Direkte Nachfahren von Opfern des Nationalsozialismus können ab Dienstag mittels Anzeige österreichische Staatsbürger werden.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Wien – Ab 1. September können Nachkommen von Opfern des NS-Regimes mit ausländischer Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft einfach per sogenannter Anzeige erhalten. Basis ist eine im September 2019 vom Nationalrat beschlossene Novelle des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes.

Personen, die selbst Opfer des NS-Regimes waren, konnten bisher schon die österreichische Staatsbürgerschaft auf diese Weise erwerben. Nun sind auch ihre direkten Nachfahren, also Kinder, Enkel, Urenkel und so weiter berechtigt. Auch Adoptivkinder können die Neuregelung in Anspruch nehmen, wobei die Adoption allerdings als Minderjähriger erfolgt sein muss, wie es in einem Informationsblatt des Außenministeriums in Wien heißt. Dabei ist eine Doppelstaatsbürgerschaft aus österreichischer Sicht zulässig.

Wer sind Opfer

Opfer des NS-Regimes sind im Gesetz folgendermaßen definiert: Eine Person, "die sich als österreichischer Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben hat, weil sie Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hatte oder weil sie wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte".

Für die Anzeige ist laut dem Außenministerium zunächst ein Online-Fragebogen auszufüllen. Dort müssen auch Angaben zum Vorfahren gemacht werden. Die Angaben sollen es den österreichischen Behörden, insbesondere dem Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, ermöglichen, in historischen Akten und Archivbeständen Recherchen anzustellen. Der Fragebogen ist auf Deutsch, Englisch, Hebräisch (Eingabe nur mit lateinischen Schriftzeichen möglich) und Spanisch verfügbar.

Doppelstaatsbürgerschaft

Das Ministerium weist darauf hin, dass Betroffene, die die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben, nicht automatisch Doppelstaatsbürger sind. Sie könnten ihre bisherige Staatsbürgerschaft im Rahmen der österreichischen Gesetzesregelung zwar zusätzlich zur neuen, österreichischen behalten, obwohl Österreich Mehrfachstaatsbürgerschaften in der Regel eher ausschließt. Aufgrund des Rechts im jeweils anderen Land könnten sie ihre bisherige Staatsbürgerschaft aber auch verlieren, wenn sie die österreichische annehmen.

Die Gesetzesnovelle wurde in der Zeit der Bundesregierung unter Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein vorgenommen. ÖVP, SPÖ und FPÖ hatten sich auf einen gemeinsamen Abänderungsantrag geeinigt.

Lob von Israelitischer Kultusgemeinde

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien und der Nationalfonds begrüßten das im September des Vorjahres. "Mit diesem Beschluss wird die Republik Österreich ihrer historischen Verantwortung gerecht", erklärte IKG-Präsident Oskar Deutsch damals. Er strich damals lobend hervor, dass nicht nur Österreicher, sondern neu auch Bürger der ehemaligen Donaumonarchie-Staaten umfasst sind. Außerdem seien Ungleichbehandlungen – Nachfahren von weiblichen Überlebenden konnten im Unterschied zu Kindern männlicher NS-Opfer die Staatsbürgerschaft nicht erlangen – bereinigt worden, so Deutsch. (APA, 31.8.2020)