"Was Sie da hören, ist die Blutpumpe", sagt Manfred Huber. Die Pumpe saugt mit monotonem Dröhnen den rotbraunen, dickflüssigen Saft in den Boden der Schlachthalle im Mühlviertel. Über den Gittern, unter denen das Blut in einer Vertiefung gesammelt wird, hängen drei tote Rinder. Ihr Hals klafft weit offen, die Körper zucken noch leicht. Das ist nicht schön. Aber wer ein Problem mit Blut hat, der sollte wahrscheinlich in keinen Schlachthof gehen.

Auf dem Biohof Habich in Aderklaa vor den Toren Wiens leben die Tiere auf der Weide, sie dürfen ihr natürliches Verhalten ausleben.
Foto: Nikolaus Ostermann

Die Schlachtung von Nutztieren ist ein Vorgang, über den man sich im Normalfall lieber nicht zu viel Gedanken macht. Wenn er in die Schlagzeilen gerät, dann meistens negativ. Zuletzt steckten sich im Mai über 1000 Menschen in den Hallen des deutschen Großschlachters Tönnies mit dem Coronavirus an.

Liest man über die industrielle Großschlachtung, stolpert man automatisch über absurde Zahlen, die sich der Vorstellungskraft entziehen. Bei Tönnies werden allein am Standort Rheda-Wiedenbrück 8000 Schweine pro Schicht geschlachtet, knapp 16 pro Minute. In der Zeit, die man braucht, um diesen Artikel zu lesen, sterben in Rheda-Wiedenbrück 96 Schweine.

Persönlich und schonend

In Österreich sind die Zahlen etwas fassbarer. Hierzulande gibt es aktuell noch etwa 200 Schlachthöfe, Tendenz fallend. Etwa fünf Millionen Schweine und 700.000 Rinder werden pro Jahr geschlachtet.

Wenn der Mensch Fleisch essen will, dann muss er Tiere töten. Doch wie geht das am besten? Oder wahrscheinlich ehrlicher: Wie geht das am wenigsten schlecht?

Aderklaa vor den Toren Wiens. Vinzenz Harbich bindet sich die vorgeschriebene weiße Schürze vor. Der großgewachsene 36-Jährige mit dem Bart würde auch als Barkeeper in Wien-Neubau nicht auffallen. Seit knapp 15 Jahren führt er mit seiner Frau Julia den Biohof Harbich.

Drei Kalbinnen warten draußen im Anhänger, der so geparkt ist, dass die Tiere von dort direkt in den Schlachtraum geführt werden können. Eine Kalbin ist ein Rind bis zur Geburt ihres ersten Kalbs. Die Tiere im Anhänger sind 1,5 Jahre alt und jeweils knapp 500 Kilo schwer.

Wer nicht auf dem Land aufwächst, hat selten die Möglichkeit, die Tötung eines größeren Tieres beobachten zu können. In der Theorie ist das recht einfach: Der Kopf eines Rindes wird fixiert. Danach wird ihm mit einem Bolzenschussgerät eine Patrone ins Gehirn gejagt, die zentrale Hirnteile zerstört und es so betäubt. Das Rind wird an einer Kette in die Luft gezogen, ein tiefer Schnitt in den Hals führt zum Tod durch Blutverlust.

Wenn der Mensch Fleisch essen will, dann muss er Tiere töten. Doch wie geht das am besten? Oder, ehrlicher: Wie geht das am wenigsten schlecht?
Foto: Nikolaus Ostermann

Den Vorgang live und unmittelbar zu sehen ist dann aber doch noch einmal etwas anderes. Nach dem Bolzenschuss fällt das Tier zu Boden, der gewaltige Körper zuckt, das sind die Reflexe. Es geht schnell und ist unblutiger als gedacht. Aus dem Schnitt in der Halsschlagader ergießt sich ein Schwall aus Blut, der schnell schwächer wird. In knapp einer Minute ist auch ein 500-Kilo-Rind blutleer.

Die Rinder bei den Harbichs leben ein gutes Leben. Sie stehen draußen frei auf der Weide, dürfen ihre Hörner behalten und ihr natürliches Verhalten ausleben. Die Schlachtung verläuft ruhig, es ist klein und persönlich. Die Tiere kennen die Harbichs, werden deshalb nur leicht nervös. Alles soll schnell und schonend vonstattengehen.

