Als der Filmemacher David Lynch 1965 Kunst studierte, in Pennsylvania, beschloss er, nach Europa zu reisen, mit seinem Freund Jack Fisk, der später einige seiner Filme ausstatten sollte. Lynch und Fisk waren aber noch weit vom Film entfernt, sie waren noch halbe Jugendliche, 19 Jahre, die alles ausprobierten, was ihnen das Leben so anbot, und weil ein Freund von ihnen ein Reisebüro hatte, konnte er für sie Freiflüge organisieren, unter der einzigen Bedingung, eine Gruppe offensichtlich hilfloser Mädchen am Flughafen in Empfang zu nehmen und zum Flugzeug zu bringen.

"Ich treffe zufällig David Lynch in Salzburg auf der Straße, ich spreche ihn an, ich bin verwundert, dass er hier ist, dass er es trotz Corona hierhergeschafft hat, ausgerechnet Salzburg ..."
Foto: Der Plankenauer

Lynch und Fisk wollten nach Europa, weil sie von der Internationalen Sommerakademie in Salzburg gehört hatten, Oskar Kokoschkas "Schule des Sehens", das war, was sie interessierte, in der künstlichen Kulisse des aseptischen Films The Sound of Music, aber Lynch erinnert sich: "Ich wusste ziemlich bald, dass ich dort nicht arbeiten wollte", zumal Kokoschka schon zwei Jahre nicht mehr dort das Sehen lehrte.

Sie kamen zwei Wochen vor Beginn der Sommerakademie in Salzburg an und konnten sich mit der Stadt überhaupt nicht anfreunden, sie wussten dort nichts mit sich anzufangen, Fisk sagt: "Wir hatten zusammen ungefähr 250 Dollar, David liebte Coca-Cola und Marlboro-Zigaretten, er ernährte sich davon, Cola und eine Schachtel Marlboro kosteten jeweils einen Dollar. Ich schaute mit Schrecken zu, wie unser Geld dahinschmolz." Sie hielten zwei Wochen durch. Außerdem empfanden sie Salzburg als zu sauber, damals war für Lynch ein großer Einfluss für seine Kunst eher die Räudigkeit Philadelphias, einer Stadt voller Furcht, Wahnsinn, Korruption, Verfall, Gewalt, in jeder Ritze des Fußbodens lauerte eine Bedrohung, er liebte stampfende und dampfende Fabriken, in denen die Maschinen atmen und die Menschen den Maschinen dienen.

Fundamente der Gesellschaft

Heute, 55 Jahre später, treffe ich zufällig David Lynch in Salzburg auf der Straße, ich spreche ihn an, ich bin verwundert, dass er hier ist, dass er es trotz Corona hierhergeschafft hat, ausgerechnet Salzburg, und er murmelt etwas davon, dass er nicht darüber reden wolle und könne, aber war überrascht, dass ich wusste, dass er vor exakt 55 Jahren schon einmal hier war. Wir setzten uns auf eine Bank vor der ehemaligen Nationalbank in der Franz-Josef-Straße, ich sage, ich hole uns zwei Coladosen, als ich zurückkomme, hat er bereits zu rauchen begonnen.

Ich und Lynch bei Fisch Krieg in Salzburg.
Foto: Tex Rubinowitz

Ich sage ihm, dass ich an der Sommerakademie beschäftigt bin, was genau ich dort mache, wusste ich selbst nicht genau, irgendwas wird es schon sein, und dadurch sieht man die Stadt auch anders, man ist Teil der Stadt, Teil auf Abruf, und dadurch verändere sich auch das Sehen, man nimmt die Stadt anders wahr, die Details, aus denen so eine Stadt wie Salzburg besteht, ich frage ihn, ob ihm die verwitterten Bodenpiktogramme aufgefallen sind, überall, ich zeige ihm ein paar Fotos, die ich mit meinem kleinen Nokiafon aufgenommen habe, er nickte, rauchte und sagte, dass das eine nicht uninteressante Serie sei, dass unter einer scheinbaren Sauberkeit und Sicherheit die Fundamente der Gesellschaft korrodieren, er sehe jetzt, was er damals vielleicht gar nicht sehen wollte.

