Hinter dem Wiener Westbahnhof ist derzeit wenig los, nur einzelne Jogger verirren sich hierher. Auf dem Streifen links von den Gleisen könnte ein riesiger Park inmitten der Stadt entstehen.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Mit ein bisschen Fantasie und Vorstellungskraft gelingt das Experiment. Ein riesiger Park, urwaldartige Bäume, kühle Schattenplätze und nicht nur irgendein Badeplatz, sondern der längste Pool Europas. So ungefähr klingt die Traumvorstellung von BLA, dem Büro für lustige Angelegenheiten. Ihr Anliegen ist in der Kernforderung allerdings ernst: Das Architektenkollektiv will das Westbahnhofareal in eine riesige Grün- und Erholungszone verwandeln.

Regelmäßig werden hier Führungen für Interessierte angeboten, damit Anrainer in die Traumwelt einer möglichen grünen Lunge eintauchen können. Während einige Ideen mit zwinkerndem Auge vorgestellt werden, ist die Hoffnung auf mehr Grünraum in der Stadt begründet.

Traum von der Oase

Auf der Fläche von rund 70.000 Quadratmetern und einer Länge von 1,4 Kilometern stehen auf dem Areal hinter dem Westbahnhof zurzeit einige Züge, Lagerhallen füllen das größtenteils versiegelte Gelände, das den 15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus, zweiteilt. Das Surren der Züge ist zu hören, die riesige Fläche ist beinahe menschenleer. Künftig soll hier – zumindest wenn es nach den Architekten geht – eine Oase entstehen.

Die Architekten von BLA, dem Büro für lustige Angelegenheiten, haben große Pläne für das Westbahnhofareal.
Foto: Regine Hendrich

Westbahnpark hat das Kollektiv seine Vision getauft. Auch für das Stadtklima wäre die Grünfläche vorteilhaft, erklärt BLA-Architektin Karoline Seywald: "Die Schneise würde frische Luft vom Wiener Wald in die innere Stadt bringen." Davon würde nicht nur der 15., sondern auch die umliegenden Bezirke profitieren.

Bezirk der Rekorde

Bedarf für mehr Grün gibt es in der Gegend durchaus. Denn Rudolfsheim-Fünfhaus ist ein Bezirk der Rekorde – nicht nur positiver. Der 15. ist der am dichtesten besiedelte Außenbezirk Wiens. Der Stadtteil ist zudem jener mit dem geringsten Durchschnittsalter und auch mit dem niedrigsten Einkommen. Pro Quadratkilometer wohnen hier 20.474 Einwohner – viermal so viele wie in der Inneren Stadt, rechnen die Architekten vor. Dabei stehen jeder Person nur gut drei Quadratmeter Grün- und Freiraum zur Verfügung. Das Ziel der Stadt Wien liegt bei acht Quadratmetern. Parkplätze gibt es hingegen zur Genüge – und das, obwohl es in keinem anderen Bezirk weniger Autos pro Einwohner gibt.

Derzeit ist der Großteil der Fläche hinter dem Westbahnhof versiegelt.
Foto: Regine Hendrich

"Es ist uns wichtig, dass der Park über die gesamte Länge verläuft, damit der ganze Bezirk mit Grünraum versorgt wird", sagt Seywald. Derzeit sind die beiden Hälften des 15. nur mit wenigen Brücken verbunden, nicht alle sind barrierefrei. Der Bahnverkehr soll dabei keinesfalls verdrängt werden, heißt es bei BLA, vielmehr soll ein Park neben den Gleisen entstehen.

Zwei Jahre Arbeit am Projekt

Seit knapp zwei Jahren feilt das Kollektiv an dem Projekt, erzählt Mitinitiatorin Lilli Lička. Das Kollektiv wollte früh mit Ideen vorstoßen, bevor das Areal, das im Besitz der ÖBB liegt, einfach verplant werde. "Wir müssen in die Köpfe hineinpflanzen, dass die übliche Vorgangsweise – möglichst gewinnbringend verkaufen, möglichst dicht bebauen, möglichst einfach umsetzen – nicht die einzige ist", sagt die Boku-Professorin für Landschaftsarchitektur. Vielmehr wolle man in den Diskurs mit Anrainern treten, Ideen einbringen und das Areal aktiv mitgestalten. In ihrer Vision gibt es neben Grün- und Erholungsgebieten auch Platz zum Wohnen – etwa dort, wo jetzt noch ein Parkhaus am Westbahnhof steht.

