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Bei einem Meeting in diesem Hotel in Boston trug sich im Februar 2020 einer der folgenreicheren Superspreader-Events zu.

AP/Elise Amendola

Superspreader-Ereignisse sind ein Charakteristikum der Corona-Pandemie. Laut einer üblichen wissenschaftlichen Definition kommt es dabei zur Ansteckung von zumindest acht Personen mit Sars-CoV-2. Forscher gehen davon aus, dass rund 80 Prozent der jeweiligen Neuinfektionen auf nur etwa zehn Prozent der Infizierten zurückgehen könnten.

Superspreader-Ereignisse gab es auch in Österreich, unter anderem im heimischen Corona-Hotspot Ischgl, wo tausende Covid-19-Infektionen in ganz Europa ihren Ausgang nahmen. Allerdings gab da es nicht ein einzelnes Ereignis, sondern es waren mehrere Personen in mehreren Lokalitäten (und eben nicht nur in der legendären Kitzloch-Bar), die dort für die Verbreitung sorgten, wie Forscherinnen und Forscher des CeMM der ÖAW und der Ages aus den "genetischen Fingerabdrücken" des Virus rekonstruieren konnten.

175 Teilnehmer, rund 100 Infizierte

Forscher in den USA haben nun aber den Fall einer einzigen Biotech-Konferenz in Boston rekonstruiert, die Ende Februar stattfand und auf die letztlich zehntausende Ansteckungsfälle – wenn nicht noch deutlich mehr – zurückgehen dürften. Dabei war das Meeting von Managern der Firma Biogen in einem Marriott-Hotel vergleichsweise klein: Es nahmen nur 175 Personen daran teil, von denen sich rund 100 infizierten.

Aufgrund des frühen Zeitpunkts Ende Februar gab es beim Meeting selbst so gut wie keine strengen Sicherheitsmaßnahmen, und auch danach konnte sich das Virus fast ungestört ausbreiten, wie das Team um Bronwyn MacInnis vom renommierten Broad Institute in der neuen, noch nicht fachbegutachteten Studie berichtet.

Verräterische Mutationen

Die Forscher sequenzierten für ihre Studie insgesamt 772 Sars-CoV-2-Genome von den ersten Covid-19-Infizierten aus dem Großraum Boston – unter anderem die Virusgenome von 28 Teilnehmern der Konferenz. Diese Genome hatten alle eine Mutation namens C2416T, die womöglich zuerst in Frankreich auftauchte von von dort nach Boston kam. Bei dem Meeting selbst passierte dann aber eine zweite Mutation, die in einem der Teilnehmer entstanden sein dürfte, wie die Forscher rekonstruierten.

Diese Version namens G26233T hat es in sich: Allein im Großraum Boston könnten es bis zu 20.000 Menschen gewesen sein, deren Covid-19-Infektion letztlich auf diese Person mit der Doppelmutation zurückgeht, wie die Genanalysen schließen lassen. Wie die Ausbreitung konkret geschah, ist allerdings unklar: So etwa fanden die Forscher die charakteristische Mutationen beispielsweise auch in 51 Proben eines Obdachlosenheims in Boston vom März.

Globale Verbreitung

Später wurde die Doppelmutation dann auch noch in verschiedenen US-Bundesstaaten gefunden, dazu in Australien, Asien, in Schweden und der Slowakei. Insgesamt tragen fast drei Prozent der sequenzierten Sars-CoV-2-Genome der USA und 1,7 Prozent der sequenzierten Sars-CoV-2-Genome weltweit die charakteristische Doppelmutation.

Der Firma Biogen war diese Sache nach Veröffentlichung der Studie sichtlich peinlich. In einer Aussendung hieß es: "Der Februar ist fast ein halbes Jahr her. Das war eine Zeit, in der das allgemeine Wissen über das Coronavirus begrenzt war. Wir hielten uns streng an die geltenden offiziellen Richtlinien und hätten selbstverständlich nie jemanden wissentlich in Gefahr gebracht." (Klaus Taschwer, 29. 8. 2020)