Ich erzähle ihm, dass der amerikanische Künstler Donald Baechler, der an der Sommerakademie 2004 unterrichtet hätte, diese Figurengruppen ebenfalls fotografiert hätte und sie in seine Bilder integriert hätte, immer darauf bedacht, die Vergänglichkeit so einzufangen und abzubilden, dass es "gewachsen" aussieht, nicht künstlich patiniert, und darin sei er ein solitärer Meister, wie ich finde, Lynch nickte, ja, das sei er, er bewundere Baechler. Das Rohe und das Ungelenke und Unheimliche, das könne er gut jagen und sammeln.

Als wir unser Cola ausgetrunken hatten, sagte ich, ich müsse jetzt rauf auf die Festung, ob wir uns in den nächsten Tagen wieder mal sehen könnten, ich könnte ihn ja auch mal mitnehmen, er nickte, sagte: "Ja, gerne und danke für die Cola."

David Lynch 1965 in Salzburg

Als David Lynch 1965 in Salzburg war, hat er nicht nur knapp Oskar Kokoschka verpasst, sondern auch die Beatles, sie waren im März in der Stadt, um gleich weiter nach Obertauern zu fahren, wo sie Teile des Films Help drehten, sie sollten Ski fahren, was sie natürlich nicht konnten, dafür hatten sie Doubles, die jeweils 1000 Schilling bekamen, während ihre Perücken alleine schon 25.000 Schilling kosteten. Das erzähle ich ihm, während wir bei Fisch Krieg sitzen.

Ich hatte den Ort vorgeschlagen, ich dachte, der durchs Dach wachsende Baum würde ihn beeindrucken, ja, sagte er, wunderbar, es wäre schön, wenn der Baum das Lokal auch noch mit in die Höhe heben könnte, dass die Fische wie Vögel auf den Ästen sitzen. Aber er wollte mehr von den Beatles wissen, wie das war in Salzburg. Ich sagte, na ja, viel gäbe es nicht an Dokumenten, bei der Pressekonferenz im Hotel wurden sie gefragt, was sie von Österreich und Mozart wüssten, worauf John Lennon meinte: "Mozart? Wunderbar. Wie geht es ihm?"

"Alonzo Tuske hates the Beatles!"
Foto: Tex Rubinowitz

Lynch fragte mich, ob ich Alonzo Tuske kenne, ich verneinte, und er erzählte, dass Alonzo der Beweis dafür wäre, dass Tapferkeit einsam macht, der tapfere Alonzo stand einsam inmitten von 5000 kreischenden Fans und 200 Journalisten auf dem Rollfeld des New Yorker Flughafens, als die Beatles am 7. Februar 1964 zum ersten Mal amerikanischen Boden betraten, Alonzo trug ein Plakat auf dem ALONZO TUSKE HATES THE BEATLES stand.

Ich sage, das ist seltsam, denn Tuske war offenbar ebenfalls in Salzburg, man findet, wenn man genau schaut, immer wieder seinen Namen, zum Beispiel hier im Fisch Krieg auf der Toilette, und oben auf der Festung hätte ich das auch schon gesehen.

Lynch ist begeistert, wir gehen gemeinsam aufs Klo, ich möchte ihm den Schriftzug zeigen, und ich lade ihn ein, mit mir auf die Festung zu kommen, für eine weitere Spurensuche. Als wir uns vor dem Fischladen verabschieden, erzählt er mir noch von Tuli Kupferberg, dem 1923 geborenen Beatnik, auch er hatte einen speziellen Zugang zu den Beatles, er nahm eine Platte auf, auf deren Cover eine Zeichnung der Beatles einen Agenten zeigt, der sie fragt: "What else do you do?", in einem Song Tulis dann die logische Gegenfrage auf ein bekanntes Lied von Paul: "Why don’t we do it in the bed?"

Ich zeige ihm Fotos in meinem Nokiahandy.
Foto: Tex Rubinowitz

Und ich erzählte, dass im März 2006 die offizielle Homepage der amerikanischen Band Residents, die bei Auftritten über ihren Köpfen stets riesige Augäpfel aus Pappmaché gestülpt haben, ihre Bandmitglieder "John, Paul, George and Reingold" benannte, womit eine Spekulation aus den 70er-Jahren wieder aufgegriffen wurde, der zufolge sich die Beatles hinter den Residents verbergen würden. Lynch gab mir noch eine Frage zum Abschied mit auf den Weg: "Ob Alonzo Tuske auch Mozart gehasst hat?"

