Größer, moderner und informativer präsentiert sich das Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse 19. In Vitrinen wird Theorie verabreicht.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Der Warteraum in der Ordination von Sigmund Freud.

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Die Traumdeutung entstand im Hochparterre. Erst 1908 zog Sigmund Freud mit seiner Ordination ins Mezzanin des Gründerzeithauses, dessen Adresse zu den bekanntesten Wiens gehört: In der Berggasse 19 lebte der Begründer der Psychoanalyse schließlich 47 Jahre lang, bevor er vor den Nazis nach London emigrierte.

Als "finsteres Loch" beschrieb Freud die Räumlichkeiten im Hochparterre. Als es in der Wohnung einen Stock darüber zu einer Explosion kam und der dort arbeitende Uhrmacher auszog, dürfte Freud nicht unglücklich gewesen sein. Rechter Hand vom Stiegenhaus richtete er im Mezzanin seine neue Ordination ein, linker Hand waren seine Privaträume.

Räume mit Spuren

Beide Teile von Freuds Lebensmittelpunkt, sowie auch die Wohnung im Hochparterre, sind seit diesem Samstag erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich – bisher umfasste das Sigmund Freud Museum neben den Veranstaltungsräumen nur die Ordination Freuds. Über 100.000 Besucher zwängten sich im Jahr durch die wenigen erhaltenen bzw. dank der berühmten Fotografien von Edmund Engelmann teilweise rekonstruierten Räume.

Zeitgemäßen Ausstellungsstandards entsprach das Museum schon lange nicht mehr. Mit der Verdoppelung der Ausstellungsfläche auf 550 Quadratmeter, dem neuen Foyer mit Shop und Café und der Neugestaltung der "Bibliothek der Psychoanalyse" in der Beletage holte man jetzt unter Federführung von Architekt Hermann Czech Versäumtes nach. Sein Anspruch: die Räumlichkeiten als Museum ihrer selbst darzustellen, mitsamt den Spuren, die ihre Bewohner darin hinterließen.

Die Leere ist also Konzept: Während man an den Wänden Einzelheiten über die Funktion der Räume erfährt, eröffnen Vitrinen Einblicke in Freuds Schaffen. So wird passenderweise im Bad über Freuds Sexualtheorie referiert, im Schlafzimmer über die Traumdeutung. Wie dieses genau ausgesehen hat, davon gibt es keine fotografischen Dokumente. Ein schneller Schwenk eines Home-Videos von Freuds "Prinzessin", der Freudianerin Marie Bonaparte, liefert aber eine Ahnung von der massiven Bettstatt samt tapezierter Bank, in der sich Freud gewälzt hat.

Keine Rekonstruktion

Statt Details oder Interieurs zu rekonstruieren liefern die Ausstellungsmacher Schnipsel aus Freuds Leben und Schaffen, die am Originalschauplatz frei kombiniert werden können. Die Erinnerungsarbeit umfasst dabei auch die Geschichte der Räumlichkeiten selbst. Wie andere Wohnungen des Hauses wurde auch jene von Freud als Sammelwohnung für jüdische Familien genutzt, bevor sie in KZs deportiert wurden. Die Namen der Zwischenbewohner sind im neu geschaffenen Stiegenhaus aufgelistet.

Dieses ermöglicht erstmals einen Rundgang durch alle Räume, auch jenen im Hochparterre. Einstweilen ist hier eine Ausstellung mit Konzeptkunst untergebracht. Irgendwann soll dort aber die Dauerausstellung ihre Fortsetzung finden. Immerhin hat in Freuds erster Ordination alles begonnen. (Stephan Hilpold, 28.8.2020)