Will Bill Gates die Menschheit chippen?

Foto: Der Standard/Friesenbichler

Ich bin Fan von Bond, James Bond. Seit meine Eltern mir als Neunjährigem nach zähen Diskussionen "Man stirbt nur einmal" erlaubten, habe ich sie alle gesehen. Ob gut, schlecht oder mittelmäßig – egal welche Kritiken der neue Bond bekommt: Ich bin im Kino. Der erste Bösewicht war Blofeld, der Mann mit Glatze, Monokel und der großen weißen Angorakatze. Mit seiner Geheimorganisation Spectre ist er drauf und dran, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Heute hat Bill Gates die Rolle von Blofeld übernommen. Nicht im Film, sondern in der Realität vieler Menschen. Nur: Die Welt ist kein Bond-Film. Dennoch sind gar manche überzeugt, dass hinter Corona eine große Verschwörung globaler Eliten steckt. Neben Gates werden auch George Soros oder Hillary Clinton genannt. Abstruseste Theorien sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Gleich einmal vorweg: Auch ich bin mit der Corona-Krise überfordert. Die Ungewissheiten und vor allem Widersprüche unserer Zeit sind anstrengend und fordern, was Soziologen Ambiguitätstoleranz nennen.

Unsicherheit und Überforderung

In diesen Zeiten der Unsicherheit und Überforderung suchen wir nach Gewissheit und klarer Abgrenzung zwischen Gut und Böse. Dann kennen wir uns wieder aus.

Gerade jetzt sind differenzierte Situationsanalysen und damit verbundene Handlungsstrategien oft die einzige Möglichkeit, sich an unvorhersehbare Realitäten anzupassen. Es ist daher essenziell, unterschiedlichen Stimmen aus der Wissenschaft mehr Gehör zu verschaffen. Doch leider haben Public-Health-Experten, die eine gesamtheitlichere Sicht auf das Gesundheitswesen verlangen, derzeit keine Chance gegen Fallzahlenstatistiken und Lockdown-Schlagzeilen.

Eine kritische Analyse jener Akteure, die schamlos von der Krise profitieren, fehlt ebenso wie ein sachliches Hinterfragen des medizinisch-technokratischen Komplexes, sprich: der Pharmaindustrie.

Noch dazu zweifeln in der Krise gerade die Klugen. Echte Wissenschaft heißt nicht Mehrheitsmeinung und Sicherheit, sondern kontinuierliches Hinterfragen und die Bereitschaft zur Revision.

Algorithmen kontra Wahrheit

Und ja, soziale Netzwerke wie Facebook haben mit Falschinformationen Millionen verdient. Ihre Algorithmen befeuern nicht Wahrheiten, sondern das, was Clicks bringt.

Aber das ist keine Entschuldigung, um in abstruse Weltverschwörungstheorien zu verfallen. Wie kommen diese Menschen zu ihren geheimen Informationen? Sollten echte Verschwörungen nicht auch echt geheim sein? Mit etwas Hausverstand lassen sich solche kruden Geschichten leicht enttarnen.

Gleichzeitig muss eine liberale Gesellschaft diese Verschwörungstheorien aushalten. Pauschales Verteufeln jener für solche Thesen Anfälligen als "Covidioten" ist nicht gerade hilfreich. Die Entscheidung des Berliner Innensenators, ein Demonstrationsverbot anzukündigen, beschädigt den Rechtsstaat stärker, als es die Corona-Leugner vermögen. Rede- und Versammlungsfreiheit muss auch für diese Menschen gelten.

Es bleibt zu hoffen, dass sich all das legt und ich in ein paar Monaten wieder gefragt werde, ob ich den neuen Bond schon gesehen habe – und nicht eine Verschwörungsdoku über Gates. (Philippe Narval, 30.8.2020)