PS: Ich werde stattdessen Filme machen

Auf der kurzen Fahrt rauf zur Festung erzählt mir David Lynch, warum er es mit der Kunst gelassen hat, nicht ganz, aber zumindest mit dem Studium. Im Herbst 1967 beschloss er; nicht mehr weiterzustudieren, und schrieb einen Brief an die Schulleitung, in dem er seinen Entschluss begründete: "Ich werde mein Studium nicht mehr aufnehmen, aber ich werde ab und zu mal vorbeikommen, um eine Cola zu trinken.

"Keine uninteressante Serie", sagt Lynch.
Foto: Tex Rubinowitz

Ich habe leider nicht genug Geld, und mein Arzt sagt, ich sei allergisch gegen Ölfarbe. Ich bekomme ein Magengeschwür und Bandwürmer zusätzlich zu meinen Magenkrämpfen. Ich habe keine Kraft mehr, meine Arbeit an der Kunsthochschule gewissenhaft fortzusetzen. Herzliche Grüße, David. PS: Ich werde stattdessen Filme machen." Er sagt dann noch diesen einen irritierenden, irisierenden Satz: "Mit dem Mund voller Sand sagt man nicht ICH LIEBE DICH."

Er lächelt und ich glaube, ihn zu verstehen. Wir waren kurz vorher bei der Anselm-Kiefer-Ausstellung bei Thaddaeus Ropac. Die üblichen Materialschlachten aus Blei, Sand, Stroh. Lynch sagt, er verstünde die Attitüde, das vorsätzlich Schwere, dem Pathos fehle aber irgendein Trick, der den Pomp vom Kitsch zu trennen in der Lage ist, den Künstler und das Werk zu mögen. Und er erzählt, dass er mal bei Silvester Stallone einen Kiefer habe hängen gesehen und dass ihm Sly erzählt hätte, dass sich das Werk dematerialisieren würde. Stallone habe dafür 1,7 Millionen Dollar bezahlt!

Ein Polizistensohn

Es war Stroh drauf. Kiefer hat das Stroh mit Klebstoff befestigt. Zu Hause dachte er: Scheiße, was liegt da unterm Bild? Stroh. Jeden Tag ein neuer Halm. Er rief den Händler an und sagte: "Der Kiefer haart." Sagte der Händler: "Mister Stallone, das muss so sein, das Bild geht durch eine Entwicklung, das Bild lebt." Stallone dachte, er werde verrückt. 1,7 Millionen Dollar! Aber er hätte die Halme wieder drangeklebt. Jeden Tag lag ein Halm unten, er hin, Klebstoff, Halm wieder dran. Eine Co-Produktion von Anselm Kiefer und Sylvester Stallone. Und wieder sagt er lächelnd den rätselhaften Satz "Mit dem Mund voller Sand sagt man nicht ICH LIEBE DICH".

Ich werde ab und zu vorbeikommen ...
Foto: Tex Rubinowitz

Kunst sei eine Geliebte oder ein Freund, aber dann gibt’s noch Prostituierte, Callboys, Galane, Stepptänzer, Jongleure. Das müsse man herausfinden und erkennen, sonst können man es gleich lassen mit der Kunst.

Ich frage ihn, ob er Erwin Wurm kenne, auch ein Ropac-Künstler, er sagt: Ja, den würde er kennen, er wisse, was der macht, ein Polizistensohn, der auch nur das Pech hat, immer Polizistensohn bleiben zu müssen. Kiefer, Wurm, Jackson Pollock aber auch, das sei Dekorationskunst, die an der eigentlichen Kunst vorbeiginge, Kunst für Leute, die Kunst im Grunde hassen, lieblose Ware. Hätten doch diese Leute einen richtigen Beruf ergriffen, Sattler, Hufschmied oder ein Nagelstudio betrieben. In dem Moment, als ich ihn fragen wollte, ob er der Meinung ist, dass Günther Uecker auch besser ein Nagelstudio hätte eröffnen sollen, hat die Bahn die Festung erreicht, wir steigen aus, und ich hab meine eigene Pointe vermasselt. Vielleicht hab ich ja auch den Mund voller Sand. (Tex Rubinowitz, 28.8.2020)