Viel Potenzial zur Nutzung erneuerbarer Energie, aber nicht die entsprechende Infrastruktur, kritisiert die Austrian Power Grid.

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Der Corona-Lockdown hat aufgezeigt, was möglich wäre: In den Wochen, in denen österreichweit die Produktion weitgehend heruntergefahren wurde und der Stromverbrauch um bis zu 15 Prozent sank, hätte Österreich punktuell bereits mit Strom aus 100 Prozent erneuerbarer Energie versorgt werden können. Wasser, Wind- und Solarenergie hätten ausgereicht, um den Bedarf zu decken. Dennoch wurde Strom aus Gasenergie im Wert von 100 Millionen Euro zugekauft, rechnete die Austrian Power Grid (APG) in einem Pressegespräch am Freitag vor.

Was war los? "Es fehlt an der Infrastruktur und den Netzen, um den Strom von Westen nach Osten zu verteilen", erläuterte Gerhard Christiner, technischer Vorstand der Verbund-Tochter APG. Die gute Wasserlage im Westen Österreichs konnte so nicht genutzt werden, da die Elektrizität nicht ausreichend vom Westen zu den Verbrauchszentren wie Linz, Wien oder Graz im Osten gebracht wird. Jeden zweiten, dritten Tag erlebe man, dass Strom aus dem Westen – oder sogar aus dem Ausland zugekaufter Strom – nicht in den Osten Österreichs fließe. "Wir sind heute nicht zukunftsfit", so das ernüchternde Resümee.

Kohlendioxidbelastung

Überdies wurden im vergangenen Jahr durch den Gaskraftwerkseinsatz zur Netzstützung – ohne den die Anlagen bei den aktuell niedrigen Strompreisen nicht marktfähig wären – laut Christiner eine Million Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen.

Die kritischen Stellen laut APG.
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Laut APG drängt die Zeit. "Wir haben die Alarmglocken schrillen gehört und machen uns ernsthafte Sorgen", so Christiner. Die Energiewende sei nur dann möglich, wenn auch der saubere Strom von A nach B fließen kann. Christiner bemühte dafür den Vergleich mit einem E-Auto, dem das Verbindungsglied zwischen Akku und Motor fehlt und das deshalb auf Hybrid umgesattelt werden müsse.

Günstiger Strom aus Westeuropa

In Österreich werde viel und gerne über erneuerbare Energie geredet und zu wenig in die Tat umgesetzt, kritisiert die APG. Aktuelle Bauvorhaben wie das umstrittene Projekt in Salzburg stocken, zukünftige Ausbauten werden trotz des neuen Standortsicherungsgesetzes nicht schnell genug in Angriff genommen. In diesem "fundamentalen Systemwandel" brauche es endlich mehr Verständnis dafür, dass die Energiewende gesamtheitlich gesehen werden müsse und nicht ohne ein starkes Netz gedacht werden könne, sagte der kaufmännische Vorstand Thomas Karral. Selbstverständlich bewege man sich dafür immer im Rahmen rechtsgültiger Bescheide. Was aber auch klar ist: Noch geht es ohne Elektrizität aus Gasenergie nicht dauerhaft.

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Karral betonte auch die Vorteile, die durch den Zukauf immer günstigeren Stroms aus erneuerbaren Energien aus dem Rest Europas entstehen würden. "Ohne Netzausbau laufen wir Gefahr, dass wir diese Einbindung verlieren. Das würde automatisch zu höheren Strompreisen in Österreich führen." Karral sprach von einer angepeilten Investitionssumme von rund drei Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre.

Standortfrage

Laut APG entwickelt sich die Situation in Österreich zunehmend auch zu einer Standortfrage. So wolle etwa die Voestalpine in Linz ihre Hochöfen ab 2026 gegen umweltfreundlichere Elektroschmelzöfen austauschen, um Stahl mit einem CO2-Fußabdruck von null zu produzieren. Sei aber keine Versorgungssicherheit gegeben, würden wohl die alten Hochöfen nachgerüstet oder überhaupt ein Standortwechsel in Betracht gezogen, so die Warnung. "Wenn wir einen Elektroofen einschalten, geht in Linz das Licht aus", warnte Voestalpine-Vorstandschef Herbert Eibensteiner bereits vor einem Jahr.

Pauschalkritik nicht gültig

Aus dem Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) heißt es auf STANDARD-Anfrage dazu auch, dass "das Stromnetz für die Energiewende umgestaltet werden muss". Das derzeitige System sei auf große Wasserkraftwerke und fossile Kraftwerke ausgerichtet, nicht aber für erneuerbare Energien. Das Ziel sei es aber nach wie vor Österreich bis 2030 ganzjährig mit 100 Prozent erneuerbarer Energie zu versorgen.

"Die pauschale Kritik der APG kann in diesem Fall nicht geteilt werden" heißt es dazu. Die APG habe Leitungsprojekte die aufgrund ihrer Größe lange Bauvorhaben darstellen, von denen manche früher und manche später abgeschlossen werden könnten. Mit dem dem neuen Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG), das 2021 in Kraft tritt, werde aber auch der österreichische Netzinfrastrukturplan gestartet. "Dieser ergibt sowohl Transparenz, als auch Planbarkeit für alle Beteiligten." (Fabian Sommavilla, 28.8.2020)