Gutes Gewissen

"Für uns ist es wichtig, dass wir alles selbst machen", sagt Harbich. "Wir wollen das Fleisch mit gutem Gewissen verkaufen können." Er erklärt geduldig, wo welches Fleischstück hängt, der Geruch von Eisen hängt in der Luft. Ab dem Kehlenschnitt dauert es 45 Minuten, bis die beiden Rinderhälften in die Kühlkammer geschoben werden.

Harbich hat das Schlachten auf der Landwirtschaftlichen Schule gelernt, den eigenen – behördlich abgenommen – Schlachtraum auf dem Hof gibt es seit 2012. Das Fleisch der Kalbinnen landet nicht im Supermarkt, sondern wird im Hofladen vertrieben. Die Hofschlachtung gibt es Österreich mittlerweile häufiger. Sie ist für den Eigenbedarf erlaubt, wobei der Hofladen darunter fällt. Der Vorteil für die Tiere: Die langen Transportwege entfallen. Die sind ein Problem, auch weil es um mehr geht als die reine Fahrzeit.

Ein Schlachttag umfasst das Einfangen, Verladen, Ausladen, das Warten auf den Tötungsvorgang. Im Detail ist das alles aber wie so oft komplizierter. "Für die Tiere ist der Verlade- und Abladeprozess meist der stressigste Part", sagt Jean-Loup Rault. Der Franzose leitet das Institut für Tierschutzwissenschaften und Tierhaltung der Vetmed-Uni Vienna. "Ob die Fahrt dann zwei oder drei Stunden dauert, ist nicht so entscheidend." Und doch lässt sich natürlich als Faustregel festhalten: Weniger und kürzere Schlachttransporte sind eine gute Sache.

Mobile Schlachtanlagen

Kematen in Tirol. Auf dem Oberländerhof herrscht geschäftiges Treiben. 276 Hühner wurden am Morgen auf der Weide gefangen, jetzt warten sie in Boxen auf das Unvermeidliche. Man hört gelegentlich ein lautes Gackern, und dann hört man auf einmal kein Gackern mehr.

Die Schlachtung auf dem Biohof Harbich verläuft ruhig, es ist klein und persönlich. Es geht schnell, die Tiere werden vor der Schlachtung möglichst keinem Stress ausgesetzt.
Foto: Nikolaus Ostermann

Anders als die Harbichs hat Matthias Mayr – ein Mann mit der beeindruckenden Statur eines ehemaligen Footballspielers – normalerweise keinen Schlachtraum auf seinem Hof. Heute steht aber eine mobile Schlachtanlage hier, ein circa sechs Meter langer und zweieinhalb Meter breiter Anhänger. Das Projekt des Maschinenrings ist gerade in der Pilotphase und soll Transporte unnötig machen. Das ist nicht nur gut für den Tierschutz, sondern hat auch ökonomische Gründe. Die Tiroler Landwirtschaft ist sehr kleinstrukturiert. "150 Hühner zu einem Schlachthof zu karren, das lohnt sich kaum", sagt Mayr, der halbtags bei der Landwirtschaftskammer als Geflügelberater arbeitet. In Zukunft, wenn sich genug Bauern anmelden, soll das Schlachtmobil deshalb Termine in abgelegenen Gegenden gesammelt anfahren.

Mobile Schlachtanlagen hatten es in Österreich zunächst schwer. "Lange Zeit standen die Behörden auf dem Standpunkt, dass sie verboten seien", erklärt Regina Binder, Tierrechtsexpertin an der Vetmed-Uni Vienna. "Ich habe das immer bezweifelt, sogar einmal eine Stellungnahme dazu verfasst." Mittlerweile sehen die Behörden das anders, in Oberösterreich wie Tirol gibt es erste Pilotprojekte.

In dem mobilen Schlachthof werden die Hühner mit dem Kopf in eine Maschine gehalten, die sie mit Strom betäubt. Danach kommen die bewusstlosen Tiere kopfüber in Metallzylinder an der Wand. Der Kopf baumelt unten aus der Öffnung und wird mit einem beherzten Schnitt abgetrennt, 276-mal an diesem Tag. Die Verarbeitung der Hühner erfolgt gleich im Anhänger, die beiden Schlachter schaffen etwa 50 bis 60 Tiere in der Stunde. Am Ende hat man ein Grillhuhn, wie man es optisch aus dem Supermarkt kennt. Es wird vakuumiert und ab Hof verkauft. "Bei uns wissen die Kunden, wo die Tiere herkommen", sagt Mayr. "Wir würden keinen Massenbetrieb wollen."

