Shinzo Abe gab am Freitag seinen Rücktritt bekannt.

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Gerade erst stellte Shinzo Abe noch den neuen Rekord für die längste Amtszeit eines japanischen Premierministers auf. Da hatte er bald acht Jahre ununterbrochen regiert. Aber am Freitag hat der konservative Politiker seinen Rücktritt verkündet, obwohl ihm noch ein Jahr im Amt verblieben wäre. Eine chronische Darmentzündung sei wieder aufgeflammt, begründete der knapp 66-Jährige seinen überraschenden Schritt. Diese Krankheit hatte ihn schon bei seiner ersten Amtszeit 2007 zur vorzeitigen Aufgabe gezwungen.

Nun endet eine Ära: Als erster Regierungschef, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, trat Abe mit dem Versprechen an, die Nachkriegsordnung zu verändern und ein "starkes und blühendes" Land aufzubauen. Er wollte Japans weltpolitisches Gewicht erhöhen und sich gegen den Aufstieg von China zu Asiens Vormacht stemmen. Aber diese Ziele spalteten die Gemüter in Japan. Für die einen symbolisierte Abe ein chauvinistisches, ultrakonservatives und rückwärtsgewandtes Japan, da er keine Reue für den japanischen Krieg in Asien zeigen wollte. Die anderen betrachteten ihn als pragmatischen Reformer, der die Wirtschaft und das Bündnis mit den USA stärkte, damit Japan "niemals zu einer Nation zweiter Klasse absteigt", wie er es selbst formulierte.

Stabilität als Leistung

Seine erkennbare Leistung bestand darin, Japan nach Jahren mit ständig wechselnden Premierministern in ruhiges Fahrwasser zu lenken. "Die Herstellung von Stabilität war sein wesentlicher Erfolg", meint der deutsche Japan-Experte Sebastian Maslow. Nie in ihrer Geschichte waren die Reihen seiner Liberaldemokratischen Partei dichter geschlossen. "Zugleich ist es Abe wie nur wenigen vor ihm gelungen, die Bürokratie und die Presse effizient zu kontrollieren", sagt der Politologe. Daher konnte Abes Regierungskoalition stets eine Zweidrittelmehrheit erringen, zumal die Opposition zersplittert blieb. Auch mehrere Fälle von Vetternwirtschaft und Korruption konnten ihm nichts anhaben.

Zudem erzeugte ein jahrelanger Aufschwung Schönwetter. Seine "Abenomics" getaufte Wirtschaftspolitik schwächte über die Wertpapierkäufe der Notenbank die japanische Währung. Die Firmengewinne kletterten auf Rekordhöhen. Unter Abe schloss Japan Freihandelsverträge mit der EU sowie einer Gruppe von Pazifikstaaten ab und integrierte sich stärker in die Weltwirtschaft. Eine erleichterte Einreise ließ die Zahl der Touristen aus Asien explodieren. Seine Regierung führte erstmals spezielle Arbeitsvisa ein, um den Arbeitskräftemangel infolge der schrumpfenden Bevölkerung auszugleichen. Aber Schulden und Haushaltsdefizit steigen wegen der Corona-Pandemie nun wieder rasant. Das Gespenst der Deflation droht zurückzukehren, ganz so, als ob Japan wieder am Beginn der Abe-Zeit stünde.

Atomkraft und Moralunterricht

Die Wähler zahlten einen hohen Preis dafür, dass sie keine Experimente wagten. Der Premier hielt an der Atomkraft fest, obwohl Umfragen eine Mehrheit für den Ausstieg anzeigten. Japan führte Moralunterricht für mehr Patriotismus an den Schulen ein. Politischer Druck brachte kritische Stimmen in Medien und Universitäten zum Schweigen. Seinen Lebenstraum, die pazifistische Verfassung zu überarbeiten, konnte Abe zwar nicht verwirklichen. Aber er legte das Dokument neu aus. Nun können die Streitkräfte an Kampfeinsätzen an der Seite des Bündnispartners USA teilnehmen. Die Ausgaben für Verteidigung stiegen jedes Jahr.

Gegen starken Widerstand setzte seine Regierung auch ein Gesetz für den Schutz von Staatsgeheimnissen in Kraft. Zudem richtete Abe einen nationalen Sicherheitsrat ein und lockerte das Verbot von Waffenexporten. "Seine Nachfolger erben den stärksten Staat, den Japan seit 1945 hatte", sagt der US-Analyst Tobias Harris, Autor einer Abe-Biografie. Wer in die großen Fußstapfen tritt, entscheidet nun seine Partei. Zu den Favoriten gehören die Ex-Minister Shigeru Ishiba und Fumio Kishida sowie Verteidigungsminister Taro Kono. Als Übergangslösung gelten Kabinettssprecher Yoshihide Suga und Finanzminister Taro Aso. Laut japanischen Medien soll am 15. September feststehen, wer das Land künftig führen wird. (Martin Fritz aus Tokio, 28.8.2020)