kaul, am Mittwoch gesagt. Das Messer sei auf dem Boden des Innenraums auf der Fahrerseite sichergestellt worden. Der Mann habe den Polizisten zuvor "zu einem bestimmten Zeitpunkt" gesagt, dass er ein Messer habe, sagte Kaul. In dem Auto seien keine weiteren Waffen gefunden worden. Kaul machte keine weiteren Angaben zum Ablauf des Zwischenfalls. Die Polizisten in Kenosha tragen noch keine Kameras am Körper. Der von Augenzeugen auf Video festgehaltene Ablauf des Zwischenfalls hatte Vorwürfe ungerechtfertigter, rassistisch motivierter Polizeigewalt ausgelöst.

Protestmarsch in Washington

Nicht zum ersten Mal in diesem Jahr: Ende Mai starb der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis, nachdem ihm ein weißer Polizist mehr als acht Minuten lang das Knie auf den Nacken gedrückt hatte. Floyd zu Ehren versammelten sich am Freitag Tausende Menschen in der US-Hauptstadt Washington zu einem Protestmarsch gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze. Die Demonstranten trafen sich unter dem Motto "Nehmt euer Knie aus unseren Nacken" vor dem Lincoln Memorial. Dort hatte vor genau 57 Jahren der Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede "I Have a Dream" ("Ich habe einen Traum") gehalten. (APA, red, 28.8.2020)