Es ist kompliziert

Kleine, persönliche Schlachthöfe versus große, böse Werkshallen? Das ist eine schöne Geschichte mit einem Kern von Wahrheit. Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. "Das Tierwohl auf Schlachthöfen hängt im hohen Ausmaß von Ausbildung und Training der Mitarbeiter ab", sagt Jean-Loup Rault. Da hätten größere Einrichtungen prinzipiell gute Möglichkeiten. Ob sie die nutzen, ist eine andere Frage.

Schlachträume sind kein romantischer Ort, egal wie viele Quadratmeter sie haben. Es können Fehler passieren, vor allem bei der Betäubung. Das wird meist dann diskutiert, wenn Aktivisten gerade wieder ein geheim aufgenommenes Video veröffentlichen. Es existiert kaum gesicherte Forschung zu Schlachtfehlern, auch weil die Schlachthöfe wenig Interesse daran haben, Wissenschaftern Zugang zu gewähren.

Die Firma Sonnberg produziert Biofleisch. Der neue Schlachthof hat ein Tierfreundliches Lichtkonzept und Rinderleitsystem.
Foto: Nikolaus Ostermann

Größe macht einen Schlachthof deshalb nicht automatisch schlecht. Doch die meisten Gesprächspartner verweisen darauf, dass in den großen Schlachthöfen ein hoher ökonomischer und sozialer Druck herrscht. Große Schlachtstraßen zer legen manchmal bis zu 60 Rinder pro Stunde. Die höhere Taktzahl erhöht die Chance, Fehler zu machen. Die Versuchung, dann nicht die ganze Kette anzuhalten, ist hoch. Die Kollegen warten ja schon. Die ein fache Lösung, wie die Schlachtung verbessert werden kann, gibt es nicht. Hofschlachtungen sind gut, aber teuer. Aber auch die größeren Schlachthöfe lassen sich verbessern.

"Man muss schon bei der Konstruktion von Schlachthöfen die natürlichen Verhaltensweisen der Tiere einberechnen", sagt Jean-Loup Rault. Sind es Herdentiere, die einander folgen? Sind sie neugierig oder eher ängstlich? Wie reagieren sie auf welches Licht? Das alles sei wichtig. "Das Design muss sich den Tieren anpassen, genauso wie die Abläufe." Beim Warten auf die Schlachtung sollten beispielsweise nicht Gruppen von Tieren gemischt werden, die einander nicht kennen, weil die fehlende Rangordnung sofort zu Stress führe. Klar ist: Alle Maßnahmen verteuern das Fleisch. Tierschutz kostet.

Viele Bausteine

In Unterweißenbach in Oberösterreich hat Manfred Huber – der Mann mit der Blutpumpe – vor zehn Jahren einen neuen Schlachthof bauen lassen, der solche Ratschläge zu berücksichtigen versucht. Maximal könnten hier pro Woche 300 Rinder geschlachtet werden, aufgrund von Corona sind es aktuell nur 80. Das ist immer noch klein, aber es kommt einem halbindustriellen Schlachthof zumindest nahe. Es gibt eine Schlachtstraße, auf der die Rinderkörper durch eine Halle fahren und an acht Stationen zerlegt werden.

Huber ist Chef der Firma Sonnberg und seit den 90er-Jahren im Geschäft mit Biofleisch. "Wir haben viel gelernt", sagt Huber. Am Anfang hätten die Schlachthöfe noch Kacheln gehabt. Auf denen hätten die Rinderhufe aber keinen Halt gefunden, das hätte die Tiere nur zusätzlich gestresst.

In Hubers Schlachthof haben die Arbeiter vier Minuten Zeit pro Arbeitsschritt, es gibt eine Tierschutzbeauftragte, die Rinder haben einen maximalen Anfahrtsweg von vier Stunden. Die Halle, wo die Tiere warten, hat ein Lichtkonzept und ein Rinderleitsystem inklusive einer sogenannten Temple-Grandin-Kurve, die sich zunutze macht, dass Rinder lieber Kurven gehen als geradeaus. Besonders nervöse Rinder können vorgezogen werden.

Das alles ist keine Zauberei. Es ist auch nicht "schön", bei Sonnberg werden die Rinder natürlich nicht totgestreichelt. Aber es ist eine Möglichkeit, den Tieren ihre letzten Stunden nicht noch schwerer zu machen als notwendig.

Der Chef ist stolz auf die Art, wie bei ihm Tiere getötet werden, er lädt bewusst Besucher auf seinen Schlachthof ein. "Wir wollen Bewusstseinsbildung betreiben", sagt Manfred Huber. "Wir wollen die Schlachtung nicht verstecken oder tabuisieren." (Jonas Vogt, 30.8.2020)