Mittlerweile wurde eine Onlinepetition gestartet, um das Vorhaben politisch voranzutreiben. Auch Gerhard Zatlokal, der seit 2008 Bezirksvorsteher von Rudolfsheim-Fünfhaus ist, hat diese unterschrieben. "Ich unterstütze den Westbahnpark voll und ganz", ist dort von dem SPÖ-Politiker zu lesen. "Gerade hier, wo es wenig Grünflächen gibt und die Klimakrise immer neue Hitzerekorde produziert, brauchen wir dringend benötigte Erholungsbereiche mit Bäumen und Wasser."

Wichtige Bahnstrecke für Pendler

Bei der Stadt Wien weiß man von den Ideen des Architekturbüros. Einfach sei die Umsetzung allerdings nicht, heißt es dort. Der Westbahnhof liege an der Strecke mit dem größten Wachstumspotenzial, sagt Bernhard Steger, Leiter der MA 21A, die für die Stadtteilplanung und Flächennutzung verantwortlich ist. Die Beibehaltung der bestehenden Kapazitäten sei essenziell, "das schränkt manche Entwicklungsmöglichkeiten logischerweise ein".

Der längste Pool Europas soll hier entstehen, träumen die Architekten.
Foto: Regine Hendrich

Anders als beim Haupt- oder Nordbahnhof, wo große Flächen zur städteplanerischen Neugestaltung frei wurden, sei die Lage am Westbahnhof anders: "Die Funktion als Eisenbahntrasse wird massiv ausgebaut werden", sagt Steger. "Wir wollen uns die klimapolitisch notwendige Verkehrswende nicht dadurch verbauen, dass man Flächen wegnimmt." Während in Wien rund 75 Prozent mit Öffis unterwegs sind und der Rest mit dem Auto, sei die Situation bei Pendlern umgekehrt. Deshalb sei die Westbahnstrecke für eine klimaverträgliche Mobilität wichtig, erklärt Steger. Zudem würden die Gleise nicht nur für den Verkehr benötigt werden, sondern auch für Wartung, Reinigung und Lagerung.

Verbesserte Verzahnung

In einigen Punkten stimmen die Ansichten der Stadt Wien aber durchaus mit dem Architekturkollektiv überein. "Die Verzahnung der beiden Stadtteile muss verbessert werden", sagt Steger. Und auch die Schaffung von Grün- und Freiräumen in jener dicht verbauten Gegend sei wichtig. Falls Wien weiter so stark wächst, sei das Areal "ein prädestiniertes Gebiet" – auch für die Schaffung von leistbarem Wohnraum.

Grünfläche könne auch aus Sicht der Stadt Wien in jenem Bereich entstehen, der derzeit nicht vom Schienenverkehr gebraucht wird. "Wir werden uns damit beschäftigen", sagt Steger. Die Vorlaufzeit für solch große Projekte sei allerdings lange, warnt der Stadtplaner und spricht von zehn bis zwanzig Jahren. Die Stadt führe jedenfalls laufend Gespräche mit den ÖBB und hofft, dass es zu einer Zwischennutzung kommt.

Flächen werden frei

Bei der Eigentümerin, der ÖBB, heißt es auf Nachfrage, dass jener Teil zwischen Westbahnhof und Schmelzbrücke nach 2030 "frei" werde; der dahinterliegende bis zur Johnstraße "könnte bereits früher verwertet werden". Was genau damit gemeint ist, könne man noch nicht sagen, erklärte ein Sprecher dem STANDARD, da die weitere Nutzung noch "sehr unkonkret" sei. Insgesamt bedarf es für die Gegend einer städtebaulichen Gesamtbetrachtung, heißt es auch bei den Bundesbahnen. "Der Beginn einer solchen kann frühestens mit 2021 erwartet werden."

Noch ist der Westbahnpark also Zukunftsmusik. Ein wenig wird das Areal bereits jetzt genützt. Einzelne Jogger verirren sich auf die lange Gerade neben der Felberstraße; abends finden sich Pärchen auf den Brücken wieder, um den Sonnenuntergang zu genießen. Tatsächlich ist es in der Mulde deutlich kühler als an der angrenzenden Felberstraße. Noch träumt das Kollektiv: "Wir gehen gerade am Schwimmbad vorbei", sagt Seywald, "das ist 1,2 Kilometer lang." Hier bleibt der Regionalzug aus Niederösterreich stehen, erklärt die Architektin und zeigt auf die Schienen. Landwirte können ihre Produkte entlang der Westbahn in den Zug laden und hier direkt verkaufen. Weiter drüben stehen Sporthallen, fährt Seywald fort und deutet Richtung Westen. "Und ein Kindermuseum gibt es auch." (Nora Laufer, 30.8.2020)