Renate Anderl, die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK), hält auch zwei Jahre nach seiner Einführung nicht viel vom Zwölf-Stunden-Tag.

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Wien – Seit zwei Jahren gibt es den von der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung eingeführten Zwölf-Stunden-Tag. Bereits damals kritisierten Arbeitnehmervertreter diesen Schritt scharf. Daran hat sich nichts geändert. "Es wäre besser, das Gesetz wäre nicht mehr da", sagt Renate Anderl, die Präsidentin der Arbeiterkammer (AK). Lieber will sie eine Diskussion über eine Arbeitszeitverkürzung führen. "Da gibt es viele Facetten", sagt sie im Gespräch mit der APA.

Geblockte Freizeit als Wunsch

Was sie am Zwölf-Stunden-Tag unter anderem stört? "Die Möglichkeit einer geblockten Freizeit als Ersatz für den Arbeitnehmer fehlt bis heute gänzlich", kritisiert Anderl. Viele Beschäftigte würden bei der Arbeiterkammer anrufen und sich zum Zwölf-Stunden-Tag erkundigen, aber da er gesetzlich verankert ist, könne man nichts tun. Manchmal würden die zusätzlichen Pausen von Betrieben nicht gewährt. "Wir haben auch Fälle, in denen es über die zwölf Stunden hinaus geht", so Anderl.

IV und Wirtschaftsbund dagegen

Bei der Industriellenvereinigung (IV) und der ÖVP-Teilorganisation Wirtschaftsbund stoßen die Rufe der Arbeiterkammerpräsidentin auf Widerstand. "Die Vorschläge für eine Arbeitszeitverkürzung und damit eine Verteuerung des Faktors Arbeit werden auch durch gebetsmühlenartige Wiederholung nicht besser", so der IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.

Vielmehr sei dies eine Kampfansage an Arbeitsplätze und würde sämtliche Anstrengungen, Beschäftigung wiederaufzubauen, konterkarieren. Erst vergangene Woche hätten sich die Leiter der renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS klar gegen eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit ausgesprochen. "Das sollte dringend ernst genommen werden", so Neumayer.

Flexible Arbeitszeitverkürzung

Eine Diskussion über eine Arbeitszeitverkürzung sei für Anderl hingegen der richtige Weg. Eine solche könne ganz unterschiedlich ausgeprägt sein, viele Beispiele gebe es jetzt bereits – aber nur in einzelnen Betrieben: "Vier-Tage-Woche, 30-Stunden-Woche, die sechste Urlaubswoche – alles gibt es im echten Leben schon. Von einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung wollte Anderl auf Nachfrage nicht sprechen. Da gebe es zu viel Gegenwind.

Ebenfalls völlig anders sieht man das auf Seite der IV: "Überhaupt nicht nachvollziehbar und ein Schritt in die völlig falsche Richtung" sei jegliche Diskussion darüber, die Maßnahmen zur Arbeitszeitflexibilisierung zurückzunehmen bzw. zu verschlechtern. "Die Modernisierung der Arbeitszeit hat sich für Unternehmen sowie Mitarbeiter bewährt. Daran zu rütteln würde einen völligen Rückschritt bedeuten", so Neumayer.

Sechste Urlaubswoche

"Ein Schritt wäre etwa auch die sechste Urlaubswoche für jeden nach 25 Arbeitsjahren", sagte Anderl. "Wenn der Bundeskanzler sagt, dass sich die Arbeitswelt verändert hat und man darauf reagieren muss, dann wäre ich auch hier dafür, dass das Urlaubsgesetz bezogen auf die sechste Arbeitswoche kein totes Gesetz ist und zum Leben erweckt wird. Denn die Aller-, Allerwenigsten sind heutzutage so lange in derselben Firma, dass sie die sechste Urlaubswoche erreichen können. Ganz wenige schaffen 25 Jahre in einem Betrieb."

"Jedenfalls brauchen die Beschäftigten Entlastung, damit sie gesund bleiben", so Anderl, "denn alles wird immer schneller und rascher." Schließlich müssten die Menschen auch noch gesund in Pension gehen können.

Erwartungsgemäß kritisch zeigt sich auch der Wirtschaftsbund in einer Aussendung gegenüber Anderls Diskussionswünschen. Die Arbeitszeitflexibilisierung habe sich bewährt: "Gerade in der Krise brauchen Unternehmer und ihre Mitarbeiter flexible Lösungen", so WB-Generalsekretär Kurt Egger. Der Arbeitseinsatz könne an die Auftragslage angepasst werden. Egger spricht von der Arbeitszeitflexibilisierung als einem "Segen in Krisenzeiten".

Flexible Arbeitszeiten, niedrigere Preise

Wie eine Studie von EcoAustria im Auftrag des Wirtschaftsministeriums schon 2019 gezeigt habe, brächten flexible Arbeitszeiten niedrigere Preise und eine erhöhte Nachfrage nach heimischen Gütern sowie höhere Einkommen für Mitarbeiter, so Egger: Denn der Arbeitseinsatz könne flexibel an die Auftragslage angepasst werden.

Laut Eurostat-Daten vom April arbeiten die Österreicher immer länger: Mit 37,6 Jahren geschätzter Lebensarbeitszeit für heute 15-Jährige liegt Österreich über dem Schnitt der 27 EU-Länder von 35,9 Jahren und auch über dem Schnitt der 19 Euro-Länder von 36,1 Jahren. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2019. Im Jahr 2018 lag die geschätzte Lebensarbeitszeit der Österreicherinnen und Österreicher bei 37,5 Jahren, im Jahr 2012 bei 36,5 Jahren. Deutlich länger als in Österreich arbeiten die Menschen in der Schweiz mit 42,6 Jahren und in Schweden mit 42 Jahren (beides für 2019), betont die Agenda Austria in einer Aussendung. In Italien sind es laut Eurostat nur 32 Jahre. (APA, red, 30.8.2020)