Die monumentale Wendeltreppe führt "fließend in den Betonzylinder, der die Etagen miteinander verbindet", wie Architekt Stefan Marte sagt.
Foto: Roland Horn

Berlin ist eine von vielen deutschen Städten, in denen man an jeder zweiten Ecke auf das Werk österreichischer Architekten trifft. Das Spektrum reicht von Hans Hollein und Gustav Peichl über Klaus Kada und die Ortner-Brüder bis hin zu Baumschlager Eberle und Berger Parkkinen. Mitten im Corona-Lockdown wurde im Zentrum von Berlin ein weiteres Werk österreichischer Architekten seiner Nutzung übergeben. Das Büro Marte Marte aus Feldkirch hat das Deutschlandhaus in Kreuzberg zum durchaus pikanten "Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung" umgestaltet.

Das Projekt ist politisch umkämpft, denn das Thema der Vertreibung von Millionen von Deutschen aus ihrer Heimat ist bis heute nur im Ansatz bewältigt. Die Arbeit an gesellschaftlich-historisch kontroversen Projekten scheint reizvoll: Erst unlängst schrieben Marte Marte Schlagzeilen, als sie den Wettbewerb zum Umbau des Geburtshauses von Adolf Hitler in Braunau gewannen. Vor politisch brisanten Bauaufgaben schrecken die Vorarlberger Architekten also nicht zurück. Warum sollten sie auch?

Pflege der ostdeutschen Kultur

Der Berliner Neubau der Stiftung liegt hinter den denkmalgeschützten Fassaden des Deutschlandhauses. Das Haus mit dem hochtrabenden Namen am Askanischen Platz in Berlin-Kreuzberg wurde 1931 von Richard Bielenberg und Josef Moser gebaut und nach Kriegsschäden wiederhergestellt. Es wurde in der Ära Adenauer zur "Pflege der ostdeutschen Kultur" bestimmt und einer Organisation der Heimatvertriebenen übergeben. Nach dem Mauerbau war es einer der ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge aus der DDR. Im Deutschlandhaus hatten die Landsmannschaften des Bundes der Vertriebenen ihre Büros – bis Ende 1999 ihre Förderung eingestellt wurde.

Beim Entkernen sind die Architekten an die Grenzen der konstruktiven Statik gekommen. Eine Lichtfuge trennt nun den Bestand von der Erweiterung für Dauer- und Wechselausstellungen. Im Mittelpunkt des Vorarlberger Beitrags zum Berliner Architekturpotpourri steht ein großer Saal mit zwei Fenstern, der derzeit noch mit einem Panoramablick auf das Zentrum von Berlin glänzt. Sobald jedoch die Ausstellung installiert und das Haus der Öffentlichkeit übergeben ist, wird er von schwarzen Vorhängen verschlossen. Dann muss der Raum mit seiner Betonästhetik ganz für sich allein wirken.

Vertriebene seit 1945

Die Gestaltung der Ausstellung übernimmt das versierte Atelier Brückner aus Stuttgart. Die Vorarlberger mussten also eine Black Box im wahrsten und übertragenden Sinne entwerfen und um eine Bibliothek, Veranstaltungsräume sowie einen sogenannten Raum der Stille ergänzen, der von Königs Architekten aus Köln gestaltet wird. "Das Zeitzeugenarchiv räumlich und gestalterisch in die Ausstellung einzubinden", sagt Gundula Bavendamm, Historikerin und Direktorin des Hauses, "war uns besonders wichtig. Auf diese Weise können wir unser Zentrum zu einem Forum für Bildung und Vermittlung ausbauen."

Der Raum mit seiner Betonästhetik muss ganz für sich allein wirken.
Foto: Roland Horn

Die Ausstellung wird aus drei Teilen bestehen, die sich über zwei Etagen erstrecken. Die Themen umfassen Zwangsmigrationen in Europa, Flucht und Vertreibung der Deutschen im europäischen Kontext sowie Vertriebene und Flüchtlinge in Deutschland seit 1945. Direktorin Bavendamm subsumiert die drei Teilbereiche, wie sie es nennt, unter dem gemeinsamen Nenner der "Europäischen Geschichte der Zwangsmigration". Zwänge bestimmen das Projekt in jedem Fall: Nach Querelen über die inhaltliche Ausrichtung des Zentrums und einigen Wechseln in der Kuratoriumsleitung, die zu diversen Verzögerungen im Projekt führten, soll das Museum nun im Sommer 2021 eröffnet werden. Dann liegt der österreichische Wettbewerbsgewinn genau zehn Jahre zurück.

Einer der Schwerpunkte des Projekts ist die Erschließung. Bernhard und Stefan Marte haben zwei imposante Treppen entworfen – eine breite Freitreppe und eine elegante Wendeltreppe. Schon seitdem Schinkel vor 200 Jahren in Berlin den Bautypus Museum erfunden hat, spielen die inszenierten Wege hinauf und hinein in ein Museum eine zentrale Rolle. Leider liegt die Haupttreppe bei Marte Marte im rechten Winkel zum Eingang. Diese unorganische Besucherführung ist einer Verlegung des Eingangs während des Umbaus geschuldet. Die monumentale Wendeltreppe führt dafür "fließend in den Betonzylinder, der die Etagen miteinander verbindet", wie Stefan Marte sagt.

Schlechtes Omen?

Die tausend Quadratmeter große Ausstellungshalle, die der Vorarlberger entworfen hat, birgt ein imposantes Tragwerk. Der Hauptraum wird von der gut 30 mal 30 Meter großen Sichtbetondecke überspannt, die nur an den drei Treppenhäusern und einem Aufzugsschacht in den Ecken aufgelagert ist – wie ein Tisch auf vier Beinen. "Schon im Wettbewerb zeigte sich, dass der Bestand des Deutschlandhauses als Ausstellungszentrum nicht funktionieren würde", sagt Marte. "Wir wollten deshalb nur das Wertvollste herausschälen."

Es ist kein Geheimnis, dass die Architekten die Ausstellung gerne selbst entworfen hätten, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Ausstellungsgestalter HG Merz. "Unser liberales Ausstellungskonzept sah keine strenge Route vor, sondern eher viele unterschiedliche Quereinstiege in den Parcours", sagt Stefan Marte. "Aber immerhin gibt es ein Happy End für den Hochbau, denn die Ausstellung ist vergänglich, die Zeit aber arbeitet für uns." Speziell die großen Panoramafenster und die schicke Wendeltreppe sollen laut Architekten auf jeden Fall frei und erlebbar bleiben.

Die beiden Marte-Brüder sind dafür bekannt, nach einem skulpturalen Ausdruck in der Architektur sowie nach schweren, reduzierten Formen zu suchen. Das ist ihnen in Berlin meisterlich gelungen. Ebenso wichtig ist den Vorarlberger Architekten der Kontext ihrer Entwürfe. Das urbane Umfeld jedoch dürfte sich in Zukunft dramatisch verändern. Schon bald wird ein Ministeriumshochhaus nebenan die Fassaden des Berliner Dokumentationszentrums verdecken. Hoffentlich kein schlechtes Omen. (Ulf Meyer, 30.8.2020)