Spiritfarer
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Foto: Spiritfarer

In der griechischen Mythologie ist der mythische Fährmann Charon dafür zuständig, die Seelen der Verstorbenen über den Fluss Styx in die Unterwelt zu bringen. Am Beginn des soeben erschienenen Spiels Spiritfarer geht der düstere Geselle in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin ist das junge Mädchen Stella, das gemeinsam mit seiner Katze Daffodil das Geschäft übernimmt – nur ein bisschen anders, als das im Mythos beschrieben ist. In der Rolle Stellas sorgen Spielerinnen und Spieler fortan dafür, es den Sterbenden möglichst angenehm zu machen, ihre letzte Reise anzutreten.

Die Bewohner dieser Welt sind menschenartige Tierwesen und allerlei andere schräge Gestalten, die auf den Inseln eines großen, frei befahrbaren Archipels darauf warten, von Stella abgeholt und bei ihrem Abschied von dieser Welt begleitet zu werden. Bis sie bereit sind loszulassen, sind eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen und letzte Aufgaben zu erledigen, die sich nur schrittweise offenbaren. Die Passagiere auf dem stets ausbaubaren und immer weiter wachsenden Hausboot haben eigene Ängste. Vorlieben und Wünsche, die man den liebenswerten Originalen gern erfüllt. Wenn irgendwann die Reise eines Passagiers dem Ende zugeht, ist der finale Moment des Loslassens durchaus emotional.

Spielerisch gilt es in diesem Genremix, eine Menge Bälle in der Luft zu halten: Auf der Übersichtskarte wählt man den neuen Zielpunkt, während der Fahrt vertreibt man sich die Zeit mit Fischen, dem Ausbau des Hausboots zum schwimmenden Allround-Domizil samt Gärten, Werkstätten und Küchen oder dem Plaudern mit den netten Passagieren. Zu tun ist zwar immer etwas, doch in Stress artet das zum Glück kaum aus: Wie im entfernt verwandten Bauernhofspiel Stardew Valley droht kaum Zeitdruck, auch wenn es immer etwas zu tun gibt. Dank abwechslungsreicher Beschäftigungen und des einen oder anderen Minispiels wird einem die Zeit nie lang.

Bis nach 35 bis 40 Stunden das Spiel endet, erlebt man im den Entwicklern zufolge "gemütlichen Managementspiel übers Sterben" ein angenehm leichtfüßig dahinschipperndes, völlig gewaltloses Abenteuer, in dem die Sorge um die einem schnell ans Herz wachsenden Passagiere die zentrale Motivation ist. Die gut geschriebenen und aufwendig animierten Figuren sind jede für sich liebevoll ausgestaltete Persönlichkeiten, und ihre Wünsche und Aufträge reichen von besonderen Speisen über eigene Unterkünfte bis hin zu kleinen Missionen, in denen ein wenig Plattform-Geschick gefragt ist; in diesen werden die Erfahrungen des Entwicklers im Metroidvania-Genre besonders offenkundig. Die meiste Zeit ist man aber entspannt mit dem Sammeln verschiedener Ressourcen, dem Ausbau des Schiffs und dem Plaudern mit den Passagieren beschäftigt.

Thunder Lotus Games

Was ist gelungen?

Sowohl grafisch als auch akustisch ist Spiritfarer absolut hinreißend geraten. Der Zeichentrickstil mit seinen niedlichen, bis in kleinste Details humorvoll animierten Figuren ist einfach wunderschön. Neben seinem tollen Äußeren überzeugt das Spiel aber auch durch seine inneren Werte: So nahe sind einem virtuelle Figuren lange nicht gegangen. In Verbindung mit dem entspannten Rhythmus der angenehm abwechslungsreichen Aufgaben ergibt das ein gefühlvolles, durch und durch liebenswertes Stück Unterhaltung mit ungewöhnlichem Thema und ganz ohne Gewalt.

Was ist weniger gelungen?

Wer in Spielen dramatische Action und anspruchsvolle Herausforderungen sucht, ist hier fehl am Platz, aber auch für Spielerinnen und Spieler, die in ihren Managementspielen stets auf der Suche nach Effizienzmaximierung sind, bietet Spiritfarer nur wenige Freiräume. Manche Animationen kommen einem im Verlauf der hunderten Male, die man sie sieht, etwas zu lang vor, und andere Tätigkeiten, etwa das Kochen, sind in der Handhabung eher umständlich. Den – gut geschriebenen – Dialogen hätte die eine oder andere Kürzung nicht geschadet. Dass nach den ersten Stunden des Kennenlernens ein wenig Routine einkehrt, mag manche Spielerinnen und Spieler langweilen – für andere liegt genau darin ein Reiz dieses friedlichen Spiels.

Fazit

Das morbide scheinende Thema täuscht: Spiritfarer ist ein lebensbejahendes, gemütvolles und durch und durch liebenswertes Spiel, das einem durch seinen entspannten Rhythmus und seine tollen Charaktere ans Herz wächst. Dabei schafft es das Spiel, durchaus ernste, große Themen mit einer Komplexität zu behandeln, die nicht nur in diesem Medium selten ist. Ein Spiel, das lange im Gedächtnis bleibt und auf so mancher Liste der Besten des Jahres landen wird – zu Recht. (Rainer Sigl, 29.8.2020)